Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 37. Sitzung / Seite 144

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Präsident Dr. Heinz Fischer: Als nächste Rednerin gelangt Frau Abgeordnete Haidlmayr zu Wort. Redezeit: 5 Minuten.

18.33

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (Grüne): Es ist wieder einmal bezeichnend, daß während der heutigen Debatte, in der es um sexuelle Gewalt an Kindern ging, kein einziges Mal – außer von der Abgeordneten Binder – der Begriff "behinderte Menschen" gefallen ist. Es ist nicht richtig, daß sexuelle Gewalt ein Delikt ist, das ausschließlich in Familien vorkommt. Gerade in den Behindertenheimen steht sexuelle Gewalt auf der Tagesordnung. Nur wird sie nicht als sexuelle Gewalt deklariert, weil behinderte Menschen nach wie vor als medizinische, therapeutische Wesen gesehen werden. Und wenn sexuelle Gewalt oder Gewalt an behinderten Menschen passiert, dann ist es eben eine medizinische, therapeutische Maßnahme. Das ist die Tatsache.

Ich habe das bereits 1992 bei einer Enquete – damals noch unter Frau Ministerin Dohnal – aufgezeigt, wie es im Bereich der sexuellen Vergewaltigung von behinderten Frauen ausschaut. – Bis heute ist nichts geschehen. Es wird wahrscheinlich auch in Zukunft nichts geschehen.

1992 wurde uns versprochen, daß es zumindest Sexualberatungsstellen für betroffene Frauen und Männer geben wird. Die gibt es bis heute nicht. Ein paar Stunden pro Monat kann man in Graz Sexualberatung in Anspruch nehmen. Aber das ist alles, was in diesem Zeitraum für behinderte Menschen, was dieses Delikt betrifft, geschaffen wurde.

Es kommt auch noch dazu, daß gerade behinderte Menschen – und je intensiver die Behinderung ist, umso schwieriger ist es meistens auch, sich zu artikulieren – gar keine Möglichkeit haben, sich zu artikulieren, wenn sie sexuell mißbraucht wurden. Und deshalb haben diese Menschen auch nach wie vor keine Rechte. Behinderte Menschen, die in stationären Einrichtungen mißbraucht werden, haben keine Rechte, weil sie Tag für Tag unterdrückt werden, in Abhängigkeit stehen und aus diesen Institutionen nicht herauskommen. Ich möchte Ihnen das hier einmal klar zur Kenntnis bringen.

Bedenken Sie, was in diesen Einrichtungen läuft. Sexuelle Gewalt ist dort viel intensiver, als es irgend jemand für möglich halten würde. Ich lebe seit 30 Jahren nicht mehr in einer derartigen Einrichtung, aber Meldungen über sexuelle Gewalt kommen mir bis heute zu. Einige von Ihnen müßten darüber Bescheid wissen.

Was ist denn aus dem Fall geworden in der Steiermark, wo der Vater eines Heimleiters geistig behinderte Frauen jahrelang sexuell mißbraucht hatte? – Es wurde sozusagen unter den Teppich gekehrt.

Was ist denn daraus geworden, als bekannt wurde, daß in Wien in einem Behindertenheim ein Mitarbeiter jahrelang Frauen sexuell ausgebeutet hat? – Die Frauen waren plötzlich die Täter, und sie haben es aufgrund ihrer Behinderung nicht geschafft, den Beweis anzutreten, daß sie Opfer sind. Sie wurden in die Täterrolle gedrückt, und wie Täter werden sie heute noch behandelt.

Aufgrund der Situation in Österreich – und das können Sie mir glauben – gibt es kaum behinderte Menschen, die sich über ihre Erfahrungen und über ihre sexuelle Ausbeutung und die Gewalt, die sie erleben müssen, zu artikulieren trauen. Denn sie werden nicht als Opfer anerkannt, sondern zum Täter gestempelt. Diesbezüglich sollte endlich etwas geschehen.

Herr Minister! Ich fordere Sie auf, speziell im Bereich stationärer Einrichtungen Sorge zu tragen, daß diese Situation sich ändert. Sexuelle Gewalt in Behindertenheimen muß aufgezeigt werden! Es muß darüber gesprochen werden, sie darf nicht länger totgeschwiegen werden, denn es handelt sich dabei um eine Menschenrechtsverletzung. Das ist unwürdig, das brauchen sich behinderte Frauen und Männer nicht mehr gefallen zu lassen. – Danke. (Beifall bei den Grünen, beim Liberalen Forum sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

18.37


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