Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 44. Sitzung / Seite 16

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Abgeordnete Dr. Ilse Mertel (SPÖ): Herr Minister! Die Wifo-Studie zeigt auch auf, daß bestimmte Familienformen in Österreich armutsgefährdet sind.

Welche Konsequenzen in bezug auf Transferleistungen ergibt diese Feststellung der Studie für Sie? Können Sie sich eine Reform in Richtung einer sozialen Staffelung verschiedener Leistungen vorstellen, bei der die soziale und die ökonomische Situation der Familien besser berücksichtigt wird?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist, glaube ich, eine sehr grundsätzliche Frage. Erlauben Sie mir daher, der Beantwortung ein paar Vorbemerkungen vorauszuschicken.

Erste Vorbemerkung: Österreich liegt mit seiner Abgabenquote von etwa 43 Prozent international im oberen Drittel. Das heißt, daß wir wenig Spielraum haben, durch Steuern oder Abgabenerhöhungen oder ähnliches mehr viele zusätzliche Einnahmen zu erschließen. Die Schlußfolgerung daraus, meine sehr geehrten Damen und Herren, muß sein, daß wir mit der bestehenden Geldsumme, die wir Jahr für Jahr von den Steuerzahlern in Österreich einheben, sehr, sehr intelligent umgehen. Die Schlußfolgerung muß auch sein, daß wir es uns nicht leisten können, das Gießkannenprinzip anzuwenden, auch wenn es manchmal einfacher wäre.

Das heißt, die Schlußfolgerung muß sein: Wenn wir soziale Gesichtspunkte bei den Ausgaben des Staates berücksichtigen müssen, dann müssen wir eine soziale Staffelung von Transferleistungen tatsächlich unbedingt anstreben. Diese soziale Staffelung von Transferleistungen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist möglich, indem man zum Beispiel verstärkt in Sachleistungen geht, aber auch indem man bei bestimmten Bereichen – dafür ist die Verteilungsstudie des Wifo ein sehr, sehr guter Anhaltspunkt – die Treffsicherheit erhöht, schaut, daß man sie auch wirklich den Menschen, die sie brauchen, gibt. Aus meiner Sicht gibt es da ein großes Anwendungsgebiet.

Wir haben diese soziale Staffelung schon heute in vielen Bereichen, zum Beispiel im Bereich der Studienbeihilfe, die vom Einkommen abhängig ist, im Bereich der Wohnbauförderung – dort allerdings nur sehr rudimentär, denn es gibt nur wenige Länder, die tatsächlich zum Großteil auf die Subjektförderung, also auf die individuelle Fördernotwendigkeit des einzelnen abstellen – und ähnliches mehr. Große Bedeutung haben in diesem Zusammenhang natürlich auch – das muß man ganz klar sagen – die Kinderbeihilfe und ähnliche Fragen.

Ich muß hier ganz klar sagen, daß wir das oberste Prinzip der Individualbesteuerung nicht verletzen dürfen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im österreichischen Steuerrecht ist völlig klar, daß eine verdienende, eine berufstätige Frau als selbständiges Individuum zu besteuern ist und nicht als Steueranhängsel oder Steuerabsetzposten des Mannes betrachtet wird. Das wollen wir auch nicht! Daher ist die Individualbesteuerung ein Prinzip, das wir nicht gefährden dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPÖ.) Die Damen, aber auch die Herren könnten damit einverstanden sein, daß wir die Individualbesteuerung nicht gefährden wollen. (Beifall bei der SPÖ und beim Liberalen Forum sowie des Abg. Öllinger. )

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das zweite Prinzip: Es ist – ich sage auch das in aller Offenheit – nicht gelungen, eine gemeinsame Stellungnahme der Bundesregierung für ein Prüfverfahren beim Verfassungsgerichtshof zu erreichen, wonach die höheren Unterhaltsleistungen eines Besserverdieners dadurch berücksichtigt werden, daß er sie gleichsam voll von seiner Steuerbemessungsgrundlage abschreiben kann, was zu einer massiven Umverteilung in Richtung oberer Einkommensschichten führen würde. Das können und wollen wir nicht akzeptieren, denn gemäß dieser Studie geht es ja darum, daß wir die Ärmeren unterstützen.

Wir gehen daher davon aus, daß der Staat eine gewisse Mindestversorgung – für jeden Bürger gleich – durch Kinderabsetzbetrag und Kinderbeihilfe sichert – dieses Prinzip wollen wir nicht


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