Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 108

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Letztes Dezil, oberstes Dezil – das sind Hilfsgrößen, damit man die Realität besser erkennt, aber sie sind nicht ausschlaggebend für die reale Situation. Denn die Armut hat heute – wir haben das heute schon gehört, und dem möchte ich ausdrücklich zustimmen – ein anderes Gesicht als vor 20 Jahren. Heute ist ein Telephonanschluß – da möchte ich dem Herrn Bundeskanzler ausdrücklich zustimmen – kein Parameter für Reichtum oder Nicht-Armut. Vor 20 Jahren war das vielleicht noch korrelierbarer – und vor 40 Jahren überhaupt!

Daher ist es die Frage: Mit welchem aufrechten Gang und mit welcher Menschenwürde kann sich jemand in der Gesellschaft bewegen? Und daher meine ich, daß wir, so wie wir Liberalen, ganzheitliche Ansätze vertreten sollten, in der sozialen Frage das Sowohl-Als-auch fordern und nicht nur einen Brief an das Christkind formulieren, sondern gleichzeitig auch versuchen sollten, Ansätze mitzuliefern, wie es denn möglich sei, daß gestiegene Produktivität nicht als negatives Element auf uns zurückfällt, weil steigende Produktivität gleichzeitig weniger Nachfrage nach Arbeit in wachstumsmäßigem Sinne bedeutet. Ich meine, daß es einfach ungerecht und unfair ist, davon auszugehen, daß wir das deswegen tun, weil wir auf dem Rücken von Arbeitslosen höhere Wirtschaftseffizienz fordern.

Ich knüpfe jetzt bewußt noch einmal an die Ausführungen des Bundeskanzlers an, der das Wort "Globalisierung" in den Mund genommen hat: Die Globalisierung ist ein Phänomen, das tatsächlich im eigentlichen Sinn des Wortes staatliches Handeln herausfordert – aber nicht staatliches Handeln ausschließlich auf der nationalstaatlichen Ebene, sondern das ist eine internationale Herausforderung. Wenn wir zum Beispiel das Steuerrecht nicht international harmonisieren können, und dies nicht möglichst rasch, dann werden sich die Kapitalströme nicht so verhalten, wie wir das aus dem Blickpunkt der Republik Österreich möchten. Dann werden sich die internationalen Kapitalmärkte nicht nach unseren Vorgaben, die wir für unsere Sozial- und Wirtschaftspolitik benötigen würden, richten, sondern nach der Optimierung ihrer Möglichkeiten in irgendwelchen Nischen.

Daher ist die Frage einer Harmonisierung der Steuersysteme eine hochpolitische Frage, die für den Herrn Bundeskanzler unbefriedigend sein mag, weil er sie hier in Österreich allein, in unserem eigenen Schrebergarten nicht lösen kann. Dazu sind wir unter anderem der EU beigetreten, daß wir Innovationen einbringen und für Harmonisierung sorgen, damit wir unsere Stärken ausspielen können und nicht ständig Getriebene schwankender Finanzmärkte sind. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Wenn ich das in einer Debatte zu einer Anfrage ausführe, die sich mit der Armut beschäftigt, und letztlich vom Reichtum rede, wenn Sie so wollen, dann will ich Ihnen bewußtmachen: Wenn wir das nicht ganzheitlich betrachten, dann werden wir den Reichtum nicht davon überzeugen, daß es für ihn sinnvoll ist, sich um die Armut zu kümmern. Das wird nicht stattfinden. Die Gesellschaft ist per se keine altruistische. Es gibt zwar die Angewiesenheit aufeinander, aber diese Angewiesenheit bedarf entsprechender Rahmen, damit sie gelebt werden kann. Und sie bedarf einer angemessenen sozialen Intelligenz aller Teilnehmer in der Gesellschaft.

Das ist keine Frage von Nächstenliebe allein. Ich habe keinerlei Einwand gegen den Ansatz Nächstenliebe, aber Politik auf Nächstenliebe aufzubauen, wäre ein Selbstfaller. Es geht darum, diese wechselseitige Angewiesenheit der Menschen klarer zu machen, über Randbedingungen zu definieren und die soziale Intelligenz zu fördern.

In diesem Sinne ist Bildungspolitik doppelt gefordert: einerseits als Element der Qualifizierung, was ein wesentliches Element für die Möglichkeit ist, sich selbst aus der Armut zu befreien, und andererseits als Element der gesteigerten sozialen Intelligenz im Zusammenleben. Aber diese zweite Seite fehlt zum Beispiel in unserem Schulwesen zur Gänze, und die erste ist notleidend. Die Qualifikationsseite ist notleidend, und die zweite Seite fehlt zur Gänze. Sie ist angewiesen auf Glück und Zufall der einzelnen Lehrerpersönlichkeit; sie ist nicht systemimmanent vorgesehen. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Wenn wir vom Liberalen Forum zum Beispiel als ein Projekt ein Transfermodell zur Vermeidung von Kinderarmut herausgearbeitet haben, ein Modell, in dem garantiert wird, daß es kein Kind in


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