Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 82. Sitzung / Seite 190

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20.46

Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie leider auch die jüngsten Zahlen der Insolvenzstatistik zeigen, hält der seit einigen Jahren feststellbare Trend des Ansteigens der Zahl der Insolvenzverfahren in Österreich weiterhin an, und nach wie vor ist auch die Zahl der mangels Vermögens abgewiesenen Konkursanträge bedenklich hoch. Die Ursachen dieser dynamischen Entwicklung der letzten Jahre liegen nicht selten in den sich beschleunigenden Strukturveränderungen unserer Wirtschaft, in der Neuaufteilung von Märkten und Standorten, letztlich in der Globalisierung der Weltwirtschaft. Insolvenzen gehören eben auch zum systemimmanenten Ausleseverfahren der Marktwirtschaft.

Aber zu Recht weisen Wirtschaftsfachleute immer wieder darauf hin, daß einem beträchtlichen Anteil – manche meinen sogar, einem Hauptanteil – an der dynamischen Zunahme der Zahl der Insolvenzen betriebswirtschaftliche Probleme der betroffenen Unternehmen zugrunde lägen, viele der insolvent werdenden Unternehmen heute nicht mehr den betriebswirtschaftlichen Anforderungen entsprächen, es etwa – um nur einen Punkt herauszugreifen – an einem funktionierenden Rechenwerk als Voraussetzung permanenter Selbstkontrolle fehle.

Angesichts dieses Befundes ist die Rechtspolitik gefordert, durch geeignete gesetzgeberische Maßnahmen der Entwicklung entgegenzuwirken. Im Bereich des Justizressorts geht es dabei um Maßnahmen einerseits auf dem Gebiete des Insolvenzrechtes und andererseits auf dem des Gesellschaftsrechtes. Ziel dieser Maßnahmen muß es im wesentlichen sein, eine Unternehmenskrise möglichst frühzeitig zu erkennen, um rechtzeitig die Reorganisation eines lebensfähigen Unternehmens in die Wege leiten zu können, weiters in jenen Fällen, in denen es zu einer Insolvenz kommt, alle Möglichkeiten einer Sanierung und Fortführung des Unternehmens auszuschöpfen und letztlich, wenn sich eine Sanierung nicht mehr als wirtschaftlich vertretbar erweist, das Unternehmen bestmöglich zu verwerten.

Diese Zielsetzungen bestimmten bereits eine Reihe von legislativen Maßnahmen in jüngster Vergangenheit und liegen auch dem heute dem Nationalrat zur Beschlußfassung vorliegenden Gesetzentwurf zugrunde. Meilensteine auf diesem Weg waren das Rechnungslegungsgesetz 1990, das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 1994 und das EU-Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz aus dem Vorjahr.

Mit dem vorliegenden IRÄG 1997 wird ein weiterer wichtiger Schritt zur Verbesserung der Insolvenzprophylaxe, vor allem zur Ausschöpfung der Möglichkeiten einer rechtzeitigen und wirksamen Reorganisation insolvenzgefährderter Unternehmen, zur Erleichterung der Fortführung und Sanierung insolventer Unternehmen sowie zur Zurückdrängung von Konkursabweisungen mangels Masse gesetzt.

Einen Schwerpunkt dieses Gesetzeswerks bildet das von mancher Seite, wie ich meine, zu Unrecht skeptisch eingeschätzte Unternehmensreorganisationsgesetz. Es ist dies das Ergebnis ausführlicher Beratungen mit Experten sowie intensiver Erfahrungen, die Praktiker des Wirtschaftslebens mit insolventen Unternehmungen und mit dem Insolvenzrecht gewonnen haben, und es entspricht der Einsicht, daß die Sanierung eines Unternehmens um so erfolgversprechender ist, je früher Maßnahmen eingeleitet werden. In diesem Sinn ist das Reorganisationsverfahren ein Anbot an den noch solventen Unternehmer, das ihn bei der Bewältigung einer Krise unterstützen soll.

Die im Gesetz definierten Kennzahlen, die auch sehr kontroversiell diskutiert worden sind, sind zunächst einmal nur als Warnlichter zu verstehen, die den Unternehmer dazu veranlassen sollen, seine wirtschaftliche Situation mit Hilfe von Beratern überprüfen zu lassen. Ergibt sich aufgrund eines fundierten Zahlenmaterials und einer darauf aufbauenden Analyse Reorganisationsbedarf und ist im Rahmen des Sanierungskonzeptes eine finanzielle Überbrückung oder Stärkung in Form eines zusätzlichen Kredites erforderlich, so soll dies durch das Unternehmensreorganisationsgesetz künftig dadurch erleichtert werden, daß die kreditgewährende Bank, sollte es doch zu einem Scheitern der Reorganisation und zu einem nachfolgenden Konkurs kommen, nicht der Gefahr einer Anfechtung ausgesetzt ist.


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