Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 90. Sitzung / Seite 32

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute wird in diesem Hause eine wichtige Lücke des österreichischen Geschäftsordnungsrechts geschlossen. Dieses Haus wird heute hinsichtlich der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen eine Neuregelung und eine eigene Verfahrensordnung beschließen; eine Verfahrensordnung, die selbst auch von diesem Hause gefordert wurde.

Ich erinnere an die Diskussion nach dem Lucona-Untersuchungsausschuß, an die Empfehlungen dieses Hauses und darf zitieren: "Es wäre zu prüfen, für Untersuchungsausschüsse eine eigene Verfahrensordnung zu schaffen, weil mit dem Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrates und der sinngemäßen Anwendung der Strafprozeßordnung nicht immer das Auslangen gefunden werden konnte."

Weiters: "Die Amtsverschwiegenheit von Organen des Bundes und das Ausmaß ihrer Amtsverschwiegenheit gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen sind einer klaren Regelung zuzuführen."

Hohes Haus! Heute haben Sie die Möglichkeit, diesen beiden Empfehlungen zu entsprechen.

Erlauben Sie, daß ich ganz kurz auf die Ausführungen meines Vorredners, des Abgeordneten Brauneder, eingehe. Er hat aus meiner Sicht die Situation in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa etwas heroisiert. Ich möchte schon darauf hinweisen, daß in der Bundesrepublik Deutschland im verfahrensrechtlichen Bereich nicht die Minderheit entscheidet (Abg. Mag. Stadler: Das hat er ja gesagt!), sondern es sich dabei sehr wohl immer um eine Mehrheitsentscheidung handelt, Herr Abgeordneter Stadler. (Abg. Mag. Stadler: Bei der Einsetzung aber ein Minderheitsrecht! Bei der Einsetzung!) Und da gibt es ein Organstreitverfahren. Ich hoffe, Sie haben sich damit auseinandergesetzt, Herr Abgeordneter Stadler! (Abg. Mag. Stadler: Da können Sie Gift darauf nehmen! – Bei der Einsetzung ist es ein Minderheitsrecht!) Kennen Sie das Organstreitverfahren? Da entscheidet immer noch die Mehrheit. (Abg. Mag. Stadler: Das hat er ja gesagt! Das haben Sie nicht kapiert!)

Ich meine: Wir entsprechen der österreichischen Tradition, wenn wir diese beiden Vorlagen heute beschließen. (Zwischenruf des Abg. Wabl. )

Hohes Haus! In der Öffentlichkeit sind Untersuchungsausschüsse – gerade auch von den Grünen, Kollege Wabl – hinsichtlich rechtsstaatlicher Defizite immer wieder kritisiert worden. Man hat auf die Europäische Menschenrechtskonvention verwiesen. Ich darf hier einige Kritikpunkte, die von den Ländern, aber auch von der Wissenschaft immer wieder vorgebracht wurden, zitieren.

Untersuchungsausschüsse weisen, so die einhellige Meinung der Wissenschaft, eindeutig die Züge eines im Strafprozeß längst überwundenen Inquisitionsverfahrens auf, zumal in Untersuchungsausschüssen die verfolgende Behörde mit der urteilenden Behörde identisch ist und es formal keinen Angeklagten mit anerkannten Verteidigerrechten gibt, sondern es gibt nur Zeugen, die unter Wahrheitspflicht stehen. – Mit der heutigen Vorlage, die wir beschließen werden, wollen wir dieses Defizit beseitigen.

Lassen Sie mich noch etwas sagen: Ein Untersuchungsausschuß hat mit einem Strafprozeß in entscheidenden Punkten nichts zu tun. Es gibt keine Angeklagten, keinen Richter, keinen Staatsanwalt, keinen Verteidiger, keine Anklageschrift und kein Urteil. Diese Kritik im Zusammenhang mit Untersuchungsausschüssen wurde ja von allen Parteien geäußert. – Mich wundert, daß Kollege Ofner nicht hier ist. Kollege Brauneder, ich zitiere Kollegen Ofner.

"Es gibt aber vor allem keine Spur von Unabhängigkeit der Richtenden, keine Spur von Distanziertheit und auch keine Spur davon, daß sie nicht präjudiziert werden. Sie sind überhaupt nicht unabhängig. Ich weiß, wovon ich rede! In den zuständigen Klub- und Parteigremien wird sehr wohl festgelegt, in welche Richtung das alles zu gehen und wo es zu enden hat." – Das war Ihr Abgeordneter Ofner, ehemaliger Bundesminister für Justiz, bei der Tagung in Weißenbach am Attersee im Mai 1990. (Zwischenruf des Abg. Dr. Graf. )


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