Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 94. Sitzung / Seite 104

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Nach dieser Klarstellung bezüglich der Existenz einer Arbeitsgruppe erübrigt sich die Forderung des Liberalen Forums. Ich glaube, daß wir die Kinder ins Zentrum unserer Überlegungen stellen sollten. Dazu gehört auch die Frage, die die letzten Tage beherrscht hat: In welchem Ausmaß und in welcher Form sind Kinder steuerliche Absetzposten? – Ich sage: Kinder sind mehr! Sie sind auch mehr wert als steuerliche Absetzposten. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Dr. Gredler. )

Selbstverständlich haben wir Sozialdemokaten uns Gedanken gemacht und uns auch auseinandergesetzt mit den verschiedenen Modellen der verschiedenen Interessengruppen, diverser Familienorganisationen. Aber ich stelle fest, daß auch dem LIF – wie auch vielen anderen, die sich jetzt in der Öffentlichkeit geäußert haben – ein Fehler unterlaufen ist, und zwar deshalb, weil das Liberale Forum nur einen ganz bestimmten Teil der Familienleistungen herausgreift und betrachtet. Ich glaube, daß das problematisch ist. Ich halte es für einen Fehler, nur einen einzigen Aspekt, ein Segment herauszunehmen und auf dieser Basis eine Reform zu verlangen.

Wir Sozialdemokraten – ich habe das auch gestern betont – gehen von einer Gesamtsicht aus, von einer Gesamtsicht, wie wir den konkreten Bedürfnissen der Familien, der Kinder, der Mütter und der Väter entsprechen können, wie wir die Familien unterstützen können. (Beifall bei der SPÖ.)

Wichtig ist für uns aber auch die Gesamtsicht des Leistungskataloges der Familienförderung. Und wenn wir davon schon sprechen, möchte ich das noch einmal unterstreichen: Österreich liegt im internationalen Vergleich mit den Familienförderungen im Spitzenfeld. Wir geben jährlich 200 Milliarden Schilling für die Familien aus, und wir müssen dieses hohe Niveau halten. Das ist unser Ziel. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn wir also vom Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis ausgehen, so ist, wie es zunächst analysiert wird, auch zukünftig die steuerliche Berücksichtigung von Kindern durch Transfers und Absetzbeträge möglich. Das heißt, daß demnach auf die tatsächliche Unterhaltsleistung, also das tatsächliche Einkommen der Unterhaltsverpflichteten, abgestellt werden soll. Ein derartiges Modell wäre allerdings unsozial, weil es nur einigen wenigen Eltern mit hohen Einkommen eine Besserstellung bringen würde, vor allem beim Zusammentreffen zweier Komponenten, nämlich hohes Einkommen und studierendes Kind. Aber es kann doch nicht unser Anliegen sein, jenen, die schon genug haben, jenen, die schon viel haben, noch mehr zu geben. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Dr. Gredler. )

Die Umsetzung dieses Erkenntnisses ohne gezielte Förderungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Jungfamilien, zur Verbesserung der Situation von Alleinerziehenden und Mehrkinderfamilien mit geringem Einkommen ist für uns nur schwer denkbar.

Ich glaube, eines ist klar: Auch das teuerste Familienförderungssystem ist nicht in der Lage, in einer komplexen Industriegesellschaft alle Probleme der Familien, so etwa auch das Phänomen der neuen Armut, zu lösen. Nur ein Beispiel: In Österreich gibt es rund 253 000 Alleinerziehende; über 90 Prozent davon sind Frauen. Durchschnittlich haben diese Frauen – inklusive aller Transferleistungen und Zulagen, abzüglich der Kosten für das Kind – bloß 6 500 S pro Monat zur Verfügung. Ein Drittel der weiblichen Angestellten und 40 Prozent der Arbeiterinnen müssen mit weniger als 6 200 S monatlich auskommen. (Abg. Dr. Gredler: Ein Skandal!)

Die Frage der Einkommenspolitik kann daher von uns nicht außer acht gelassen werden, nicht ausgeklammert werden, desgleichen die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen, die immer weiter auseinanderklafft. Ebensowenig können wir das Problem der Wiedereinsteigerinnen, die nach einer Zeit der Kinderbetreuung wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen, vernachlässigen, denn die Chancen für Wiedereinsteigerinnen, Arbeit zu finden, stehen 50: 50, und es sind 39 Versuche erforderlich, bis sie wieder einen Arbeitsplatz bekommen.

Überdies meine ich, daß auch Überlegungen anzustellen sind, wie wir das bisherige Finanzierungssystem, mit dem wir die Familienförderungen finanzieren, auf neue ökonomische Entwicklungen abstellen. Das bedingt eine Verbreiterung der Finanzierungsbasis und einen schritt


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