Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 106. Sitzung / Seite 180

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Außerdem: Abschaffen und dergleichen haben wir überhaupt nicht verlangt! Im Gegenteil! Aber man muß sich wirklich überlegen, ob manche Dinge in der Form erforderlich sind, wie sie jetzt geregelt sind.

Ich nenne als Beispiel das Medizinstudium: Ich muß Ihnen sagen, daß ich wesentlich mehr von einer Terminologie-Unterrichtseinheit profitiert hätte, in der mir die griechischen und lateinischen Fachausdrücke beigebracht worden wären. Statt dessen habe ich gelernt, Cicero und Cäsar zu übersetzen, was mir für mein Fortkommen beim Medizinstudium herzlich wenig gebracht hat.

Ich möchte Ihnen sagen, daß ich mich gewiß unter jenen Personen hier im Hause befinde, die in ihrem Leben viele Sprachen lernen mußten oder wollten. Ich habe Kenntnisse in zahlreichen Sprachen erworben, und ich nehme an, daß ich meine Sensibilität für Sprachen nicht bekommen habe, weil ich Latein gelernt habe, sondern weil ich von Kindesalter an mit zahlreichen Fremdsprachen konfrontiert war. Mich interessieren die Fremdsprachen an sich gar nicht, es fällt mir nur in gewissem Maße leicht, sie zu erlernen, das muß ich zugeben. Sich in einer anderen Sprache auszudrücken empfand ich seit meinem vierten Lebensjahr nicht als besonders abstrus.

Daher kann ich mich nicht Ihrer logischen Folgerung anschließen, wenn Sie sagen, daß jemand, der nicht Latein gelernt hat, kein Sprachgefühl haben kann. Ich wette mit Ihnen, daß Ihnen die Ohren schlackern würden, wenn Sie feststellen, was für ein Sprachgefühl ich habe, und zwar nicht nur in Sprachen, die Latein als Basis haben, sondern auch in Sprachen, die mit Latein überhaupt nichts zu tun haben! So habe ich in meinem Leben zum Beispiel auch ein bißchen Chinesisch gelernt. Ich habe es dann aber leider aufgeben müssen, weil das neben meiner Beschäftigung mit der Medizin doch meine Kapazitäten gesprengt hat.

Ich möchte Ihnen dazu noch einige Meinungen näherbringen. – Erziehungswissenschafter Karl Heinz Gruber begrüßte 1996 das Ende von Latein als angstbesetztem Pflichtfach, und ich gebe ihm völlig recht. Offensichtlich – Sie haben das ohnedies sehr gut ausgedrückt – ist die Art und Weise, wie es unterrichtet wird, falsch. Wir sollten uns daher überlegen, wie wir es besser unterrichten können. Da gebe ich Ihnen völlig recht.

Der Dekan der juridischen Fakultät der Universität Wien 1996 Peter Pieler sagt: "Für das Jusstudium sind Lateinkenntnisse an sich nicht erforderlich, aber die sprachlichen Voraussetzungen sind für den Juristen besser, wenn er Latein gelernt hat, weil es auch zum Bewußtsein der deutschen Sprache sehr wertvolle Beiträge leistet."

Im Hinblick darauf verstehe ich Kollegin Petrovic nicht, die sagt, daß für die Entwicklung des Sprachgefühls von Juristen Latein absolut notwendig ist, eben eine Conditio sine qua non. Denn wenn dem so wäre, dann müßten eigentlich die meisten Juristen auf der ganzen Welt absolute Scharlatane in ihrer Domäne sein, die sich überhaupt nicht spezifisch ausdrücken können. Demnach könnten sie keine Verhandlungen führen und keine Sensibilitäten entwickeln. Ich verstehe diesen Zugang nicht, der in einer Presseaussendung des Herrn Kollegen Lukesch von heute gegipfelt hat, gemäß welcher er vehement gegen mich aufgetreten ist. Das bin ich gewohnt! Aber wenn Sie sagen, daß meine Vorlage im Kern darauf abzielt, Latein als Voraussetzung für viele Studienrichtungen, etwa Jus oder Medizin, abzuschaffen, dann muß ich Ihnen sagen: Kein Wort steht von Abschaffen in dieser Vorlage! Lesen Sie mir die Passage vor, in der "abschaffen" steht!

Weiter sagt Lukesch: "Österreichische Akademiker sollen sich bewußt von anderen Ländern, besonders den USA, durch Kenntnisse der europäische Geschichtswurzeln, der europäischen Philosophie, aber auch vieler europäischer Sprachen, die alle mit Latein transportiert werden, unterscheiden." – Wenn Sie anstreben, daß wir uns auf universitärer Ebene von den Studenten in den USA insofern unterscheiden sollen, daß man sagt: Wir sind ja viel besser!, dann muß ich sagen: Unter diesem Aspekt verstehe ich die USA nicht, warum sie nicht sofort Latein einführen! (Zwischenruf des Abg. Dr. Lukesch. ) Denn in den USA werden die Studenten gefordert. Man erwartet selbstverständlich von den Studenten einerseits, daß sie ihr Bestens geben, anderer


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