Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 120. Sitzung / Seite 77

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Sehr geehrte Damen und Herren! Als am 3. Dezember 1993 um 11.05 Uhr in Hartberg eine Briefbombe detonierte und den Priester Mag. August Janisch verletzte, nahm ein Kriminalfall seinen Anfang, der sich zum aufsehenerregendsten, langwierigsten und umfangreichsten in der Geschichte der Zweiten Republik entwickelte und das österreichische Innenressort und uns alle vor eine große Belastungsprobe stellen sollte.

Die Terrorserie dauerte bis zum 9. Dezember 1996 und umfaßte in sechs Serien insgesamt 25 Briefbomben, eine Rohrbombe und zwei Sprengfallen. Trauriger Höhepunkt der Anschläge war der 4. Februar 1995 mit der Explosion einer Sprengfalle in Oberwart, die vier Menschenleben forderte. Neben den vier Todesopfern wurden im Zuge der Anschläge 15 Personen zum Teil schwer verletzt; auch Mitglieder dieses Hauses waren Ziel des Terrors.

Diesen Menschen und ihren Angehörigen gilt nach wie vor unser Mitgefühl. Wir teilen ihren Schmerz, ihre Trauer und die Erschütterung vor einem menschenverachtenden Terror.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Polizei stand dieser für Österreich neuen Dimension des Terrors zunächst unvorbereitet gegenüber. Es fehlte an Erfahrung in der Bewältigung von Ausnahmesituationen dieser Art, aber auch an Ausrüstung und spezifischer Ausbildung. Dieses Manko wurde nach und nach ausgeglichen. Heute beherrschen die zur Bewältigung terroristischer Sonderlagen zuständigen Organisationseinheiten des Innenministeriums das einschlägige Krisenmanagement in hohem Maße.

Bei der Klärung stellte sich den Ermittlern eine zweifache Aufgabe: zunächst die sicherheitspolizeiliche, die vor allem in dem Ziel gipfelte, keine weiteren Anschläge zuzulassen, aber auch im kriminalpolizeilichen, nämlich dem Ziel der Überantwortung des Tatverdächtigen an das Strafgericht. Beide Aufgaben konnten nur durch die Ausforschung des oder der für die Terrorserie Verantwortlichen bewältigt werden.

Die Tätersuche konzentrierte sich von allem Anfang an auf die rechtsradikale Szene. Die Auswahl der Opfer der ersten Bombenserie – nahezu ausnahmslos Persönlichkeiten, die sich für Fremde engagiert hatten – sowie die in den Sprengkörpern eingearbeiteten Bekennungen wiesen scheinbar in diese Richtung.

Mit der Festnahme von Peter Binder und Franz Radl Mitte Dezember 1993 schien sich dieser Verdacht zu bestätigen und ein rascher Erfolg einzustellen. – Der Prozeß gegen diese beiden Männer endete aber nicht nur mit einem Freispruch in der Briefbomben-Causa: Der Terror setzte sich auch ab August 1994 unvermindert fort.

Dazu gab es seit Oktober 1994 Bekennerschreiben einer "Bajuwarischen Befreiungsarmee", die vorher noch nie in Erscheinung getreten war. Diese Schreiben bestätigen in ihrem Inhalt die durch die Opferauswahl der Briefbombenserien gezeigten Tendenzen einer fremdenfeindlichen, rassistischen Denkweise historisierender deutsch- beziehungsweise österreichtümelnder Provenienz.

Bereits 1995 begann sich aber unter den Ermittlern die Überzeugung durchzusetzen, hinter den Anschlägen könnte ein Einzeltäter oder eine kleine Gruppe von bis zu drei Personen stehen, die nicht dem Kreis der sogenannten Rechtsradikalen angehören müßten. Die Ermittlungstätigkeit wurde in diese Richtung intensiviert. Das Bundesministerium für Inneres, dessen politisch Verantwortliche zu jeder Zeit die Aufklärungsarbeit der Ermittler unterstützten, hatte mittlerweile die anfänglichen Probleme, die auch zu verschiedenen Fehlleistungen geführt hatten, überwunden und begann, offensiv zu werden.

Am 7. März 1995 wurde ein erstes Täterprofil – zugeschnitten auf eine Gruppe von drei Personen – veröffentlicht und eine Belohnung von 10 Millionen Schilling für sachdienliche Hinweise ausgesetzt. Gleichzeitig wurde österreichweit die gesamte Exekutive durch Verteilung einer umfangreichen Information über den Erkenntnisstand in die Fahndung eingebunden.

Im Herbst 1995 wurde die "Sonderkommission Briefbomben", die bald nach den ersten Attentaten errichtet wurde, räumlich von der "Einheit zur Bekämpfung des Terrorismus" getrennt, und


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