Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 162. Sitzung / 61

einer wirtschaftlichen Entwicklung, die für uns durch dürre Zahlen nicht besser erfaßbar werden. Wenn klar ist, daß man eine Notstandshilfe nur dann erhält, wenn sonst kein Einkommen vorhanden ist, und wenn man weiß, daß die Notstandshilfebezieherinnen im Durchschnitt nur 6 000 S erhalten und mehr als 60 Prozent der Frauen, die Notstandshilfe beziehen, unter 6 000 S erhalten und von diesem Geld leben müssen, dann muß man fragen: Wäre das nicht eigentlich Grund genug, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei und von der Österreichischen Volkspartei, daß Sie nicht nur Ihre Steuerreform abfeiern – wir werden noch Gelegenheit haben, darüber zu sprechen –, sondern auch darauf hinweisen, daß da dringend etwas gemacht werden müßte?

Wie soll man denn in diesem Land von 6 000 S leben? Und es leben nicht Hunderte Menschen beziehungsweise nicht Hunderte Frauen, sondern Tausende, Zehntausende davon! Ist das kein Grund, hier eine Debatte darüber zu führen und nach Maßnahmen zu suchen, etwa sich über Konzepte einer Mindestsicherung, einer Grundsicherung in diesem Bereich zu unterhalten, damit es diesen Personen besser geht? Brauchen wir nicht darüber nachzudenken, können wir es uns so einfach machen und sagen: Die Risiken werden eben immer mehr, und die Politik hat es immer schwerer? Wir können nichts machen, wir können nicht eingreifen!

Ich will es mir nicht so einfach machen! Und da komme ich noch einmal zur Kollegin Reitsamer zurück. Denn der Satz über die Bahn und Post war für mich bezeichnend, Frau Kollegin. Wenn, wie Sie vollkommen richtig festgestellt haben, auf der einen Seite Bahn und Post, die noch vor wenigen Jahren staatliche Paradebetriebe waren, diejenigen Betriebe sind, in denen die Überstundenhetze an meisten fortgeschritten ist und wo der Druck, Überstunden machen zu müssen, am deutlichsten ist, weil das Personal knapp ist, und wenn auf der anderen Seite ausgerechnet diese Betriebe Personalabbau betreiben, auch mit Hilfe von Frühpensionierungen, wenn Kolleginnen und Kollegen aus diesen Betrieben sozusagen mit staatlicher Unterstützung in die vorzeitige Alterspension geschickt werden, dann, Herr Kollege Hums, müßten Sie eigentlich hier heraußen stehen und dieses System anprangern. Aber Sie tun es nicht!

Sie tun es nicht, weil es bisher immerhin noch so gelaufen ist, daß die Gewerkschaft das auch manchmal irgendwie als Erfolg darstellen konnte. Aber für die Betroffenen – und das ist aus einigen Eckdaten erkenntlich, und zwar auch im Zusammenhang mit der Arbeitszeitproblematik – schaut die Lage inzwischen anders aus.

Ich glaube, wir sollten es uns nicht so einfach machen, nur die Daten im Sozialbericht zu referieren, sondern manchmal auch etwas darüber nachdenken, was dahintersteht. Da gilt es, nicht nur festzuhalten, daß in Österreich 11, 12, 13 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet sind, sondern sich auch anzusehen, welche Personengruppen es sind, die armutsgefährdet sind. Und wenn ausgerechnet das vielbeschworene österreichische Sozialsystem teilweise diese Personengruppen von Armutsgefährdeten produziert – und das darzulegen habe ich mit den Daten betreffend die Notstandshilfe versucht –, dann ist die Lage dramatisch, dann ist es wirklich Zeit, einzuschreiten.

Aber in dieser Beziehung ist nichts passiert. Und Sie können sich noch so sehr auf die Schultern klopfen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, das ist kein Erfolgsausweis, und das bedeutet nach wie vor, daß Zehntausende, vor allem Frauen, aber nicht nur diese, von Geldern leben müssen, von denen man eigentlich nicht leben kann.

Meine Damen und Herren! Eigentlich wären diese Eckdaten im Sozialbericht eine vernichtende Kritik an den Regierungsparteien, denn es wird in Österreich relativ viel Geld – nicht übermäßig; das gebe ich schon zu – für soziale Leistungen aufgewendet. Und wenn Sie so überzeugt sind, daß die Sozialleistungen treffsicher sind, dann schauen wir uns doch an, was mit einigen der Maßnahmen, die Sie etwa in den Sparpaketen gesetzt haben, in den letzten Jahren an Treffsicherheit produziert wurde! Genau jenen wurde Geld weggenommen, die es am dringendsten gebraucht hätten, genau jenen hat man Leistungen vorenthalten! Und das findet sich auch wieder ganz versteckt und natürlich nur in nüchterne Zahlenreihen gekleidet in diesem Sozialbericht, etwa bei der Entwicklung der Nettomasseneinkommen. Gar nicht gut schaut es dabei aus!


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