Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 165. Sitzung / 85

Vor diesem Hintergrund ist vielleicht noch etwas erwähnenswert. Warum hat Österreich – als neutrales Land, wie ich heute wieder gehört habe – seine Botschaft in Belgrad blitzartig geschlossen, wenn doch NATO-Länder wie Italien und Ungarn ihre Botschaften offenhalten und auch das bündnisfreie Schweden keine Sekunde daran gedacht hat, jede konsularische Tätigkeit einzustellen? – Darum geht es nämlich.

Ich verstehe, daß wir unser Botschaftspersonal nicht beliebigen Risken aussetzen können. Auf der anderen Seite höre ich aber immer, daß die NATO-Schläge sich ohnedies auf militärische Ziele konzentrieren. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Residenz des österreichischen Botschafters oder das österreichische Botschaftsgebäude selbst prioritär auf der Zielliste der NATO gestanden wären. Außerdem könnte man ja auch durchaus andere sicherheitsmäßige Vorkehrungen treffen, um das eigene Personal nicht zu gefährden.

Daß man es ausdünnt und den Betrieb reduziert, all das könnte ich verstehen, nicht aber, daß man keine Schnittstelle mehr aufrecht erhält für Menschen, die dort konsularischer Hilfe bedürfen, für Serben – die Kosovo-Albaner sind serbische Staatsbürger! –, die unter Umständen versuchen, auf einem anderen Weg als nur durch die bloße, nackte Flucht aus dem Land herauszukommen.

Das finde ich bemerkenswert. Denn ich hätte gedacht, daß – wenn sich die österreichische Bundesregierung in der Neutralitätsfrage ernst nimmt – gerade das Offenhalten der Botschaft ein Symbol dafür gewesen wäre, daß wir an diesem militärischen Konflikt nicht beteiligt sind. Aber sich nicht zu beteiligen, keine Verantwortung zu übernehmen und außerdem blitzartig jede Schnittstelle zurückzuziehen, während – ich sage das noch einmal – zwei NATO-Staaten, nämlich Italien und Ungarn, ebenso wie Schweden ihre Botschaften offenhalten und das Personal offenbar nicht als persona non grata behandelt wird: das finde ich einfach schade. Denn das bedeutet einen Glaubwürdigkeitsverlust, den wir uns ersparen hätten können, sowohl in politischer als auch in humanitärer Hinsicht.

Daher glaube ich, Österreich wird mehr tun müssen, als sich auf die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung zu verlassen. Es wird auch mehr tun müssen, als Geld für ein Camp in Albanien zur Verfügung zu stellen. Es wird die humanitären Grundfragen anders beantworten müssen. Das Versagen in der Präsidentschaft ist wahrscheinlich leider nicht aufholbar.

Damit bleibt mir zu diesem Zeitpunkt der Debatte folgende Bemerkung. Meine Klubobfrau hat einen Entschließungsantrag eingebracht, der sich mit dem nicht vorliegenden Optionenbericht beschäftigt. Es ist ja der Unterbau des österreichischen Dilemmas, daß die Bundesregierung sich bisher nicht entschlossen hat, diesem Haus einen Bericht darüber vorzulegen, welche Lösungspfade in Frage kommen und welchen Lösungspfad sie präferieren würde.

Aber kein einziger Debattenredner ist seither darauf eingegangen, vor allem keiner von den Regierungsparteien. Offenbar vermissen Sie das gar nicht. Offenbar sind Sie der Meinung: Es ist gut, wenn Unsicherheit vorherrscht, wenn wir auf schwankendem Boden Außenpolitik machen und im Inland Hickhack betreiben. Nur so ist auch dieses fünfjährige Diskussionsmoratorium zu verstehen, das der Herr Bundeskanzler ausgerufen hat.

Wir haben nämlich schon ein vierjähriges Moratorium dieser Art hinter uns, seit wir in der Europäischen Union sind. Wir haben schon vier Jahre lang nichts getan, um das Dilemma aufzulösen, in dem wir uns durch das Spannungsfeld zwischen dem Beitritt in die Union und dem Neutralitätsgesetz aus dem Jahre 1955 befinden. – Daß das ein Spannungsfeld ist, ist noch die bescheidenste aller Beschreibungsformen.

Wir haben nichts getan! Wir haben nur unterschiedliche Positionierungen durcheinander zugerufen bekommen. Und jetzt sollen wir noch einmal ein fünfjähriges Moratorium machen – gleichzeitig aber eine Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik? Oder wollen wir uns zurückziehen? – Daß bisher kein Vertreter der Regierungsparteien dazu Stellung genommen hat, sagt meiner Ansicht nach mehr über das Dilemma und die Unfähigkeit der Regierung aus als alles andere.


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