Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 175. Sitzung / 122

wicklungschancen der Kinder bedeutet. So ist es inkonsequent, daß die Bundesregierung auf der einen Seite der älteren Generation durch die Einführung des Bundespflegegeldes eine Existenzsicherung bietet, auf der anderen Seite jedoch der Jugend bisher vergleichbare Maßnahmen wie zum Beispiel die Einführung des Kinderbetreuungsschecks vorenthält.

Diese Versäumnisse zeigt der Bericht der Expert/innenarbeitsgruppe ‚Einbinden statt Ausgrenzen – Neue Strategien gegen die Armut‘, der durch das BMAGS vor wenigen Tagen vorgestellt wurde, deutlich auf: Personen in Haushalten mit Kindern machen zwei Drittel der armen Bevölkerung aus. Auffallend ist dabei die Situation der Frauen: Die Frauenerwerbsquote, die überproportional stark von unterschiedlichen regionalen Situationen wie Anzahl und Art der angebotenen Arbeitsplätze und der öffentlichen Infrastruktureinrichtungen betroffen ist, nimmt nicht nur mit steigender Kinderzahl ab, sondern ist auch in den Bundesländern unterschiedlich hoch. So besteht zum Beispiel ein starkes Gefälle zwischen Wien und Kärnten, wo die Frauenerwerbsquote um 14 Prozent unter der der Bundeshauptstadt liegt. Die Möglichkeit für Frauen, am Er-werbsleben teilzuhaben, ist stark an eine kinder- und elternfreundliche Infrastruktur von Kinderbetreuungseinrichtungen geknüpft. So heißt es etwa in dem Expertenbericht, daß trotz ‚Kin-dergartenmilliarde‘ laut Mikrozensus noch immer ein zusätzlicher Bedarf von 120 000 bis 145 000 Betreuungsplätzen besteht, wobei der größte Reformbedarf beim Angebot von Betreuungsplätzen für Kinder bis zum dritten Lebensjahr gegeben ist (siehe Expertenbericht Seite 15).

Niedriges Familieneinkommen und familiäre Verpflichtungen sind sichere Wege in die Armut. Rund 1,1 Millionen Menschen in Österreich sind potentiell von der Armut bedroht, das bedeutet, daß ihr verfügbares Pro-Kopf-Einkommen unter der Hälfte des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens von netto 15 000 S liegt. Wird Armut nach Altersgruppen differenziert, so zeigt sich, daß zirka 140 000 Kinder der Armutsgefährdungsquote zuzurechnen sind und in Familien leben, in denen das Pro-Kopf-Einkommen nicht einmal 7 500 S beträgt (siehe Expertenbericht Seite 18).

In der Phase der Elternschaft, in der kleine Kinder betreut werden müssen, ist das Sozial- und Verarmungsrisiko besonders hoch: Das Erwerbseinkommen der meisten Eltern in dieser Zeit ist geringer als das anderer Erwachsener ohne Kinder, da sie sich in der beruflichen Einstiegsphase befinden und aufgrund des jungen Alters ihrer Kinder im Berufsleben benachteiligt werden. Bezeichnend ist die niedrige Erwerbsquote von Müttern mit Kleinkindern überhaupt und die Tatsache, daß Karenzgeld zu einem Zeitpunkt bezogen wird, wo einerseits auf ein Erwerbseinkommen verzichtet werden muß und das vorhandene geringere Haushaltseinkommen für die zusätzlichen Belastungen der vergrößerten Familie und der Kinderbetreuung aufgeteilt werden muß (siehe Expertenbericht Seite 25). Zu erwähnen ist auch, daß zirka 10 Prozent der Mütter, das sind Frauen, die während ihrer Ausbildung ein Kind bekamen beziehungsweise Mütter, die wegen der Betreuung mehrerer Kinder seit längerem nicht mehr im Erwerbsleben stehen, Bäuerinnen und Selbständige, derzeit überhaupt nicht anspruchsberechtigt sind, Karenzgeld zu beziehen, wodurch die vielfach vorhandene angespannte ökonomische Situation dieser Frauen noch zusätzlich verstärkt wird.

Die Effektivität der österreichischen Familienförderung weist grobe Mängel auf. Es ist evident, daß das Armutsrisiko in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen ist. Die Bundesregierung trifft seit Jahren keine wirksamen Maßnahmen gegen die Benachteiligung der österreichischen Familien, vielmehr haben die Sparpakete der vergangenen Jahre die ökonomische Situation der Familien erheblich verschlechtert, wie folgendes Pressezitat (Wirtschaftsblatt, 14.1.1999) treffend beschreibt: ‚Die Sparpakete der Jahre 1995 und 1996 haben die soziale Treffsicherheit weiter verschlechtert. Gut ein Viertel der Familienförderung fließt ins obere Einkommensdrittel. Die Kürzung der Familienbeihilfe, die Streichung der Geburtenbeihilfe und die Senkung des erhöhten Karenzgeldes haben die Bezieher niedriger Einkommen am stärksten getroffen.‘

Angesichts der dargestellten bedrohlichen Situation für Österreichs Familien ist eine Trendwende der österreichischen Familienpolitik dringend angezeigt. Reformen, die den Eltern eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch mehr individuellen Gestaltungsspielraum und die Entscheidungsfreiheit bei der Wahl der Kinderbetreuung ermöglichen und dadurch auch


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