Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 47. Sitzung / Seite 51

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Diese Regierung steht zunächst einmal jedenfalls dafür, dass sie, was die Aussagen zu den dunkelsten Kapiteln der Geschichte dieser Republik betrifft, hinter den – wenn dieser Begriff in diesem Zusammenhang erlaubt ist – Standard des Vranitzky-Kabinetts zurückfällt. Dafür steht diese Regierung mit den Schüssel-Aussagen sicher einmal. Ich werde jetzt noch näher darauf eingehen.

"Die ganze Wahrheit soll strapaziert werden", sagt der Bundeskanzler. Die ganze Wahrheit! Er selbst präsentiert aber nur einen kleinen Ausschnitt, einen in Wirklichkeit formalen Aspekt der Abfolge. Historikerinnen und Historiker können ganz gut die Begrifflichkeiten unterscheiden. Der Herr Bundeskanzler hat geschildert, dass es einen "Anschluß"-Druck von außen gegeben hat. Es gab aber auch "Anschluß"-Wünsche und einen "Anschluß"-Druck von innen. Sogar in der Regierung hat es zu dieser Zeit Tendenzen in diese Richtung gegeben. Es gab auch einen "Anschluß"-Druck – und das ist das Bedenklichste und auch das Schlimmste im Nachhinein gesehen – von unten.

Übrigens: Wenn schon die ganz Wahrheit, dann sollte man auch die Jahre 1934 bis 1938 und Dollfuß und Schuschnigg nicht ganz vergessen.

Aber bleiben wir nur bei den nationalsozialistischen Aspekten. Der "Anschluß"-Druck von unten ist eigentlich das Tragische für die Republik, auch heute noch, und der Umgang damit und die Verdrängung, die erfolgt ist. Und genau in diesem Kontext ist es so tragisch, wenn immer wieder vornehmlich die Opferrolle Österreichs strapaziert wird, weil genau unter diesem Deckmantel, genau damit jahrzehntelang auch das Verschweigen gerechtfertigt worden ist. Ganze Lehrergenerationen haben damit leben können und wurden damit ausgestattet und auf die Reise geschickt, dass sie beim Geschichtsunterricht 1918 aufgehört haben. Es wurde immer noch damit argumentiert, dass Österreich ja angeblich Opfer war. (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Reitsamer. )

Deshalb gibt es eigentlich weitere Opfer dieser Herangehensweise und Zugangsweise, nämlich jene, denen die Wahrheit vorenthalten worden ist. Ich selbst zähle mich tatsächlich dazu. Ich bin erst in der Oberstufe des Realgymnasiums mit dem konfrontiert worden, was sich in Österreich abgespielt hat, und ich halte das für beschämend. Dabei bin ich Ende der siebziger Jahre in einer so genannten fortschrittlichen Schule gewesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPÖ, Sie wissen schon, worauf das hinausläuft. Auch Sie sind nicht ganz ohne Verantwortung, was das Verdecken der Geschichtswahrheiten in unserem Lande angeht.

Die Rechtfertigung dafür war immer, dass Österreich Opfer war. Deshalb sollten wir mit diesen Begrifflichkeiten vorsichtig sein, und vor allem sollten wir diesen einen Aspekt, den der Bundeskanzler hier historisch beleuchtet hat, nicht derart in den Vordergrund stellen.

Ich bin selbst kein Historiker (Zwischenruf des Abg. Dr. Trinkl ), aber diese Sichtweisen traue ich mich schon zu beurteilen, und ich bin mir auch sicher, dass andere prominente Historiker nicht anderes zutage fördern. Jedenfalls würde ich den Kanzler nicht in diese Riege mit aufnehmen, möchte aber genau deshalb den deutschen Historiker Hans Mommsen zitieren und noch einmal belegen, dass es in Österreich ein großes Problem war, dass es einen "Anschluß"-Druck von innen und vor allem von unten gegeben hat.

Mommsen: Die Begeisterung der Mehrheit der Österreicher über die Vereinigung mit dem Reich war echt – echt! –, und die Szenen auf dem Heldenplatz brauchten nicht gestellt zu werden. Es brauchte keine Regierungspropaganda organisiert werden. – Das ist es, was wir bei dieser Argumentation nicht außer Acht lassen dürfen. (Beifall bei den Grünen.)

Und – der Herr Kanzler ist ja leider nicht mehr anwesend – als Steirer fällt mir noch etwas Unangenehmes zu dieser Debatte ein – von wegen "Anschluß" und Österreich überrollt. In Graz sind die Nazis schon bei der Machtübernahme gewesen, als noch kein deutsches Militärfahrzeug in Salzburg über die Grenze gerollt ist. Da wurde in Graz schon die Rathauspforte von den Nazis gestürmt, und es wurde eine Stadtregierung – oder jedenfalls etwas, was sich als solche verstehen wollte – ausgerufen. Später wurde Graz noch gewürdigt dafür, dass das die Stadt der Volkserhebung war.


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