Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 49. Sitzung / Seite 94

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

der Wiedergutmachung für Zwangsarbeiter gelöst hat und immer noch Verhandlungen über die Vermögensrestitution führt.

In diesem Sinne hat sich auch kürzlich, vor zwei Tagen, nämlich in der Debatte vom 28. November, der Herr Bundeskanzler ausführlich geäußert. Österreich hat damit zu leben, dass es zwischen 1938 und 1945 in Österreich Täter und Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gab und dass wir auch moralische Verantwortung dafür tragen, wie sich das demokratische Österreich nach 1945 dieser Frage gestellt hat.

Wenn wir aber heute zu Recht sagen, dass wir als Österreicher moralische Verantwortung für die Vergangenheit und ihre schwierige Aufarbeitung tragen, so müssen wir als Österreicher aber auch sagen dürfen, dass, wie es nämlich der Historiker Gerald Stourzh formuliert hat, "das Ende Österreichs vom März 1938 ein von außen getragener Gewaltakt" – wörtliches Zitat – "war". Das entschuldigt keinen einzigen Täter, gehört aber zu Recht auch zur österreichischen Geschichte. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich möchte nur noch anfügen, dass ich es bedauere, dass dieses Thema inzwischen zum Anlass von parteipolitischer Polemik genommen wird, indem die so genannten moralisch Guten nur über eine österreichische Täterrolle sprechen und andere als die moralisch Bösen dargestellt werden, weil sie sich nicht an einem solchen einseitigen Umschreiben der Geschichte beteiligen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Waren denn die Zigtausenden österreichischen Opfer des Nationalsozialismus nicht auch Teil dieser Geschichte? Und auch hier erinnere ich an die Rede von Bartoszewski, die ich zwar jetzt nicht zitiere, die aber jeder nachlesen kann. Sollen die Täter die absurde Genugtuung erhalten, dass sie zum Wesentlichen Österreichs und der Österreicher erklärt werden? Sie entwerten nämlich damit, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Opfer all jener, die in Österreich in Opposition zum Hitlerregime waren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich kann daher nur alle Fraktionen in diesem Haus nochmals ersuchen, ernst zu nehmen, was Bartoszewski am 4. Mai in diesem Parlament ebenfalls sagte – und damit würde ich schon schließen –:

"Ohne kritisches Nachdenken über die Vergangenheit ist es unmöglich, einen vernünftigen Blick in die Zukunft zu erlangen – in eine bessere, der neuen Generation würdige Zukunft." – Danke, Herr Präsident! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

15.19

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich danke der Frau Bundesministerin.

Wir gehen jetzt in die Debatte ein. Jede Fraktion hat Gelegenheit zu einer Stellungnahme von je 5 Minuten. Wir gehen nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen vor.

Herr Abgeordneter Dr. Kostelka erhält als Erster das Wort. – Bitte.

15.20

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ): Sehr geehrte Frau Bundesminister! Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Sie haben es soeben getan, und Herr Bundeskanzler Schüssel und Kollege Khol haben es vor wenigen Tagen mit allem Nachdruck getan, als die Rolle Österreichs anlässlich seines Untergangs im Jahre 1938 neu diskutiert wurde, und zwar mit der Begründung, dass die Zeitgeschichte nicht umgeschrieben werden darf.

Meine Damen und Herren! Genau das ist aber offensichtlich die Absicht von Vertretern der Bundesregierung! Militärisch gesehen haben Sie sicherlich Recht, aber der Untergang Österreichs im Jahre 1938 lässt sich nicht nur auf die militärhistorischen Aspekte einschränken. Wer immer Geschichte verknappt, verfälscht sie, und das ist der Grund dieser Diskussion. (Beifall bei der SPÖ.)


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite