Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 55. Sitzung / Seite 167

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Die Truppen des "Deutschen Reiches" sind 1938 in Österreich einmarschiert. Über die Art und Weise sowie die Bewertung dieses Einmarsches gibt es verschiedene Theorien.

Wir kennen die Moskauer Deklaration von 1943, die besagt: Österreich war das erste Opfer Hitler-Deutschlands. Und erst vor ganz kurzer Zeit hat einer der prominentesten Widerstandskämpfer, die Gott sei Dank noch am Leben sind, nämlich Fritz Molden, gesagt, dass es keines gewaltsamen Einmarsches bedurft hätte, wenn Österreich freiwillig im "Deutschen Reich" aufgegangen wäre. – Ich glaube, das ist etwas sehr Wesentliches! Wir dürfen doch nicht außer Acht lassen, dass der Einmarsch letztlich deshalb durchgeführt wurde, weil die österreichische Regierung eine Volksabstimmung in Freiheit angeordnet hat. Weil die deutschen Machthaber den Ausgang einer derartigen, wie ich glaube, von Patriotismus getragenen Volksabstimmung gefürchtet haben, ist es zum Einmarsch gekommen. Und eine Volksabstimmung in einem besetzten Land, in dem Menschen auf Grund ihrer Rasse, ihrer Abstammung, ihres religiösen Bekenntnisses oder ihrer politischen Einstellung verfolgt und eingesperrt werden, kann man naturgemäß nicht als reguläre Volksabstimmung bezeichnen, weil sie ja eine einzige Verfälschung des wahren Willens der Österreicherinnen und Österreicher war.

Aber ich verkenne auch nicht, dass Österreicher maßgeblich in die Todesmaschinerie des Holocaust eingebunden waren. Es hat unter ihnen maßgebliche Schreibtischtäter gegeben. Ich selbst habe die Protokolle der Wannsee-Konferenz, die 1942 stattgefunden hat, eingesehen und diesen fürchterlichen bürokratischen Zynismus, der damals geherrscht hat, zur Kenntnis nehmen müssen: Es wurde gesagt, man müsse die noch auf deutschem Staatsgebiet befindlichen Angehörigen der jüdischen Bevölkerung dem härtesten Front- und Straßenbaueinsatz unterziehen, unter schwersten Bedingungen, sodass davon auszugehen sei, dass die jüdische Bevölkerung und Rasse in Zentraleuropa fast zur Gänze vernichtet werde. Sofern es aber dann noch immer Überlebende geben sollte, sei dem Leben auch dieser Menschen ein Ende zu bereiten, da diese ja nach der völlig irrwitzigen Rassenlehre besonders dazu geeignet wären, sich dann zu vermehren und besonders gestählte Menschen hervorzubringen.

Auch diese Rolle, die Österreicher sowohl als Schreibtischtäter als auch als KZ-Schergen gespielt haben, soll durchaus nicht verkannt werden!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stellen uns dieser Verantwortung. Es gab Lücken in der Entschädigungs- und Restitutionsgesetzgebung, die mit Recht aufgezeigt wurden. Diese Lücken sollen geschlossen werden. 150 Millionen Dollar werden, wie mein Vorredner bereits ausgeführt hat, nun aufgewendet, um den Verlust von Mietrechten, Hausrat, beweglichen Sachen und dergleichen auszugleichen, und eine Gesamtabfindungssumme von 210 Millionen Dollar soll einbezahlt werden, um noch offene Entschädigungsansprüche abzugelten.

Dann allerdings, wenn diese Gelder ausbezahlt sind, ist auch der Schlussstrich unter die finanziellen Forderungen gezogen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was ich sehr bedauere und nicht unausgesprochen lassen kann, sind die heutigen Störversuche des Vorsitzenden der Kultusgemeinde, Dr. Ariel Muzicant. Ich bin persönlich massiv betroffen, wenn er davon spricht, er, Muzicant, "habe den Eindruck, als ob der eine oder andere immer noch ,die Herrenrasse‘ hervorkehre, ‚und den Opfervertretern erkläre, wo es langgehe‘." – Das meint er mit Bezugnahme auf die Ausschussmitglieder.

Ich muss sagen, das ist der furchtbaren NS-Phraseologie entnommen, und ich bin wirklich entsetzt. (Abg. Öllinger: Es ist besser, Sie hören auf!) Ich fühle mich damit auch persönlich angegriffen (die Abgeordneten Dr. Pilz und Mag. Stoisits: Besser aufhören!), wenn man gerade bei einem Gesetz, bei dem es doch darum geht, den Geist der Übereinkunft und der Versöhnung zu beschwören, derartige Worte für Verhandlungsführer, Verhandler und Ausschussmitglieder findet (Abg. Mag. Posch: Es ist besser, Sie hören auf! – Abg. Edlinger: Ein absolut peinlicher Mensch ist das!), die sich wirklich dafür eingesetzt haben, dass es auch zu dieser Gesetzgebung gekommen ist.


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