Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 97. Sitzung / Seite 138

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Es ist eine seltsame Situation, in der wir hier diskutieren. Es gab jahrelange sicherheitspolitische Debatten, in denen die Österreichische Volkspartei immer wieder sagte: Bitte, nehmen wir das Wort "Neutralität" nicht mehr in den Mund. – Plötzlich erklärt der Herr Bundeskanzler, er, die Bundesregierung und die Steuerzahler müssten mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln die österreichische Neutralität verteidigen.

Gehen wir Schüssels Aussagen zur Neutralität einmal durch.

Schüssel, die Erste, am 20. November 1997: Bei einem NATO-Beitritt muss Österreich seine Neutralität nicht aufgeben. – Wir nehmen das zur Kenntnis.

Schüssel, die Zweite, am 16. August 1999: Schüssel will die Neutralität nicht abschaffen, sie werde in Zukunft aber auf die Bereiche außerhalb Europas eingeschränkt werden. – Stellen wir uns einmal vor, was das für die Beschaffung der Abfangjäger bedeuten würde: Wenn die österreichische Neutralität in Europa nicht mehr gelten würde, könnte sie mit Abfangjägern nur noch außerhalb Europas verteidigt werden. – Ich bitte um eine Erläuterung, wie Sie das umzusetzen gedenken.

Schüssel, die Dritte: Am 10. August 1999 bemerkte der Außenminister, damals Wolfgang Schüssel, die Neutralität spiele überhaupt keine Rolle. Wer sei neugierig auf Neutralität? Und vor allem: zwischen wem? – Wenn man auf etwas nicht neugierig ist, muss man also dafür sorgen, dass das, worauf niemand neugierig ist, um 30 Milliarden Schilling verteidigt wird!

Schüssel, die Vierte (Abg. Mag. Kukacka: Pilz, die Letzte! – Abg. Dr. Stummvoll: Der Letzte!), am 15. Mai 1997: Die Adressaten des Neutralitätsgesetzes gibt es nicht mehr. – Leider gibt es nach wie vor die Adressaten der Abfangjägerbestellungen.

Schüssel, die Fünfte, am 21. Februar 2001: Wir müssen den Menschen ja irgendwann einmal die Wahrheit sagen. (Heiterkeit bei den Grünen und der SPÖ.) Seit wir in der EU sind, können wir doch nicht mehr neutral sein. (Abg. Dr. Jarolim: Witz des Tages!)  – Diesmal: kein Kommentar.

Schüssel, die Sechste, am 26. Oktober 2001: Die alten Schablonen Lipizzaner, Mozartkugeln oder Neutralität greifen in der komplexen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts nicht mehr. – So der Kanzler wörtlich. (Abg. Mag. Kukacka: Das stimmt ja! Das kann ja niemand bestreiten!)

Herr Bundeskanzler! Wie gedenken Sie jetzt die alten Schablonen wie Neutralität, Lipizzaner und Mozartkugeln wirkungsvoll zu verteidigen, und worauf müssen wir uns bei der Lipizzaner- und Mozartkugelverteidigung gefasst machen? (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Letztes Zitat, 24. August 1999, Wolfgang Schüssel: Die ÖVP werde jedenfalls bei einem Neutralitäts- und Sicherheitsschwindel nicht mitmachen. – Zitatende.

Zumindest dieses Wort, Herr Bundeskanzler, haben Sie nicht gehalten! (Abg. Mag. Kukacka: Dafür brauchen wir den Pilz!) Was hier passiert, ist ein neutralitäts- und sicherheitspolitischer Schwindel ersten Ranges.

Dahinter steht eine wichtige Frage, die zu beantworten Sie sich weigern: Welche Rolle soll Österreich in der europäischen und globalen Sicherheitspolitik wirklich spielen? – Hier werden alle, ob Befürworter oder Gegner der Neutralität, die neuen Fragen und die neuen Antworten diskutieren müssen. Wir befinden uns in einer Übergangsphase, in einer Übergangsphase, in der möglicherweise – und ich halte viel davon – am vorläufigen Ende auf Basis einer gemeinsamen Verfassung und eines funktionierenden Europäischen Parlaments eine Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion stehen kann.

Dann wird sich auch die Frage nach der Zukunft der Neutralität stellen. Da geht es um große sicherheitspolitische Perspektiven. In etwa einem Jahr wird das Kapitel Petersberger Aufgaben in Brüssel und auch in Wien erledigt sein. Dann werden sich die großen sicherheitspolitischen Zu


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