Es scheint mir
nicht so sehr eine Ironie, sondern die besondere Tragik der jetzigen Situation
zu sein, dass die USA damals, rund um das Ende des Zweiten Weltkrieges, als sie
maßgeblich daran beteiligt waren, die Vereinten Nationen aufzubauen, in der
gleichen Situation waren wie jetzt: die unbestrittenen Poleposition-Inhaber,
wenn Sie so wollen, in der Welt, militärisch, ökonomisch, in jeder Hinsicht
die Weltmacht Nummer eins. Das war, noch bevor auch in der Sowjetunion die
Atombombe in die Praxis umgesetzt wurde. Und damals haben sich die USA bemüht,
multilateral vorzugehen, die Interessen der anderen zu berücksichtigen, auch
langfristig zu denken im Interesse der Vereinigten Staaten selbst.
Ganz zu schweigen
vom Marshall-Plan, der speziell Westeuropa begünstigt hat, bis hin zur mehrfach
und glaubhaft vertretenen Bereitschaft zur Verteidigung Westberlins – eine
Fülle von Dingen, die die Westeuropäer gegenüber den Vereinigten Staaten von
Amerika verpflichtet haben und immer noch verpflichten. Aber selbst wenn man
zugesteht, dass eine derartige Dankesschuld, wenn Sie so wollen, eine gewisse
Verzinsung verträgt, muss man sagen, dass man Zweifel hat, starke Zweifel, ob
die jetzige Administration Bush Interesse hat, ja Wert darauf legt, diese
Fundamente der besonderen Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten
Staaten weiter zu festigen. Nach unserem Eindruck werden diese leichtfertig
oder systematisch, das ist von Fall zu Fall schwer zu beurteilen, aufs Spiel
gesetzt – aber nicht von den Europäern.
Der Irak-Krieg,
meine Damen und Herren, ist ja nur der vorläufige Höhepunkt, der vorläufige
Schlusspunkt einer längeren Kette von Entscheidungen der Administration Bush,
die zumindest in Westeuropa und, wie ich glaube, auch in Österreich zu
erheblicher Irritation, Frustration und zu einer Brüskierung der Staaten der
Europäischen Union geführt haben.
Die
Nicht-Ratifizierung des Kyoto-Protokolls beispielsweise durch jenen Staat, der
die größten Treibhausgas-Emissionen der Welt aufzuweisen hat, war eine
Brüskierung auch der Europäischen Union – durchgeführt durch die
Administration Bush. Weiters die Nicht-Ratifizierung, ja geradezu Blockade,
Sabotage der Installierung des Internationalen Strafgerichtshofes – das
war Politik der Administration Bush. Ich glaube nicht, dass es im langfristigen
Interesse der Vereinigten Staaten ist, das zu tun, aber aus kurzfristiger
Sicht haben sie so gehandelt. Es geht dabei um eine Sabotage des
Internationalen Strafgerichtshofes, der es zumindest auf lange Sicht
vorstellbar macht, einen Despoten, einen korrupten, verbrecherischen Machthaber
wie Saddam Hussein irgendwann auch einer Strafe zuzuführen, und zwar auf eine
legitime Art und Weise, mit Hilfe internationaler Regeln, wenn es sein muss,
vielleicht auch mit militärischer Gewalt, um das auch in aller Deutlichkeit
auszusprechen, aber nach Regeln, nach international vereinbarten Verfahren. (Beifall
bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)
Die USA haben
gerade das nicht nur nicht begrüßt, sondern auf jede Art und Weise zu verhindern
versucht. – Jetzt verfalle ich schon selbst in den Jargon: die USA. Es war
die Regierung Bush, die das getan hat.
Der dritte Punkt
nach dem Kyoto-Protokoll und dem Internationalen Strafgerichtshof ist nicht so
sehr der Irak-Krieg als akuter Anlass, sondern die Tatsache, dass der
Irak-Krieg auf dem Hintergrund einer Doktrin erfolgt, einer – nennen wir
sie so – „Bush-Doktrin“ vom September letzten Jahres, in der die
USA – jetzt ist dieser Ausdruck richtig – für sich in Anspruch
nehmen, jederzeit einseitig, auch mit militärischen Mitteln, ihre selbst
definierten Interessen in der Welt nicht nur zu fördern, sondern auch
umzusetzen und durchzusetzen, wenn es sein muss, ohne Einhaltung der
internationalen Regeln, ohne Befassung der UNO, ohne Mandatierung durch den
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Da muss man sich
oder darf man sich als einfacher Bürger schon die simple Frage stellen: Was
ist, wenn das alle machen, wenn das nicht nur die USA für sich in Anspruch
nehmen, sondern alle anderen auch? – Wenn man das ernst nimmt, so ist das
die Rückkehr zum Faustrecht. Das ist nicht die Entwicklung und Beförderung des
Völkerrechts, die wir uns wünschen. Ein eigentlich wohlmeinender Beobachter
wie die liberale „Süddeutsche Zeitung“ sagt in einem Kommentar: Selbst wenn
wir den USA das Beste unterstellen, ist diese Art der Vorgehensweise nichts
anderes als eine jakobinische Wohlfahrtsdiktatur-Erinnerung an die spätere
Phase der Französischen Revolution.