Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 10. Sitzung / Seite 47

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Es scheint mir nicht so sehr eine Ironie, sondern die besondere Tragik der jetzigen Situation zu sein, dass die USA damals, rund um das Ende des Zweiten Weltkrieges, als sie maßgeblich daran beteiligt waren, die Vereinten Nationen aufzubauen, in der gleichen Situation waren wie jetzt: die unbestrittenen Poleposition-Inhaber, wenn Sie so wollen, in der Welt, militärisch, öko­nomisch, in jeder Hinsicht die Weltmacht Nummer eins. Das war, noch bevor auch in der Sowjetunion die Atombombe in die Praxis umgesetzt wurde. Und damals haben sich die USA bemüht, multilateral vorzugehen, die Interessen der anderen zu berücksichtigen, auch langfris­tig zu denken im Interesse der Vereinigten Staaten selbst.

Ganz zu schweigen vom Marshall-Plan, der speziell Westeuropa begünstigt hat, bis hin zur mehrfach und glaubhaft vertretenen Bereitschaft zur Verteidigung Westberlins – eine Fülle von Dingen, die die Westeuropäer gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika verpflichtet haben und immer noch verpflichten. Aber selbst wenn man zugesteht, dass eine derartige Dankesschuld, wenn Sie so wollen, eine gewisse Verzinsung verträgt, muss man sagen, dass man Zweifel hat, starke Zweifel, ob die jetzige Administration Bush Interesse hat, ja Wert darauf legt, diese Fundamente der besonderen Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten weiter zu festigen. Nach unserem Eindruck werden diese leichtfertig oder systematisch, das ist von Fall zu Fall schwer zu beurteilen, aufs Spiel gesetzt – aber nicht von den Europäern.

Der Irak-Krieg, meine Damen und Herren, ist ja nur der vorläufige Höhepunkt, der vorläufige Schlusspunkt einer längeren Kette von Entscheidungen der Administration Bush, die zumindest in Westeuropa und, wie ich glaube, auch in Österreich zu erheblicher Irritation, Frustration und zu einer Brüskierung der Staaten der Europäischen Union geführt haben.

Die Nicht-Ratifizierung des Kyoto-Protokolls beispielsweise durch jenen Staat, der die größten Treibhausgas-Emissionen der Welt aufzuweisen hat, war eine Brüskierung auch der Europäi­schen Union – durchgeführt durch die Administration Bush. Weiters die Nicht-Ratifizierung, ja geradezu Blockade, Sabotage der Installierung des Internationalen Strafgerichtshofes – das war Politik der Administration Bush. Ich glaube nicht, dass es im langfristigen Interesse der Ver­einigten Staaten ist, das zu tun, aber aus kurzfristiger Sicht haben sie so gehandelt. Es geht dabei um eine Sabotage des Internationalen Strafgerichtshofes, der es zumindest auf lange Sicht vorstellbar macht, einen Despoten, einen korrupten, verbrecherischen Machthaber wie Saddam Hussein irgendwann auch einer Strafe zuzuführen, und zwar auf eine legitime Art und Weise, mit Hilfe internationaler Regeln, wenn es sein muss, vielleicht auch mit militärischer Gewalt, um das auch in aller Deutlichkeit auszusprechen, aber nach Regeln, nach international vereinbarten Verfahren. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Die USA haben gerade das nicht nur nicht begrüßt, sondern auf jede Art und Weise zu verhin­dern versucht. – Jetzt verfalle ich schon selbst in den Jargon: die USA. Es war die Regierung Bush, die das getan hat.

Der dritte Punkt nach dem Kyoto-Protokoll und dem Internationalen Strafgerichtshof ist nicht so sehr der Irak-Krieg als akuter Anlass, sondern die Tatsache, dass der Irak-Krieg auf dem Hinter­grund einer Doktrin erfolgt, einer – nennen wir sie so – „Bush-Doktrin“ vom September letzten Jahres, in der die USA – jetzt ist dieser Ausdruck richtig – für sich in Anspruch nehmen, jeder­zeit einseitig, auch mit militärischen Mitteln, ihre selbst definierten Interessen in der Welt nicht nur zu fördern, sondern auch umzusetzen und durchzusetzen, wenn es sein muss, ohne Einhal­tung der internationalen Regeln, ohne Befassung der UNO, ohne Mandatierung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Da muss man sich oder darf man sich als einfacher Bürger schon die simple Frage stellen: Was ist, wenn das alle machen, wenn das nicht nur die USA für sich in Anspruch nehmen, sondern alle anderen auch? – Wenn man das ernst nimmt, so ist das die Rückkehr zum Faust­recht. Das ist nicht die Entwicklung und Beförderung des Völkerrechts, die wir uns wünschen. Ein eigent­lich wohlmeinender Beobachter wie die liberale „Süddeutsche Zeitung“ sagt in einem Kommen­tar: Selbst wenn wir den USA das Beste unterstellen, ist diese Art der Vorgehensweise nichts anderes als eine jakobinische Wohlfahrtsdiktatur-Erinnerung an die spätere Phase der Franzö­si­schen Revolution.

 


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