Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 69. Sitzung / Seite 20

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anderen europäischen Staaten. Ich glaube, es wäre zu spät, wenn man sich erst vor der nächsten Wahl die Frage stellte, was man unternehmen kann. Vielmehr muss man jetzt, am Beginn der neuen Legislaturperiode des Europäischen Parlaments, darüber nachdenken, wie man Europa nach Österreich holen und den Bürgerinnen und Bür­gern näher bringen kann.

Ich bin für eine offene Diskussion zu diesem Thema bereit. Liegt nicht ein Teil des Problems darin, dass bei jeder nationalen Wahl die Menschen den Eindruck haben, sie wählen nicht nur ein Parlament, sondern sie bestimmen auch mit über eine künftige Regierung? Gerade in Europa ist das aber nicht der Fall. Wäre es daher nicht besser, wenn bei den Wahlen zum Europäischen Parlament an der Spitze der Parteien jene Kandidatinnen und Kandidaten stünden, die man für das künftige Amt des Kommissi­onspräsidenten vorsieht, und man diese Frage nicht wochenlangen Geheimverhand­lungen hinter gepolsterten Türen überließe, sondern die Entscheidung über den Präsi­denten der Europäischen Kommission in die Hand der Bürgerinnen und Bürger Euro­pas gäbe? – Das wäre eine Demokratisierung, die mit Sicherheit Europa den Men­schen näher bringen würde, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Zum Zweiten müssen wir uns auch die Frage stellen, wie europäische Politik hier im österreichischen Parlament diskutiert wird. Sehr oft diskutieren wir Europapolitik im Hauptausschuss, selten hier im Plenum. Und wir wissen alle, dass die Frage der Wahr­nehmung europäischer Politik auch davon abhängig ist, welchen Stellenwert euro­päische Politik hier im Hohen Haus hat.

Ich finde, es wäre sinnvoll, wenn zum Beispiel der künftige österreichische Kommissar oder die künftige österreichische Kommissarin eingeladen würde, auch hier im Hohen Haus das Arbeitsprogramm der EU-Kommission zu vertreten und mit den Mitgliedern des Hohen Hauses diese Frage zu diskutieren, damit nämlich Europapolitik Teil unse­rer Arbeit hier im Hohen Haus wird. (Allgemeiner Beifall.)

Zum Dritten, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die EU-Verfassung, die nun beschlossen ist, wird ratifiziert werden. Und danach wird es – wie man hört – in einer Reihe von Mitgliedstaaten Volksabstimmungen darüber geben. Und die Frage ist: Was geschieht, wenn in einem einzigen Land diese Volksabstimmung negativ ausgeht? Wird dann dieses Land aus der Europäischen Union austreten? Wird es Neuverhand­lungen geben, die zu einer weiteren Verwässerung der Verfassung führen, oder wird der gesamte europäische Verfassungsgebungsprozess aufgehalten?

Ich finde, dass sich der europäische Zug nicht allein darauf reduzieren lassen sollte, wie die Abstimmung in einem Land ausgeht. Wenn man wirklich eine europäische Verfassung will, dann wäre doch das Allerfairste, dass alle Bürgerinnen und Bürger Europas gleichzeitig über diese Verfassung abstimmen. Und wenn die Mehrheit der Staaten und die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Europas für die Verfassung ist, dann soll es die gemeinsame europäische Verfassung sein, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Das heißt, wir sind in den nächsten Monaten und Jahren gefordert, wenn wir wollen, dass Europa für die Bürgerinnen und Bürger auch tatsächlich lebendig wird.

Herr Bundeskanzler, Sie haben darauf verwiesen, dass mit 1. Mai dieses Jahres ein großer Schritt gesetzt wurde. Ja, es wurde ein großer Schritt gesetzt mit der Erweite­rung der Europäischen Union um zehn Mitgliedstaaten. Und alle in Europa gehen eigentlich davon aus, dass die Hauptprofiteure dieser Erweiterung Österreich und Deutschland sein werden.

Ich stelle Ihnen die Frage: Wieso glauben Sie, dass sich trotz dieses historischen Da­tums, trotz der allgemeinen Einschätzung, dass das insbesondere für Österreich gut


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