Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 89. Sitzung / Seite 133

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Es genügt nicht, an einem Rädchen zu drehen, das ist schon gesagt worden, sondern die Herausforderungen müssen ernst genommen werden. Politische Reflexe wie orga­nisationsrechtliche Vorschläge – Stichwörter: Ganztagsschule, Gesamtschule – führen in die Irre, wenn sie bloß Reflexe sind. (Abg. Dr. Gusenbauer: Sie werden es nim­mermehr verstehen! Bei Ihnen ist Hopfen und Malz verloren!)

Ganztägige schul- und betreuungspolitische Angebote gehen auf verschiedene Motive zurück, das wissen auch Sie, Herr Dr. Gusenbauer; etwa auf die geringe Siedlungs­dichte in skandinavischen Ländern, die Entfernung von einer Schule zur anderen, von den Elternhäusern zur Schule. Diesbezüglich ist in Finnland nicht dieselbe Ausgangs­lage wie etwa in städtischen Ballungsräumen, das brauchen Sie nur zu vergleichen.

Die Maßnahmen zur Öffnung der Psychiatrie in den siebziger Jahren, die aus Schwe­den gekommen sind, und die Einführung einer integrativen Sonder- und Heilpädagogik hatten ähnliche regionalspezifische Motive an erster Stelle, Herr Dr. Gusenbauer, und das sollten Sie auch studieren.

Also: Topographische Momente sind genauso maßgebend für ganztägige Schul­betreuung wie pädagogische, familienpolitische und sozialpolitische. – Das steht am Beginn unserer Analyse. (Abg. Dr. Gusenbauer: Ich muss sagen, da ist die Frau Bun­desministerin bedeutend offener als Sie! Das ist überhaupt ein Uralt-Flügel der ÖVP!) Die Einbeziehung der Schulpartner ist von der Ministerin schon angesprochen worden, ebenso die ganztägigen Betreuungsformen, die sie angeboten hat. Das Angebot von weiteren 10 000 Plätzen ist ein erstes, handfestes Angebot.

Zum Thema Gesamtschule Volksschule: Wir können nicht sagen: Gesamtschule passt, da brauchen wir nichts zu ändern!, denn ich sehe einen manifesten Handlungsbedarf in der Volksschule. Stärker als bisher ist das Augenmerk auf das sinnerfassende Lesen und die Kulturtechnikensicherung zu richten.

Ich unterstütze daher ganz massiv den Vorschlag der Wiener Volkspartei, das letzte Kindergartenjahr, das Vorschuljahr zur Sicherung der Deutsch-Kenntnisse als Schulrei­fevoraussetzung zu nützen, sei es auch unter der Maßgabe, dass dieses Kindergarten­jahr verpflichtend zu besuchen ist. Dieser Vorschlag hat rundherum absolute Zustim­mung gefunden. Ich bin sehr froh darüber, dass die Wiener Volkspartei diesbezüglich Vorreiter war, noch bevor PISA-Studien veröffentlicht wurden. (Abg. Dr. Matznetter: Aber bundesweit, Frau Kollegin!)

Ich zitiere heute Günther Nenning aus der „Kronen-Zeitung“, der Alarm schlägt, weil in der Gesamtschule Volksschule in Wien 39 Prozent der Kinder nichtdeutscher Mutter­sprache sind und den Wienern dazu nicht sehr viel eingefallen ist, um es salopp zu sagen.

Ich erinnere mich: 1991 sind in Wien mit Zustimmung der SPÖ die Wahlen vorgezogen worden, das war Stadträtin Smejkal, wegen Versagens der Wiener Schul- und Integra­tionspolitik. Seit 1991 hat sich offenbar nicht sehr viel zum Besseren gewendet. – Handlungsbedarf ist auf alle Fälle gegeben.

Weiterer Punkt: Geschlechterfrage. Ich bin absolut Ihrer Meinung, Herr Professor Van der Bellen, bezüglich des Aspekts der Geschlechterfrage, den Sie in der Anfrage mit­geliefert haben. Wir müssen uns um die männlichen Risikoschüler kümmern. Wir müs­sen uns aber auch um die Dimension, die hinter dieser Analyse steckt, kümmern. Also: Buben sind besser in Technik und Naturwissenschaften, sind schlechter im Lesen, Mädchen sind deshalb nicht so schlecht, weil sie die höheren Schulen besuchen, weil mehr eine AHS besuchen, weil sich dahinter ein manifestes Geschlechterklischee ver­birgt.

 


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite