Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 154. Sitzung / Seite 75

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Die rund 258 000 Stimmen des Volksbegehrens „Österreich bleib frei!“ entsprechen 4,3 Prozent der Wahlberechtigten, und es nimmt in der Liste der Volksbegehren in Österreich den 21. Rang ein. Es entspricht ja in Wirklichkeit einer Kombination dreier Volksbegehren, sozusagen ein Sammel-Volksbegehren der Stadler-FPÖ. (Ruf: Stadl-FPÖ!)

Ich habe absichtlich „Stadler-FPÖ“ gesagt, auch wenn es jetzt den Versuch des FPÖ-Bundesparteiobmannes Strache gibt, sich von der Stadler-Diktion zu lösen. Das macht auch den Unterschied zur früheren FPÖ aus: Wir haben dort, und zwar auch in der Opposition, verantwortungsvoll gehandelt.

Ich versteife mich jedoch jetzt nicht darauf, das Volksbegehren von der Zahl her zu dritteln, denn dann wäre die notwendige Zahl von 100 000 Unterschriften wohl nicht erreicht worden. Aber es gibt eben die Klammer in diesem Volksbegehren, das da lautet: „Österreich zuerst“, mit drei sehr, sehr wichtigen Themen, die diskussionswürdig sind, ja diskutiert werden müssen, was in der Vergangenheit geschehen ist und was uns auch noch in Zukunft beschäftigen wird, und zwar die Themen Neutralität, EU-Verfassung und der mögliche Beitritt der Türkei zur Europäischen Union.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum Thema Türkei-Beitritt einiges sagen. Seit Jahrzehnten macht die EU der Türkei, wie ich meine, Beitrittshoffnungen: beginnend 1963 mit dem Assoziierungsabkommen. Ich halte diese Vorgangsweise für nicht korrekt, und es gibt viele Fragen dazu, so zum Beispiel: Hat Europa Grenzen? Wo sind diese Grenzen? Genügen möglicherweise 2 oder 3 Prozent eines Territoriums eines Landes, das in Europa liegt, um der Europäischen Union beitreten zu können?

Weitere Fragen: Wäre die Aufnahmekapazität der EU in wirtschaftlicher, juristischer oder institutioneller Hinsicht überhaupt gegeben? Passt die Türkei in die EU-Werte­gemeinschaft? Welche Auswirkungen ergeben sich auf Grund der großen kulturellen Unterschiede der europäischen Länder zur Türkei? Warum gibt es in Österreich im Jahre 2005 1 064 türkische Asylwerber, wobei bei 70 türkischen Staatsbürgern eine Anerkennung als Asylanten erfolgt ist? Ist es möglich, dass ein Beitrittskandidat, wenn sich die Türkei als solchen sieht, die Souveränität eines Staates, eines Mitgliedslandes ab- beziehungsweise nicht anerkennt?

Trotz der vielen Fragen: Ich halte es für wichtig, dass ein Annäherungsprozess der Türkei an Europa erfolgt. Und ich finde es auch wichtig, dass der Ausgang der nun begonnenen Verhandlungen mit der Türkei offen ist. In diesem Zusammenhang: Ich sehe durchaus Alternativen zu einem Vollbeitritt der Türkei.

Österreich hat sich bereits – um auch das zu erwähnen – für eine Volksabstimmung über den Beitritt der Türkei zur EU ausgesprochen, und zwar am 22. Dezember 2004 durch eine Entschließung der Abgeordneten Molterer, Scheibner, Spindelegger und Bösch.

Unerwähnt möchte ich auch nicht lassen, dass in der Türkei selbst die Zustimmung zu einem Beitritt zur EU allein im letzten Jahr um 12 Prozent gesunken ist, und zwar von 67 Prozent auf 55 Prozent.

Zum Thema EU-Verfassung: Grundsätzlich soll und muss es natürlich, geschätzte Damen und Herren, Spielregeln geben, und ein guter Verfassungsvertrag bietet auch Chancen, bietet mehr Möglichkeiten für die nationalen Parlamente sowie mehr Demokratie und Bürgerrechte. Ich persönlich halte eine EU-weite nationale Volksab­stimmung für sinnvoll, und zwar eine zum selben Zeitpunkt; es soll nicht zu einer Abrechnung mit nationalen Regierungen kommen. Einen solchen Verfassungsvertrag sozusagen zu transportieren, das bedeutet sicherlich viel Informationsarbeit, aber das Maß der Transparenz ist da ohnehin zu erhöhen.

 


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