Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll13. Sitzung / Seite 68

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12.31.59

Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz Dr. Erwin Buchinger: Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Frau Außenministerin! Hohes Haus! Die neue österreichische Bundesregierung hat sich in ihrem Regierungs­programm, aber auch in ihren Aktivitäten in den ersten beiden Monaten ihrer Amtszeit ganz deutlich zu einem starken, modernen und zugleich sozialen Europa bekannt. Dazu zählt die Formulierung im Regierungsprogramm, dass wir der Vertiefung der Wertegemeinschaft und der Stärkung des europäischen Lebensmodells beziehungs­weise Sozialmodells mit dem Ausgleich von sozialer Sicherheit, wirtschaftlicher Dynamik und Nachhaltigkeit eine große Bedeutung beimessen und dass wir auf europäischer Ebene für die Schaffung gemeinsamer europäischer Mindeststandards in den Bereichen Beschäftigung und Soziales eintreten.

Ich ziehe aus diesen Festlegungen, auch für mich als Sozialminister, den wichtigen Auftrag, die grundlegende Frage inhaltlich anzugehen und national und international zu stärken, und die grundlegende Frage aus meiner sozialpolitischen Sicht ist: Wie können Lebensqualität und Wohlstand der Menschen in Europa gesichert und weiter ausgebaut werden? – Wachstum und Beschäftigung sind ganz, ganz wichtige Ziele, aber mit Inhalt werden sie erst dann erfüllt, wenn sie in Richtung Sicherung und Ausbau von Wohlstand und Lebensqualität der Menschen in Europa wirken. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

Dazu ist ein nüchterner Befund über drei kurze Kennzahlen zu Beginn der politischen Entwicklung hilfreich.

Zum Ersten: Ja, die Arbeitslosigkeit ist in den letzten Monaten auch auf europäischer Ebene zurückgegangen – das ist gut so, das ist auch auf gemeinsame Politiken zurückzuführen –, aber sie ist immer noch auf einem Niveau, das zu allergrößten politischen Anstrengungen Anlass gibt. 17 Millionen Menschen sind europaweit ohne Arbeit, davon fast 6 Millionen Jugendliche und junge Erwachsene.

Zum Zweiten: 67 Millionen Menschen in der Europäischen Union sind von Armut gefährdet. Das sind 16 Prozent der europäischen Bevölkerung; knapp jeder sechste Europäer/Europäerin ist von Armut bedroht.

Die dritte große Herausforderung – die Frau Außenministerin hat sie genannt – liegt darin, dass wir wissen, dass bis zum Jahr 2050 die Zahl der über 80-Jährigen um 172 Prozent – 172 Prozent! – zunehmen wird; in absoluten Zahlen: 32 Millionen mehr über 80-Jährige in Europa. Insgesamt wird die Bevölkerungszahl aber um fast 2 Prozent zurückgehen.

Natürlich gibt es innerhalb der Länder der Europäischen Union große Unterschiede in der Auslegung der einzelnen Kennziffern, die Herausforderungen sind dennoch für alle Mitgliedstaaten und für alle Menschen in diesen Staaten vergleichbar und können nur durch enge Kooperation gelöst werden.

Der gemeinsame Binnenmarkt mit seinen vier Freiheiten war eine wesentliche Errun­gen­schaft europäischer Politik, hat aber Beschäftigung und Sozialschutz teilweise in Bedrängnis gebracht, unter Druck gebracht, zu Verwerfungen geführt, die zu beseiti­gen, auszugleichen es galt und weiterhin gilt.

Welche drei Schlussfolgerungen ziehe ich als Sozialminister daraus? – Zum Einen: Die Bedeutung der genannten sozialen Herausforderungen und deren Bewältigung müssen ins Zentrum der europäischen Politik rücken, wenn die Zustimmung der euro­päischen Bevölkerung, der Menschen in Europa, für diese Europapolitik erreicht werden soll.

 


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