Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll73. Sitzung / Seite 21

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Vetorecht, das weiß ich ja auswendig. (Abg. Strache: Das ist gar nicht wahr! Das stimmt ja nicht! Da haben Sie den Vertrag nicht gelesen! Das ist unsinnig!)

Aber Sie haben sich gestern nicht ausgekannt, Sie werden sich auch heute nicht auskennen, und Sie werden aus den falschen Motiven dagegen stimmen. Ich gebe das ja auf! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wenn wir, wie wir zumindest unter den Klubs ins Auge gefasst haben, das Infor­mationsgesetz im Laufe des Herbstes beschließen und später oder gleichzeitig über die Geschäftsordnung des Nationalrates verhandeln, dann wird diese Phase der Umsetzung des Lissabon-Vertrages vorläufig – ich sage: vorläufig – abgeschlossen sein. Warum vorläufig? – Es ist doch offenkundig, dass die Notwendigkeit der Zusam­menarbeit zwischen Brüssel und Wien enorm zugenommen hat, dass die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen den europäischen Institutionen einerseits und den nationalen Institutionen, Regierung und Parlament, andererseits in atembe­raubendem Tempo zugenommen hat.

Im Kontrast dazu stellen wir europaweit eine gewisse – wie soll ich sagen? – Reform­müdigkeit, Vertragsänderungsmüdigkeit fest, nach den endlosen Querelen über den Konventsentwurf bis zum Lissabon-Vertrag und so weiter. Es gibt also eine gewisse Unlust, über weitere Vertragsänderungen auch nur nachzudenken.

Aber, meine Damen und Herren, seit dem Herbst 2008 und aufgrund dessen, was seither passiert ist, ist diese Auffassung völlig obsolet. Das muss man einfach realis­tisch sehen und darf nicht die Augen davor verschließen: die Bankenkrise damals, die Finanzmarktkrise, die drohende Weltwirtschaftskrise, die Maßnahmen auf nationaler Seite gegen die drohende oder tatsächlich eingetretene Rezession, zuletzt Griechen­land und die „Souveränitätskrise“ – zwischen Anführungszeichen – in ihrer doppelten Bedeutung, nämlich das Misstrauen gegenüber staatlichen Schuldnern als Souveräni­täts­krise, aber gleichzeitig wird im Zusammenhang mit der europäischen Währungs­union eine Lebenslüge, wenn Sie so wollen, ein fauler Kompromiss jedenfalls, aufge­deckt, nämlich die Illusion, dass man eine gemeinsame Währung haben kann, aber alle Souveränitätsrechte beibehält. Das wird hier ad absurdum geführt.

Nach knapp eineinhalb Jahren Krise steht fest: So werden wir nicht weitermachen können, meine Damen und Herren! Wir müssen Abschied nehmen von diesen Tabus, von dieser – ich nenne es ganz bewusst so – Lebenslüge: dass man volle Souveräni­tätsrechte aufrechterhalten und eine gemeinsame Währung haben kann.

Die Europäische Zentralbank hat sich in diesen Krisen sehr bewährt. Ich habe schon das eine oder andere Detail zu kritisieren, aber im Großen und Ganzen hat sie sich bewährt. Aber das allein genügt nicht, das wurde uns drastisch vor Augen geführt von den, wenn Sie so wollen, mitleidlosen Finanzmärkten und deren Reaktion auf die Män­gel der europäischen Position.

Wir können uns auf freiwillige Koordination, auf freiwillige Kooperation im Rahmen einer Währungsunion, im Rahmen der Europäischen Union nicht verlassen.

Ganz ungeschminkt gesagt: Wir stehen vor der Alternative: aus Blindheit, Trägheit, Schlamperei ein Auseinanderbrechen der Union und der Währungsunion passiv hinzunehmen – diese Möglichkeit ist keine Phantasie, sondern ist real – oder aber die nächsten Schritte zu den Vereinigten Staaten von Europa zu machen. Ich weiß schon, dass das derzeit eine Minderheitsposition ist. Große Mehrheiten sind nicht zufrieden mit den Verhältnissen und machen sich nicht klar, vor welcher Alternative wir hier stehen. Aber man muss einmal mit der Werbung für diese Vision beginnen, und das tue ich hiemit: Entweder wir lassen aus Schlamperei ein Auseinanderbrechen dieses großartigen Gefüges zu oder wir machen die nächsten Schritte zu den


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