Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll72. Sitzung / Seite 26

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15.05.23

Bundeskanzler Werner Faymann: Werte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Mitglieder der Bundesregierung! Sehr verehrte Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Es ist eine gute und sinnvolle Tradition, nach einer Sitzung des Europäischen Rates oder nach einem Treffen der europäischen Regierungschefs Erklärungen abzugeben, die dazu angetan sind, etwas weitergehend zu diskutieren.

Ich glaube, ich brauche keine lange Einleitung darüber zu halten, dass das Mittelmeer zur gefährlichsten Grenze geworden ist – ein riesiges Grab für viele Menschen, die versuchen, Europa zu erreichen. Viele davon sind auf der Flucht vor Krieg, viele sind auf der Flucht vor den untragbaren Zuständen in ihren Ländern, viele haben nicht einmal das Nötigste zum Leben, aber sie haben die Hoffnung – manches Mal auch von Geschäftemachern wie Schleppern gefördert – auf ein besseres Leben.

Wenn derart schockierende Ereignisse passieren und Berichte über diese Ereignisse zu uns kommen, müssen wir uns selbstverständlich die Frage stellen, wie man eine kurzfristig notwendige Maßnahme, nämlich eine Seenothilfe, installieren kann, die auch in der Lage ist, möglichst allen Menschen, die in Seenot geraten, das Leben zu retten. Ich weiß, dass eine Seenothilfe noch kein Programm für eine bessere Welt ist, aber sie rettet vielen Menschen das Leben.

Daher war es in der Sitzung des Europäischen Rates bei den Regierungschefs unbe­stritten, dass es notwendig ist, diese Seenothilfe stärker aufzubauen. Dass man dafür die dreifachen Mittel benötigen wird, ist auch noch nicht das Ende des Programms, sondern ich bin überzeugt davon, dass wir noch mehr als die dreifachen Mittel dafür einsetzen werden.

Es haben auch einige Länder, die über passendes Material verfügen – wie etwa Flug­zeuge oder andere technische Hilfsgüter –, auch unabhängig von der erwähnten dreifachen Erhöhung für die Seenothilfe bereits angekündigt, in welchen Bereichen sie sich zusätzliche Leistungen vorstellen können. So, wie wir ja genau wissen, was für eine Bergrettung benötigt wird, wissen Küstenländer, was für eine Seenothilfe not­wendig ist. Man muss hier aber sagen, dass das immer wieder zitierte Mare-Nostrum-Programm, das Seerettungsprogramm der Italiener, auch nicht lückenlos funktioniert und UNHCR in dieser Zeit über hunderte, ja vielleicht sogar – Dunkelziffer – tausende Opfer beklagt hat.

Trotzdem zeigt sich, dass die Kontrolle der Grenzen allein nicht ausreicht, um Men­schen zu helfen, die in Not geraten, weil ihr Boot die Überfahrt nicht geschafft hat. Da ist eine spezielle Hilfe mit einem größeren Radius notwendig, mit mehr materiellem Einsatz, auch mit mehr Einsatz von Personen, die in der Lage sind, diese Aufgabe fach­kundig wahrzunehmen.

Es scheint mir das menschlich-politisch Selbstverständliche zu sein, diese Hilfe so anlaufen zu lassen, dass wir danach in den jeweiligen Berichten sagen können, dass nichts im Leben ist perfekt ist, aber wir uns den technischen Möglichkeiten nähern und sie sogar ausschöpfen, um mit unseren modernen Technologien, die die Überwachung von Räumen wie dem Mittelmeer gewährleisten, auch die dementsprechenden Ret­tungen vorzunehmen. Das letzte Wochenende hat wieder gezeigt, dass die Flücht­lingsströme ja nicht aufhören und dass wir leider nicht die Sorge haben müssen, dass wir vor einem riesigen Seenotrettungsprogramm mit tausenden Helfern stehen und es nicht benötigen. Es wäre ein schöner Tag, wenn wir diese Hilfe nicht mehr benötigen würden. Das Gegenteil ist aber der Fall. Ich fürchte, dass wir auch in Zukunft noch viele Einsätze benötigen werden.

Damit komme ich gleich zur zweiten Frage, die auch langfristig weder den Weltfrieden noch ausreichend Nahrungsmittel und Lebensqualität für alle sichert – denn nur das


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