Parlamentskorrespondenz Nr. 438 vom 13.06.2002

NATIONALRAT: KEIN RECHTSANSPRUCH AUF MITTEL BEI STERBEKARENZ

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Wien (PK) - Mit einer Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes wurde die Debatte fortgesetzt.

Abgeordneter Dr. GRÜNEWALD (G) wertete die Familienhospizkarenz als großen Schritt in eine bessere, humanere Zukunft, er vermisst aber die finanzielle Absicherung jener, die die Möglichkeit der Sterbebegleitung in Anspruch nehmen. Nicht jeder, der Mitgefühl mit Sterbenden habe und Solidarität empfinde, sei in der Lage, wochen- oder monatelang auf sein Gehalt zu verzichten. Hier drohten große Gewissenskonflikte für die Betroffenen.

Grünewald forderte aber auch eine stärkere Unterstützung der Hospizbewegung. Er ortet "ungeheure Lücken" bei der Betreuung alter Menschen und wies darauf hin, dass beispielsweise ein Drittel jener Personen, die in Alterspflegeheime eingewiesen würden, innerhalb des ersten halben Jahres sterbe. Man brauche professionelle Hilfe, die auch finanziert werden müsse, folgerte der Abgeordnete.

Abgeordnete Dr. MERTEL (S) erklärte, die SPÖ unterstütze die Möglichkeit der Familienhospizkarenz, es gehe ihr aber auch um die materielle Absicherung jener Personen, die eine solche Familienhospizkarenz in Anspruch nehmen. Zwar könnten nahe Angehörige von Sterbenden oder von schwerst erkrankten Kindern Mittel aus dem Härteausgleichsfonds erhalten, wenn sie sich von ihrer Arbeit gänzlich freistellen lassen, es sei aber ein Problem, dass auf solche Geldleistungen kein Rechtsanspruch bestehe. Um dem entgegenzutreten, brachte Mertel einen Abänderungsantrag ihrer Partei ein und appellierte an die Koalition, diesem zuzustimmen, um so "die letzte Lücke des Gesetzes" zu schließen.

Unterstützt wird von der SPÖ laut Mertel, dass es künftig bundesweit einheitliche Kriterien für Untersuchungen zu Erlangung der erhöhten Kinderbeihilfe geben wird. Das habe eine Verbesserung der Rechtssicherheit für die Antragsteller zur Folge. Aufgrund der im Sozialausschuss gefassten Ausschussfeststellung sei auch die regionale Erreichbarkeit der Ärzte sichergestellt, skizzierte die Abgeordnete.

Abgeordnete HALLER (F) begrüßte, dass es für Personen, die Familienhospizkarenz in Anspruch nehmen, die Möglichkeit geben wird, Kosten aus dem Familienhärteausgleichsfonds retourniert zu bekommen. Zur Frage des von Mertel geforderten Rechtsanspruches auf Leistungen aus dem Fonds merkte sie an, natürlich wäre es "schön", wenn es einen solchen Rechtsanspruch geben könnte, die Koalition vertrete aber die Meinung, man solle die Familienhospizkarenz und die dazu beschlossenen Begleitmaßnahmen zunächst evaluieren und schauen, wie sie greifen bzw. wie hoch die Kosten sein werden. Dann könne man immer noch weitere Schritte setzen.

Abgeordneter Mag. LANGREITER (V) betonte, mit der finanziellen Absicherung jener Personen, die Familienhospizkarenz in Anspruch nehmen, setze die Koalition nahtlos ihre familienpolitischen Leistungen fort. Für ihn ist die Familienhospizkarenz ein Quantensprung in der europäischen Sozialpolitik, auf den Österreich zu Recht stolz sein könne. Auf Mittel aus dem Familienhärteausgleich gebe es zwar keinen Rechtsanspruch, erläuterte er, man könne aber davon ausgehen, dass jemand, der den - noch zu erarbeitenden - Richtlinien entspreche, auch Geldzuwendungen erhalte.

Positiv bewertete Langreiter darüber hinaus, dass erheblich behinderte Menschen künftig einfacher und unbürokratischer zu erhöhter Familienbeihilfe kommen, da nur noch eine einzige Stelle für die Ausstellung entsprechender Bescheinigungen zuständig sein wird. Damit werde auch eine einheitliche Spruchpraxis sichergestellt.

Abgeordnete Mag. PRAMMER (S) leitete aus der Wortmeldung von Abgeordneter Haller ab, dass die FPÖ "nicht im Traum daran denkt", allen Menschen, die Sterbekarenz in Anspruch nehmen, Geld aus dem Härteausgleichsfonds zur Verfügung zu stellen, sondern diese Möglichkeit nur für einen kleinen Teil eröffnen wolle. Für Prammer wäre es aber wesentlich, dass es "nicht auf die eigene Brieftasche ankommt", ob jemand einen sterbenden Angehörigen begleiten könne. Zudem seien auch homosexuelle Menschen von der Familienhospizkarenz ausgeschlossen, kritisierte sie.

Abgeordnete HAIDLMAYR (G) erklärte, die Grünen würden aus zwei Gründen der vorliegenden Gesetzesnovelle nicht zustimmen. Zum einen kritisierte sie die vorgesehenen Änderungen bei der Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder. Nicht jeder Arzt sei befähigt, jede Behinderung einzuschätzen, gab sie zu bedenken, das könne nur ein Facharzt, insbesondere der behandelnde Arzt des Kindes. Wenn nun in Zukunft Sachverständige, die etwa HNO-Ärzte sein können, beurteilen sollen, wie stark die Behinderung eines Kindes sei, könnte es zu "wahnsinnigen Ergebnissen" kommen, die man sich heute noch nicht vorstellen könne, fürchtet Haidlmayr.

Unzufrieden zeigte sich Haidlmayr auch mit der Härteausgleichs-Regelung für Personen, die Familienhospizkarenz in Anspruch nehmen. Sie machte geltend, dass beispielsweise AusländerInnen oder gleichgeschlechtliche Paare keine Möglichkeit haben, Leistungen aus dem Härtefonds zu erhalten. Zudem vermisst sie einen entsprechenden Rechtsanspruch.

Sozialminister Mag. HAUPT äußerte sich über die breite Zustimmung zur Familienhospizkarenz erfreut und machte darauf aufmerksam, dass es künftig im Gegensatz zu heute eine arbeits- und sozialrechtliche Absicherung jener Personen geben wird, die sich um sterbende Angehörige kümmern. Was die finanzielle Absicherung betrifft, räumte er ein, dass die zu erwartenden Mittel aus dem Familienhärteausgleichsfonds "nicht die Welt sein werden", er kann sich aber Leistungen in Höhe des Karenzgeldes vorstellen. Außerdem verwies er darauf, dass es nach zwei Jahren eine Evaluierung des Gesetzes geben werde.

In Richtung Abgeordneter Haidlmayr gab Haupt zu bedenken, dass derzeit die Amtsärzte der Bezirksverwaltungsbehörden als Gutachter für die Feststellung erheblicher Behinderungen von Kindern fungierten, was immer wieder zu Beschwerden geführt habe. Ihm zufolge ist außerdem nicht daran gedacht, in Zukunft etwa einen HNO-Facharzt Probleme, die im eindeutigen Bereich von internistischen oder neurologischen Erkrankungen liegen, begutachten zu lassen.

Abgeordnete FREIGASSNER (F) widersprach ihrer Vorrednerin heftig und bekräftigte, dass die Begutachter sehr wohl geschult würden, und zwar durch spezielle Angebote. Der große Vorteil der nun gefundenen Lösung liege darin, dass Kranke und Behinderte am Wohnort behandelt werden könnten und keine weiten Wegstrecken auf sich nehmen müssten.

Abgeordnete STADLER (V) hob wesentliche Punkte der Neuregelung aus ihrer Sicht hervor: die einheitliche Beurteilungsgrundlage für die Untersuchungen und die mobilen Dienste. Die ärztlichen Sachverständigengutachten würden nun für alle gleich sein. Sie räumte ein, dass bei der Familienhospizkarenz der eine oder andere Baustein noch fehle, mit der SPÖ hätte man diesen riesengroßen gesellschaftlichen Schritt jedoch nicht geschafft, war Stadler überzeugt.

Abgeordneter RIEPL (S) zeigte sich zuversichtlich, dass die Umsetzung der zu beschließenden Maßnahmen in Ordnung gehen würden. Ein Wermutstropfen ist aber für ihn die Tatsache, dass es bei der Inanspruchnahme der Familienhospizkarenz zu Einkommensverlusten kommen werde, die für viele Familien ein Problem darstellen können. Der Härteausgleich könne zwar helfen, notwendig wäre aber ein Rechtsanspruch auf dessen Mittel. Riepl trat auch dafür ein, eine Entgeltunterstützung einzuführen, und schlug als eine Lösungsvariante vor, hier ähnlich wie bei der Kurzarbeit in den Betrieben vorzugehen. In diesen Fällen würden Ausfallsstunden finanziell ausgeglichen.

Abgeordneter KNERZL (F) konstatierte zahlreiche Erleichterungen für behinderte Kinder nach Inkrafttreten des Gesetzes. Im weiteren Verlauf seiner Rede würdigte er die freiheitliche Familienpolitik, die in Europa vorbildlich sei, und ging näher auf die Vorteile des Kinderbetreuungsgeldes für die Familien und die Wirtschaft ein.

Abgeordneter HAUBNER (V) bemerkte, dass die vorliegenden Gesetzesänderungen mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Transparenz und eine Verwaltungsvereinfachung brächten. Jeder werde genau geprüft, und die Gelder kämen dorthin, wo sie gebraucht würden. Die Sachverständigengutachten würden auch leichter nachvollziehbar sein. Alles in allem sei dies ein wichtiger Schritt zur Absicherung der Familienhospizkarenz.

Abgeordnete Mag. LAPP (S) konzentrierte sich in ihrem Redebeitrag auf die Situation der behinderten Kinder und begrüßte, dass in Hinkunft die Bundessozialämter allein zuständig sein würden. Ebenso positiv bewertete sie die Tatsache, dass nicht die Kinder und Familien mobil sein müssten, sondern die Sachverständigen. Sie appellierte an die Regierungsparteien, das dem Hohen Haus vorliegende Bundessozialämter-Reformgesetz rasch zu behandeln. Grundsätzlich sprach sie sich für eine verstärkte schulische Integration und Berufsausbildung behinderter Kinder aus und kritisierte, dass die Behindertenmilliarde eigentlich nur eine Dreiviertel-Milliarde sei.

Abgeordneter Ing. WEINMEIER (F) lobte ebenfalls das vorliegende Gesetz als einen wesentlichen Schritt zum europaweiten Vorzeigemodell der Sterbebegleitung. Die Bundesregierung habe, so der Abgeordnete, einen Aufholprozess in der Familienpolitik eingeleitet, der eine einzige Erfolgsstory darstelle. Weinmeier nannte die zahlreichen in dieser Legislaturperiode gesetzten Maßnahmen und trat dafür ein, neben den bereits realisierten Punkten zur finanziellen Absicherung der Frauen im Alter - wie pensionsbegründende Erziehungszeiten und Abfertigungsansprüche in der Karenz - weiter daran zu arbeiten, Müttern eine gesicherte Altersvorsorge zu ermöglichen.

Abgeordnete BINDER (S) meinte, dass die Begleitung in das und die Begleitung aus dem Leben der Gesellschaft etwas wert sein müsse. Die Familienhospizkarenz sei ein wichtiger Schritt dazu, es fehle aber die finanzielle Absicherung. Sie könne die Ablehnung des Rechtsanspruches durch die Koalitionsparteien nicht nachvollziehen, sagte sie. Abschließend forderte Binder ein bundeseinheitliches Rahmengesetz für die Betreuung von Kindern.

Abgeordneter HORNEGGER (F) schloss sich der positiven Beurteilung der Gesetzesnovellierung an und hob insbesondere hervor, dass die Begutachtungspraxis nun vereinheitlicht werde. Die Ablehnung des Rechtsanspruches auf Mittel aus dem Härteausgleich begründete er mit der budgetären Situation.

Bei der Abstimmung fand der Abänderungsantrag der SPÖ nicht die erforderliche Mehrheit, da er nur von SPÖ und Grünen unterstützt wurde. Die Änderungen zum Familienlastenausgleichsgesetz wurden mit den Stimmen von SPÖ, FPÖ und ÖVP mehrheitlich angenommen. (Fortsetzung)