Parlamentskorrespondenz Nr. 137 vom 19.03.2003

ZUKUNFTSKOMMISSION FÜR QUALITÄTSSICHERUNG AN SCHULEN

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Wien (PK) - Im Mittelpunkt der heutigen Sitzung des Unterrichtsausschusses stand heute eine aktuelle Aussprache, in der die Abgeordneten mit Bundesministerin Gehrer über die Schwerpunkte der Schulpolitik in dieser Legislaturperiode diskutierten.

Die Ressortchefin unterstrich dabei, dass ihr die Qualitätssicherung des Schulsystems besonders am Herzen liege. Deshalb solle nicht nur eine Zukunftskommission eingerichtet werden, sondern auch eine "Pisa-National" als Qualitätsagentur systematisch die Qualität von außen sichern. Darüber hinaus sei in Aussicht genommen, Leistungsstandards für alle Schulstufen und Schultypen zu erarbeiten. Die geplanten Stundenreduktionen dienten der Entlastung der SchülerInnen und seien nur ein erster Schritt zu grundsätzlichen Überlegungen, welche Inhalte, Methoden und welche Didaktik gebraucht würden, um die Jugendlichen auf die an sie gestellten Anforderungen vorzubereiten.

Die Abgeordneten der Opposition begrüßten die Reduktion der Stunden zwar grundsätzlich, kritisierten aber, dass dahinter in erster Linie ökonomische Überlegungen stünden. Uneinig war man sich auch hinsichtlich der Ganztagsschulen. Während die SPÖ aus pädagogischen und didaktischen Gründen für diese Schulform eintrat, sprachen sich Abgeordnete der ÖVP gegen eine obligatorische Ganztagsform aus. Sie plädierten für ein flexibles freiwilliges Modell. Bundesministerin Gehrer bedauerte, dass sich die Diskussion zu sehr auf organisatorische Fragen konzentrierte, da - wie zahlreiche Studien unter Beweis stellten - die Organisationsform auf die Qualität kaum Einfluss habe, sondern in erster Linie die Inhalte, die Art der Vermittlung und die Nachhaltigkeit.

Die Mitglieder des Unterrichtsausschusses kamen auch überein, die AutorInnen der Pisa-Studie einzuladen, um mit ihnen ausführlich über deren Ergebnisse diskutieren zu können.

GEHRER: SCHULENTWICKLUNG UND QUALITÄTSSICHERUNG STEHEN IM MITTELPUNKT  

Bundesministerin Gehrer skizzierte am Beginn der Aussprache kurz ihre Schwerpunkte für diese Legislaturperiode. Dabei unterstrich sie, dass ihr Ressort besonderes Augenmerk auf die Schulentwicklung und Qualitätssicherung legen werde. Deshalb plane sie auch eine Qualitätssicherungsagentur einzurichten, die sich als eine so genannte "Pisa-National" systematisch von außen mit der Gewährleistung der Standards beschäftigen soll. Sie werde auch die Definition von Leistungsstandards veranlassen, um festzulegen, was ein Kind bzw. ein/e Jugendliche/r in einer bestimmten Schulstufe bzw. bei der Matura können muss. Gehrer sprach sich in diesem Zusammenhang dezidiert gegen eine Zentralmatura aus, die Schulen sollten aber festgelegte Standards gewährleisten und darüber hinaus im Bereich ihrer Autonomie eigene Schulprofile entwickeln. Dazu soll eine Grundstruktur von Stundenplänen festgelegt werden, zusätzliche Angebote könnten die Schulen dann autonom offerieren. Maßnahmen sollten auch bei der Lehrerfortbildung gesetzt werden, so die Ressortchefin, wobei sie an zusätzliche Investitionen in neue Technologien denke, um z.B. das Tele-Learning zu forcieren. 

Man müsse auch, so die Ministerin weiter, hinterfragen, wie die Daten der internationalen Studien zustande kommen, um eine Vergleichbarkeit herzustellen. Im Interesse der Sicherung der Qualität des Schulsystems werde sie eine Zukunftskommission einrichten, in die auch ExpertInnen von außen, wie NeuropsychologInnen, eingeladen werden.

Ausführlich ging die Ministerin auf die geplante Kürzung von Unterrichtsstunden ein, die sie mit zehn Stunden an den BHS, acht Stunden an der Oberstufe der AHS, sechs Stunden an den mittleren kaufmännischen Schulen, sieben Stunden an den Hauptschulen, sechs Stunden an der Unterstufe der AHS und zwei Stunden an der Volksschule bezifferte. Gehrer verhehlte nicht, dass es dabei nicht nur zu einer Entlastung der SchülerInnen komme, sondern diese Reduktion auch den Struktureffekt im Budget durch Gehaltserhöhungen und Biennalsprünge, welcher 1,5 % von 2,1 Mrd. Euro pro Jahr ausmache, in den Jahren 2003 und 2004 abfange. Dennoch stelle diese Maßnahme einen ersten Schritt dar, und gebe einen Anstoß zu überlegen, welche Inhalte, Methoden und welche Didaktik heute gebraucht würden.

STUNDENKÜRZUNGEN DÜRFEN NUR ERSTER SCHRITT FÜR EINE NACHHALTIGE VERBESSERUNG SEIN

In der darauf folgenden Diskussion befürchteten die Abgeordneten von SPÖ und Grünen, dass es bei der Stundenreduktion in erster Linie um Budgetersparnis gehe. Abgeordneter Erwin Niederwieser (S) betonte, dass dies nicht die wichtigste bildungspolitische Frage darstelle, und wurde darin von seiner Fraktionskollegin Andrea Kuntzl unterstützt. Sie meinte, dass eine Entlastung der SchülerInnen grundsätzlich begrüßenswert sei, es sei aber notwendig darüber nachzudenken, wo die Stundenkürzungen vorgenommen werden. Worum es gehe, seien nachhaltige Änderungen, die auch die Durchforstung von Lehrplänen und Lehrinhalten bringen müssten. Zentrale Frage sei, wie man junge Menschen zeitgemäß für die Zukunft ausbilde. Abgeordneter Robert Rada (S)vermisste zudem Überlegungen, wie sich die Stundenreduktion auf die Lehrverpflichtung an den Pflichtschulen auswirkt und regte an, an den AHS-Oberstufen auf ein modulares System umzusteigen.

In die gleiche Kerbe schlug Abgeordneter Dieter Brosz (G), dem bei dieser Diskussion um die Stundenkürzungen die Festlegung fehlte, welche bildungspolitischen Ziele man damit verbinden möchte.

Vorbehaltlos wurde die Reduktion der Stunden von den Abgeordneten der ÖVP als wesentliche Maßnahme zur Entlastung der SchülerInnen begrüßt. Der Vorsitzende des Ausschusses Werner Amon (V) unterstrich, dass es keineswegs um eine blindwütige Kürzung von Stunden gehe, sondern dass sich ExpertInnen vor diesem Hintergrund mit der Stundentafel und den Lehrplänen befassen würden. Abgeordneter Alfred Brader (V) meinte, dass die Überforderung der SchülerInnen vielfach auch entstehe, weil oftmals eine Abstraktionsleistung verlangt würde, die nicht altersgerecht sei. Die Abgeordneten Andrea Wolfmayr und Wolfgang Großruck (beide V) legten besonderen Wert auf die Erhaltung und Förderung der musischen Fächer, die durch die Stundenreduktion  nicht beeinträchtigt werden dürften. Diese beeinflussten wesentlich die Lebensqualität positiv und seien auch wichtig für die Aneignung von Wissen. Wolfmayr plädierte daher dafür, die musisch kreativen Fächer in die anderen Fächer einzubeziehen.

Abgeordneter Wolfgang Großruck (V) unterstrich auch die Bedeutung der kleinen Schulen, nachdem Abgeordnete Heidrun Walther (S) die Schließung kleiner Schulstandorte befürchtete hatte. Bundesministerin Gehrer stellte dazu fest, dass die Erhöhung der Verhältniszahlen von 9,6 auf 9,8 Schüler pro Lehrer im Pflichtschulbereich kleine Standorte nicht gefährde, da der Schülerrückgang nicht so enorm sei und die Stundenreduktion an Haupt- und Volksschulen es den Ländern erleichtere, die vom Bund zur Verfügung gestellten Ressourcen so aufzuteilen, dass kleine Schulen erhalten bleiben.

Für Abgeordnete Mares Rossmann (F) ist es wichtig, dass mit der Stundenreduktion kein qualitativer Einschnitt vorgenommen wird; sie regte an, damit auch einen Teil des Nachmittagsunterrichts zu entlasten.

GANZTÄGIGE SCHULFORMEN: OBLIGATORISCH ODER FREIWILLIG?

In der weiteren Diskussion trat Abgeordnete Christine Lapp (S) insbesondere für die Förderung benachteiligter und lernschwacher SchülerInnen ein. Abgeordnete Beate Schasching (S) wies darauf hin, dass insbesondere Teamfähigkeit und soziales Lernen stärker im Mittelpunkt stehen müssten. Wie ihre Klubkollegin Christine Muttonen sprach sie sich für ganztägige Schulformen aus, da in diesen Organisationsformen all diese Kompetenzen leichter vermittelt werden könnten. Ganztagsschulen würden auch der Lebensrealität mehr entsprechen, argumentierten beide und forderten pädagogische Konzepte für ganztägige Schulformen.

Derartige verpflichtende ganztägige Schulformen wurden jedoch von den Abgeordneten der ÖVP strikt abgelehnt. Die Abgeordneten Werner Amon, Nikolaus Prinz sowie Gertrude Brinek (alle V) sprachen sich jedoch für den Ausbau freiwilliger und flexibler Formen aus, die nicht nur von der öffentlichen Hand finanziert würden. Solche Mischmodelle von privaten Trägerorganisationen und öffentlich geführten Einrichtungen funktionierten bestens, beispielsweise in Wien und Vorarlberg, so Brinek. Aufgaben von Eltern dürften nicht auf die Schule abgewälzt werden, ergänzte Amon. 

Abgeordneter Erwin Niederwieser sowie Abgeordnete Andrea Kuntzl (beide S) erwähnten die Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung, die klar ergeben habe, dass das derzeitige Schulsystem die Ungleichheit unter den SchülerInnen verstärke anstatt sie auszugleichen. Abgeordnete Brinek (V) maß diesem Thema hinsichtlich der Kinder aus bildungsfernen Schichten ebenfalls große Bedeutung zu, meinte aber, dass dem nicht durch Organisationsänderungen im Schulsystem begegnet werden könne. So habe es sich beispielsweise gezeigt, dass in den skandinavischen Ländern die Gesamtschulen bei den sozialen Qualitäten schlecht abschnitten. Es müsse daher darum gehen, festzulegen, welche Faktoren für eine gute Schule maßgeblich sind. Auch Abgeordneter Wolfgang Großruck (V) legte auf die Festlegung von Leistungsstandards als "Grundnahrungsmittel" dafür, was jeder können müsse, großen Wert.

In der Beantwortung der zahlreichen Fragen betonte Bundesministerin Gehrer, dass eben diese Leistungsstandards in ganz Europa erarbeitet würden, um die Voraussetzung für die Pisa-Studien zu schaffen. Dabei müsse selbstverständlich Wert auf soziale, musische und sportliche Kompetenzen gelegt werden. Was die Schließung der Förderungsstellen des Bundes für Erwachsenenbildung betreffe, so gehe dies auf eine Vereinbarung zwischen den Landeshauptleuten und dem Finanzminister zurück. Dadurch würden auch Doppelgleisigkeiten abgebaut, stellte die Ministerin Abgeordnetem Niederwieser (S) gegenüber fest. Die Alternativschulen würden im kommenden Fiskaljahr keine erhöhten Förderungen erhalten, meinte sie auf eine Frage des Abgeordneten Dieter Brosz (G), und auf den Vorschlag des Abgeordneten Christian Faul (S), die Samstage an den AHS freizugeben, reagierte die Ministerin damit, dass dies die Schulen selbst entscheiden sollten. Abgeordnete Michaela Sburny (G) hatte auch die GATS-Verhandlungen angeschnitten, worauf Gehrer antwortete, dass sie den Wirtschaftsminister ersucht habe, die bereits vorgenommenen Liberalisierungen im Schulbereich in den neunziger Jahren wieder zurückzunehmen. An den Fachhochschulen und Universitäten seien keine Liberalisierungen geplant. (Schluss)