Parlamentskorrespondenz Nr. 524 vom 02.07.2003

DAS NEUE ÖFFNUNGSZEITENGESETZ 2003 PASSIERT DEN WIRTSCHAFTSAUSSCHUSS

V/F hoffen auf mehr Umsätze - S/G fürchten Nachteile für Arbeitnehmer

Wien (PK) - Der Wirtschaftsausschuss verabschiedete in seiner heutigen Sitzung das Öffnungszeitengesetz 2003 unter Berücksichtigung eines V-F-Abänderungsantrages mit der Mehrheit der Regierungsparteien. Der in der Debatte von der Opposition der SPÖ und Grünen heftig kritisierte Entwurf konzentriert alle Bestimmungen über Öffnungszeiten im Einzelhandel in einem Gesetz und schreibt es den Geschäften grundsätzlich vor, an Samstagen nach 18 Uhr, an Sonn- und Feiertagen sowie an Montagen bis 5 Uhr geschlossen zu halten, sofern nicht eine Verordnung des Landeshauptmannes anderes vorsieht, wobei für Gastgewerbe und Tankstellen Ausnahmen gelten. Von Montag 5 Uhr bis Samstag 18 Uhr kann der Landeshauptmann per Verordnung die täglichen Offenhaltezeiten festlegen. Tut er dies nicht, können die Verkaufsstellen an Montagen bis Freitagen von 5 Uhr bis 21 Uhr und an Samstagen von 5 Uhr bis 18 Uhr offen gehalten werden, wobei die Gesamtöffnungszeit pro Woche 66 Stunden beträgt. Aus Rücksicht auf Einkaufsbedürfnisse der Bevölkerung und der Touristen kann der Landeshauptmann eine wöchentliche Gesamtoffenhaltezeit bis zum Ausmaß von 72 Stunden verordnen.

Die starre Bestimmung des Arbeitsruhegesetzes, wonach ein Arbeitnehmer, der an einem Samstag nach 13 Uhr beschäftigt wird, am folgenden Samstag nicht beschäftigt werden darf, soll gestrichen werden; kollektivvertragliche Sonderbestimmungen bleiben aber möglich.

Bestimmte Dienstleistungsbranchen wie Friseure, Kosmetiksalons, Reisebüros, Fotografen, Schuhservice, Copy-Shops oder Banken, die bisher an Samstagen nach 13 Uhr keine Arbeitnehmer beschäftigen konnten, dürfen künftig am Samstag ebenso lange offen halten wie Handelsbetriebe. Neue Ausnahmen von der Werktagsöffnungszeit gelten für "Verkaufsstellen bestimmter Art", die etwa in Bahnhöfen oder Flughäfen Lebensmittel (bisher "Reiseproviant"), Reiseandenken und Reisebedarf anbieten. Die Geschäftsfläche wird für solche Waren - außer in Wien und den Landeshauptstädten - außerhalb der Offenhaltezeit auf 80 m² beschränkt. - Ein von Abgeordnetem Josef Trinkl (V) vorgelegter V-F-Abänderungsantrag enthielt eine Reihe von Klarstellungen, redaktionellen Verbesserungen und sorgte im Bereich der Gewerbeordnung dafür, dass die bei der letzten Novelle vereinbarten Bestimmungen für Versicherungsagenten und Versicherungsmakler nunmehr kundgemacht werden können. In einer mit V-V-Mehrheit getroffenen Ausschussfeststellung drängten die Regierungsparteien auf flankierende Maßnahmen der Sozialpartner zugunsten der MitarbeiterInnen sowie für eine weitere Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Abgeordneter Hans Moser (S) konnte keine ökonomischen Begründungen für die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten erkennen. Ein drohender Kaufkraftabfluss sei ebenso bloße Behauptung wie die Aussicht auf zusätzliche Arbeitsplätze. Tatsächlich verschlechtere die vorgeschlagene Novellierung die Situation der Arbeitnehmer, verteile von den kleinen Unternehmen zu den großen Kaufhausketten um und lasse einen Rückgang bei den Vollzeitarbeitsplätzen sowie Verschlechterungen für die vielen Frauen im Handel befürchten.

Abgeordneter Kurt Eder (S) wandte sich dagegen, die Unterscheidung zwischen Versicherungsagenten und Versicherungsmaklern fallen zu lassen, weil dies weder EU-konform noch im Interesse der Konsumenten gelegen sei.

Abgeordnete Michaela Sburny (G) zitierte Studien, aus denen hervorgehe, dass der wirtschaftliche Schaden infolge der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten den Nutzen, den sie für die Konsumenten haben könne, bei weitem übersteige. Sburny machte auf die starken Konzentrationstendenzen im Handel und auf das ständige Abnehmen von Vollzeitäquivalenten in der Beschäftigung aufmerksam und warf der Regierung vor, ihr gehe es ausschließlich um die Verbilligung der Arbeitskräfte. Zudem brach Sburny eine Lanze für die Stärkung der Nahversorgung.

Abgeordneter Reinhold Mitterlehner (V) hielt es für notwendig, dass Österreich der internationalen Entwicklung in Richtung liberalerer Ladenöffnungszeiten folge und wies die Auffassung zurück, die Konzentration im Handel sei eine Folge liberalerer Öffnungszeiten. Mitterlehner bekannte sich zur Beibehaltung der Sonntagsruhe, die vorliegenden Änderungen bezeichnete er als "absoluten Fortschritt". Der Ausschussvorsitzende sprach die Erwartung aus, dass die Landeshauptleute, die von ihren schon bisher bestehenden Verordnungsrmächtigungen sehr sparsam Gebrauch gemacht haben, die Notwendigkeit von Änderungen erkennen werden. Mit der von Abgeordnetem Eder kritisierten Änderung in der Gewerbeordnung werde der im Zuge der letzten Gewerbeordnungsnovelle vereinbarte Status hergestellt, um eine Einschränkung in der Tätigkeit der Versicherungsagenten zu vermeiden. Da sich de facto nichts ändere, stehe diese Änderung auch einer Umsetzung der EU-Versicherungsrichtlinie nicht im Wege.

Abgeordneter Hannes Bauer (S) vermisste Maßnahmen, um den Arbeitnehmern in den Pendler-Regionen die Möglichkeit zu geben, sich auf die neuen Arbeitszeiten einzustellen. "Es fehlen die Angebote im öffentlichen Verkehr".

Abgeordnete Csörgits (S) wertete die weitere Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten als Beweis dafür, dass diese Bundesregierung kein Herz für Arbeitnehmer, Frauen und Familien habe. Für viele Frauen im Handel bedeuteten Öffnungszeiten von 5 bis 21 Uhr inklusive der Vor- und Nacharbeiten, dass sie frühmorgens aufstehen müssen oder erst spät nachts nach Hause kommen. Umsatzzuwächse seien nicht zu erwarten, klagte die Abgeordnete und sah auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter verschlechtert.

Abgeordneter Dietmar Hoscher (S) brach eine Lanze für die kleinen und mittleren Unternehmen, die durch die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten noch stärker unter Wettbewerbsdruck von Seiten der großen Handelsketten kommen.

Abgeordnete Bettina Stadlbauer (S) wies die wirtschaftlichen Argumente für die Erweiterung der Ladenöffnungszeiten zurück und kritisierte die Absicht der Bundesregierung, Arbeitnehmerrechte im Handel zu verschlechtern. Die von den Regierungsparteien vorgeschlagene Ausschussfeststellung für Kollektivverträge mit flankierenden Maßnahmen für die Arbeitnehmer hielt die Rednerin für zynisch. Wollten ÖVP und FPÖ die Arbeitnehmerrechte schützen, sollten sie dafür sorgen, dass sie gesetzlich geregelt bleiben.

Abgeordneter Christoph Matznetter (S) appellierte an Bundesminister Bartenstein, bei den Ladenöffnungszeiten den Konsens mit den Gewerkschaften zu suchen und verdolmetschte die Interessen der kleineren und mittleren Unternehmen gegenüber den großen Handelsketten. "Die Kleinen stellen das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft dar und bieten vielfach bessere Arbeitsbedingungen als die Großen", sagte Matznetter. Der Abgeordnete wollte auch an der Unterscheidung zwischen Versicherungsagenten und Versicherungsmaklern festhalten, wie dies die EU-Versicherungsrichtlinie vorsehe. "Denn die Makler sollen im Interesse der Kunden gestärkt werden".

Bundesminister Martin Bartenstein stellte seinen Ausführungen das klare Bekenntnis voraus, an der Sonntagsruhe nicht zu rütteln. Dass die Konzentration im Handel nicht auf liberale Ladenöffnungszeiten zurückzuführen sei, zeige gerade das Beispiel Österreichs, wo vergleichsweise restriktive Ladenöffnungszeiten mit einer starken Konzentration im Handel einhergehe. Das Ladenöffnungsgesetz sei kein Arbeitnehmerschutzgesetz, unterstrich der Minister, "dafür gebe es andere Gesetze, etwa das Arbeitsruhegesetz". Die Erweiterung der Ladenöffnungszeiten sei auch wegen der EU-Erweiterung notwendig, weil andernfalls nach der Öffnung der Ostgrenzen ein Kaufkraftabfluss in Richtung Bratislava oder Sopron drohe.

Er erwarte nicht, dass viele Geschäfte um 5 Uhr morgens aufsperren werden, sagte Bartenstein und hielt Klagen über Arbeitszeiten nach 21 Uhr die Arbeitszeiten in der Industrie und in der Gastronomie entgegen. Hinsichtlich der Umsatzentwicklung rechne er mit Zuwächsen und infolge dessen auch mit einer Zunahme der Beschäftigung. Im Interesse des Tourismus sprach der Wirtschaftsminister die Hoffnung aus, dass die Landeshauptleute von ihrer Verordnungsermächtigung in hohen Maße Gebrauch machen werden.

Abgeordneter Josef Trinkl (V) wertete die Erweiterung der Öffnungszeiten als eine Chance für kleinere und mittlere Unternehmen und wies die Behauptung zurück, dass Arbeitnehmerrechte abgebaut wurden.

Abgeordneter Maximilian Hofmann (F) erinnerte hinsichtlich der Versicherungsagenten und -makler an eine Einigung zwischen diesen beiden Berufsgruppen und verteidigte die neue Ladenöffnungsregelung als vernünftig, wobei er darauf aufmerksam machte, dass sich am Rahmen von 66 Wochenstunden nichts ändere.

Abgeordnete Ridi Steibl (V) bekannte sich zur Heranführung der österreichischen Ladenöffnungszeiten an die europäischen Standards und zeigte sich erfreut über die Sympathiekundgebungen der SPÖ und der Grünen für die KMU.

Abgeordneter Johannes Schweisgut (V) unterstrich die Bedeutung von Einkaufsmöglichkeiten für die Gäste in den Tourismusregionen und sprach seine Erwartung auf tourismusfreundliche Regelungen in den Bundesländern aus.

Abgeordnete Heidrun Silhavy (S) klagte über arbeitszeitrechtliche Überschreitungen im Handel und kritisierte, dass der Ausschuss von den Sozialpartnern jene Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer verlange, die er selbst im Gesetz abschaffen möchte.

Abgeordneter Werner Kogler (G) räumte ein, dass liberalere Ladenöffnungszeiten den Konsumenten Chancen geben, zeigte aber Sympathien für die Argumentationen der Sozialdemokraten, da er Gefahren für die Arbeitnehmer, aber keine Vorteile für die KMU sah.

VORBEHALT ZUM WASHINGTONER ARTENSCHUTZÜBEREINKOMMEN

Österreich, seit 1982 Vertragspartei des Washingtoner Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen, muss seit seinem EU-Beitritt im Jahr 1995 auch die diesbezüglichen Verordnungen der Europäischen Union - die nicht Mitglied des Washingtoner Artenschutzabkommens ist - anwenden. Um eine einheitliche Durchführung des Übereinkommens in der EU zu gewährleisten, will die Regierung im Gleichklang mit 13 anderen EU-Staaten einen Vorbehalt (35 d.B.) dagegen einbringen, dass bei der Einfuhr eines Exemplars des Altaiwiesels, des Hermelins, des Gelbbauchwiesels, des Sibirischen Feuerwiesels und bestimmter Varianten des Rotfuchses (vulpes griffithi, vulpes montana und vulpes pusilla) ein Ursprungszeugnis bzw. die Ausfuhrgenehmigung jenes Staates vorzulegen ist, der diese Art einseitig unter Schutz gestellt hat. - Die diesbezügliche Regierungsvorlage nahm der Ausschuss mit V-F-Mehrheit an.

Abgeordneter Christoph Matznetter (S) erinnerte an das Versprechen, durch den EU-Beitritt keinerlei Standards zu verschlechtern und wandte sich entschieden dagegen, der internationalen Jäger-Lobby nachzugeben und den Artenschutz zu verschlechtern. Dieser Argumentation schlossen sich auch die Abgeordneten Kurt Gartlehner (S) und Michaela Sburny (G) an. - Bundesminister Martin Bartenstein sprach hingegen von einer sinnvollen Maßnahme für eine einfachere Zollabfertigung, die von vielen anderen EU-Ländern mitgetragen werde.

MUSTERSCHUTZGESETZ-NOVELLE 2003

Im weiteren Verlauf der Sitzung sprach sich der Wirtschaftsausschuss mit V-F-Mehrheit für eine Novellierung des Musterschutzgesetzes (65 d.B.) mit EU-Anpassungen aus. Unter der Voraussetzung, dass auch das Plenum der nächsten Woche zustimmt, werden unter anderem die Definitionen der Begriffe "Muster" und "Erzeugnis, geändert, die Kategorie der relativen Neuheit, eine Neuheitsschonfrist und die Verlängerung der maximalen Schutzdauer auf 25 Jahre sowie die Bestimmungen über die Nichtigerklärung eines Musters. Außerdem können Musteranmeldungen künftig nur mehr zentral beim Patentamt erfolgen. Die bisher bestehende Möglichkeit, Muster auch bei den Anmeldestellen der Wirtschaftskammern einzureichen, soll entfallen. Die Möglichkeit der dezentralen Anmeldung habe einen erhöhten Verwaltungsaufwand und Verzögerungen der Verfahren nach sich gezogen, weil auch fristgebundene Eingaben bei den Anmeldestellen gemacht wurden, was zu Fristversäumnissen und Nachteilen für die Anmelder geführt haben.

Abgeordneter Dietmar Hoscher (S) sprach von einem grundsätzlich begrüßenswerten Anliegen, dem die SPÖ aber noch nicht zustimmen wolle, weil im Interesse vieler kleiner und mittlerer Unternehmen eine Regelung für den Nachbau von Karosserieteilen im Kfz-Bereich notwendig sei, über die es bis zur Plenarverhandlung noch Verhandlungen in Richtung eines Abänderungsantrages geben sollte. (Fortsetzung)