Parlamentskorrespondenz Nr. 511 vom 29.06.2004

NATURALRESTITUTION: VERFASSUNGSAUSSCHUSS STIMMT FRISTVERLÄNGERUNG ZU

NS-Opfer und Erben haben bis Ende 2004 Zeit für Anträge

Wien (PK) - Opfer des Nationalsozialismus bzw. deren Erben haben noch bis zum 31. Dezember 2004 Zeit, um Anträge auf Naturalrestitution von Liegenschaften und Gebäuden zu stellen, die ihnen in der NS-Zeit entzogen worden waren. Der Verfassungsausschuss des Nationalrats stimmte einhellig einem Vier-Parteien-Antrag auf Änderung des Entschädigungsfondsgesetzes zu, der eine entsprechende Fristverlängerung enthält. Voraussetzung für die Rückgabe der Liegenschaft bzw. des Gebäudes ist, dass sich diese in öffentlicher Hand befinden (Eigentum des Bundes oder eines Bundeslandes mit Ausnahme Tirols) und bisher keine (adäquate) Entschädigung erfolgte. Die Beurteilung der Anträge obliegt einer Schiedsinstanz. Die ursprüngliche Antragsfrist war mit 27. Jänner dieses Jahres abgelaufen.

Begründet wird die Fristverlängerung von den Abgeordneten damit, dass sich mehrere Bundesländer der Initiative des Bundes in Sachen Naturalrestitution angeschlossen haben, den Betroffenen aufgrund verzögerter Bekanntmachungen aber zu wenig Zeit für Antragstellungen geblieben sei. In Wien kommt hinzu, dass ein Forschungsprojekt zur Feststellung der in Betracht kommenden Liegenschaften erst im April 2004 fertig gestellt wurde. Außerdem soll mit der Verlängerung der Antragsfrist ein Zeichen dafür gesetzt werden, dass der österreichische Gesetzgeber ernsthaft bemüht ist, zu einer umfassenden und endgültigen Lösung von offenen Fragen der Entschädigung von NS-Opfern zu kommen, heißt es in den Erläuterungen des Vier-Parteien-Antrags.

FUNKTIONSDAUER DES VERSÖHNUNGSFONDS WIRD VERLÄNGERT

Verlängert wird auch die Funktionsdauer des Versöhnungsfonds, der freiwillige Leistungen Österreichs an ehemalige Sklaven- und Zwangsarbeiter des NS-Regimes erbringt, und zwar bis 31. Dezember 2005. Damit soll dem Fonds die Möglichkeit gegeben werden, seine Tätigkeit ordnungsgemäß zu beenden, sowie alle erforderlichen Abrechnungen und vorgesehenen Prüfungen, sowohl des Versöhnungsfonds selbst als auch der Partnerorganisationen, durchzuführen. Trotz aller Bemühungen, die Zahlungen an die durchwegs betagten ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeiter rasch durchzuführen, werde es nämlich nicht möglich sein, alle fristgerecht eingelangten Anträge noch heuer fertig zu bearbeiten, wird in den Erläuterungen betont.

An der mit 31.12.2003 abgelaufenen Antragsfrist ändert die Verlängerung der Funktionsdauer des Versöhnungsfonds nichts, darüber hinaus muss das Kuratorium des Fonds bereits bis Ende 2004 entscheiden, wie das restliche Vermögen des Fonds verwendet wird.

Im Rahmen der Diskussion wurde von den Abgeordneten sowohl die Arbeit des Entschädigungsfonds als auch jene des Versöhnungsfonds gelobt. Abgeordnete Terezija Stoisits (G) bedauerte allerdings, dass sie von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, dem Vorsitzenden des Kuratoriums des Versöhnungsfonds, noch keine Einladung für eine Sitzung erhalten habe, in der die Verwendung der restlichen Fondsmittel geklärt werden sollte. Schüssel habe ursprünglich für Mai die Vorlage eines Vorschlags angekündigt, erklärte sie.

Ludwig Steiner, Vorsitzender des Komitees des Versöhnungsfonds, wies darauf hin, dass es nicht nur um eine ordnungsgemäße Beendigung der Arbeit des Versöhnungsfonds gehe, sondern auch 9.000 neue Anträge eingelangt seien, die noch behandelt werden müssten. Der Fonds wolle alles unternehmen, damit keiner, der einen Anspruch auf diese Geste der Republik habe, übersehen werde, bekräftigte er. Steiner zufolge ist die nächste Kuratoriumssitzung des Fonds für 27. Juli anberaumt.

Der Vier-Parteien-Antrag auf Änderung des Versöhnungsfondsgesetzes wurde vom Verfassungsausschuss einstimmig angenommen.

VFGH UND VWGH: ERLEICHTERUNGEN BEI GEBÜHRENENTRICHTUNG FÜR EINGABEN

Ebenfalls einstimmig billigte der Verfassungsausschuss einen von der Regierung dem Parlament vorgelegten Gesetzentwurf, der einem erleichterten Nachweis der Gebührenentrichtung für Eingaben an den Verwaltungsgerichtshof bzw. an den Verfassungsgerichtshof dient. Der Zahlungsnachweis muss künftig nicht mehr zwingend durch einen postamtlich bestätigten Erlagschein erfolgen. Darüber hinaus werden legistische Unstimmigkeiten im Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, im Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 und in der Europawahlordnung beseitigt.

Bei der Abstimmung wurde eine Druckfehlerberichtigung berücksichtigt. Gleichzeitig stimmte der Verfassungsausschuss einhellig einem damit in Zusammenhang stehenden und von Abgeordneter Magda Bleckmann (F) eingebrachten V-F-Entschließungsantrag zu, in dem die Abgeordneten den Bundeskanzler ersuchen, in Angleichung an die von den ordentlichen Gerichten angebotenen Arten der Gebührenentrichtung auch für Verfahren vor den Höchstgerichten die Möglichkeit der Gebührenentrichtung durch Abbuchung und Einziehung vom Konto des Parteienvertreters prüfen zu lassen und dem Nationalrat einen entsprechenden Gesetzentwurf zuzuleiten, wenn durch eine verwaltungsökonomisch vertretbare Regelung eine administrative Mehrbelastung der Höchstgerichte vermieden werden kann.

ANTRAG DER GRÜNEN AUF ÄNDERUNG DES VOLKSZÄHLUNGSGESETZES VERTAGT

Vom Verfassungsausschuss mit den Stimmen der Koalitionsparteien vertagt wurde ein Antrag der Grünen auf Änderung des Volkszählungsgesetzes. Die Grünen wollen jene Paragraphen aus dem Gesetz streichen, die die geheime Erhebung der Muttersprache regeln, und begründen dies damit, dass die Erhebung der Muttersprache und/oder der Umgangssprache in modernen demokratischen Rechtsstaaten im Rahmen von regulären Volkszählungen und nicht mittels einer geheimen Erhebung stattfinden soll.

ÖVP und FPÖ begründeten die Vertagung damit, dass sich der Konvent mit der Frage befassen solle. Inhaltlich habe sie kein Problem mit dem Antrag, sagte Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer, sie halte es aber nicht für sinnvoll, jetzt einzelne Stücke aus der Verfassung herauszubrechen, noch dazu, wo sich der Ausschuss 2 des Konvents auch mit dieser Frage befasse. Ähnlich argumentierte auch FPÖ-Klubobmann Herbert Scheibner, der sich dagegen aussprach, die Arbeit des Konvents zu präjudizieren. Zudem bestehe in dieser Frage keine Eile, unterstrich er.

Die Argumentation der Koalitionsparteien führte zu heftiger Kritik seitens der Grünen und der SPÖ. Abgeordnete Terezija Stoisits (G) meinte, sie habe "die Nase voll" vom immer wiederkehrenden Argument, der Verfassungskonvent solle sich mit einer Frage beschäftigen. Es gehe darum, eine minderheitenfeindliche Bestimmung zu streichen, und das sei eine politische Frage, bekräftigte sie. Dazu brauche man nicht den Konvent, sondern den Mut des Verfassungsgesetzgebers.

Stoisits und Abgeordneter Walter Posch (S) wiesen überdies darauf hin, dass die betreffenden Bestimmungen des Volkszählungsgesetzes noch nie zur Anwendung gekommen und de facto totes Recht seien. Posch machte zudem geltend, dass der Ausschuss 2 des Konvents in seinem Bericht bereits die Aufhebung dieser Paragraphen empfohlen habe. Ausschussvorsitzender Peter Wittmann (S) erklärte, ein bisschen mehr Selbstbewusstsein des Ausschusses wäre angebracht.

Staatssekretär Franz Morak verwies darauf, dass die Großzählung des Jahres 2001 die letzte ihrer Art gewesen sei und Volkszählungen in Hinkunft als Registerzählungen durchgeführt werden sollen. Dies werde ohnehin entsprechende Gesetzesänderungen notwendig machen.

BUNDESRAT WILL MEHR RECHTE 

Ebenfalls vertagt wurden die Beratungen über zwei Gesetzesanträge des Bundesrats (58.d.B. und 232 d.B.) und einen Gesetzesantrag der SPÖ-BundesrätInnen. Geht es nach den Vorstellungen des Bundesrats sollen künftig Gesetzesvorschläge und Volksbegehren gleichzeitig an den Nationalrat und den Bundesrat verteilt werden müssen. Der zuständige Ausschuss des Bundesrates könnte dann, so der Vorschlag, bis zum Abschluss der Beratungen im Nationalratsausschuss eine Stellungnahme zu einem Gesetzesvorschlag abgeben. Außerdem fordert der Bundesrat das Recht ein, auch gegen einzelne in Sammelgesetzen zusammengefasste Gesetze bzw. Gesetzesänderungen Einspruch zu erheben - das würde in manchen Fällen einen Einspruch erleichtern, da die vom Bundesrat gebilligten und damit vom Einspruch nicht umfassten Teile eines Sammelgesetzes in Kraft treten könnten.

Der Antrag der SPÖ-BundesrätInnen zielt auf eine Änderung des Unvereinbarkeitsgesetzes ab. Durch einen neuen Passus im Gesetz soll es Mitgliedern der Bundesregierung und Staatssekretären unter anderem künftig verboten sein, im Rahmen ihrer Amtstätigkeit Geschenke anzunehmen, die einen Bagatellwert übersteigen. Damit soll, wie es im Antrag heißt, die "unbeeinflusste, objektive und unbestechliche Amtsführung von Regierungsmitgliedern" gewährleistet werden. Der Antrag folgt den Erläuterungen zufolge dem Prinzip des § 304 StGB, der Beamten Geschenkannahmen grundsätzlich verbietet.

Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) begründete den Vertagungsantrag auch in diesem Fall damit, es sei nicht sinnvoll, noch während der Konventsverhandlungen einzelne Bestimmungen aus der Verfassung herauszubrechen. Sie sprach sich dafür aus, die Ergebnisse des Konvents abzuwarten.

Ähnlich argumentierte Herbert Scheibner (F). Zwei Ausschüsse des Konvents, so der freiheitliche Klubobmann, befassten sich mit einer Neudefinition der Rechte des Bundesrates und gingen damit thematisch weit über die vorliegenden Anträge hinaus. Es wäre daher zielführender, die Anliegen im Konvent einzubringen und ein Gesamtkonzept abzuwarten. Nicht einverstanden erklärte er sich mit dem Antrag der SPÖ-BundesrätInnen zum Unvereinbarkeitsgesetz, da dieser allein politisch motiviert sei.

Dem gegenüber forderte Abgeordneter Stefan Prähauser (S) die Abgeordneten von ÖVP und FPÖ auf, endlich Farbe zu bekennen. Hier gehe es um jahrelange Anliegen des Bundesrates, durch deren Realisierung dieser aufgewertet würde und die Arbeit des Nationalrates unterstützen könnte. Es sei ihm unverständlich, dass eine von allen Fraktionen des Bundesrates mitgetragene Initiative weiter hinausgezögert werden soll.

Differenziert zum Antrag, diese drei Materien zu vertagen, äußerte sich Abgeordnete Eva Glawischnig (G). Sie vertrat die Ansicht, hinsichtlich der Gesetzesanträge des Bundesrates die Konventsergebnisse abzuwarten, da dazu die Beratungen noch nicht abgeschlossen seien. Im Gegensatz dazu habe man aber die Frage der Unvereinbarkeit bereits abgehandelt und keinen Konsens darüber erzielt. Ein solcher sei auch nicht mehr zu erwarten, weshalb in diesem Punkt nichts mehr abzuwarten sei.

Alle drei Anträge wurden schließlich unter einem mit V-F-Mehrheit vertagt. 

GEBÄRDENSPRACHE: UNTERAUSSCHUSS WIRD SICH MIT PETITION BEFASSEN

Schließlich einigte sich der Verfassungsausschuss einhellig darauf, eine Petition und eine Bürgerinitiative des Österreichischen Gehörlosenbundes betreffend Chancengleichheit gehörloser Menschen im österreichischen Bildungssystem dem Unterausschuss des Verfassungsausschusses zuzuweisen, der sich bereits mit einem Antrag der SPÖ und einem Entschließungsantrag der Grünen betreffend die Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache als Minderheitensprache bzw. deren Verankerung in der Verfassung befasst. Der Unterausschuss wird am Donnerstag zu diesem Thema ein Hearing abhalten. Den UnterzeichnerInnen der vorliegenden Petition geht es neben der Anerkennung der österreichischen Gebärdensprache als nicht-ethnische Minderheitensprache um eine umfassende Neuorientierung der Gehörlosenbildung in den Bereichen Frühförderung, Schulen, Berufsausbildung und Universitäten.

Zu Beginn der Sitzung des Verfassungsausschusses war Abgeordnete Helga Machne zu einer der SchriftführerInnen des Ausschusses gewählt worden. (Fortsetzung)