Parlamentskorrespondenz Nr. 126 vom 17.02.2006

Die EU-Pläne von Wirtschafts- und Arbeitsminister Bartenstein

Wachstum und Beschäftigung haben Priorität

Wien (PK) - Was sind die Hauptthemen in der EU-Wirtschaftspolitik? - Vor welchen Herausforderungen steht die EU auf dem Binnenmarkt, bei der Beschäftigung oder in der Energieversorgung? - Welche Akzente setzt die österreichische Präsidentschaft bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie? - Antworten auf diese Fragen findet der interessierte Leser im EU-Arbeitsprogramm 2006 des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit (III-199 d.B.). Erste Priorität hat für Martin Bartenstein das Ziel, Europa auf der Basis einer Wissensgesellschaft zur wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsregion der Welt zu machen. Diese Strategie - vormals Lissabon-Strategie - wird seit dem Vorjahr unter dem neuen Titel "Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung" mit erhöhter Verantwortung der Mitgliedsländer umgesetzt. Signale in Richtung Forschung und Innovation, bessere Regulierungen, Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt und Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen sind von der EU-Ratssitzung am 13. März 2006 zu erwarten, die sich dem Thema "Wettbewerbsfähigkeit" widmen wird.

Beim Thema Dienstleistungsrichtlinie unterstützt Österreich die

Beseitigung von Hindernissen im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr, möchte bei der Anwendung des Herkunftslandprinzips aber kein Risiko bei Sozial- und Umweltstandards eingehen. Balance zwischen Herkunftsland- und Ziellandprinzip, effiziente Kontrolle und lückenlose Rechtsverfolgung lauten die diesbezüglichen Anforderungen. In der Daseinsvorsorge sollen Ausnahmen gelten, auch das Privatrecht soll vom Herkunftslandprinzip ausgenommen sein.

Bessere Regeln sollen die Wettbewerbsfähigkeit der Union erhöhen. Ratsarbeitsgruppen sollen die Folgen von Entscheidungen besser abschätzen, EU-Institutionen ihre Zusammenarbeit verbessern. Wettbewerbsfähigkeitstests sollen eingeführt, Gesetze vereinfacht und schneller umgesetzt, der bürokratische Aufwand gemessen werden. Zudem will die österreichische Ratspräsidentschaft eine Rechtsgrundlage zur Finanzierung der Europäischen Normung verabschieden.

Flexicurity und Europäisches Lebensmodell

Unter dem Titel "Flexicurity - Flexibilität durch Sicherheit" hat der informelle Rat für Beschäftigung und Sozialpolitik in Villach (19. bis 21. Jänner 2006) über eine neue Balance zwischen Flexibilität und Sicherheit in Europa diskutiert. Die Wettbewerbsfähigkeit soll gestärkt und zugleich das "Europäische Lebensmodell" gesichert werden. Österreich bekennt sich zum europäischen Lebensmodell und befürwortet eine stärkere Verankerung des Flexicurity-Ansatzes in der Beschäftigungspolitik. Flexicurity soll als Paradigma europäischer Beschäftigungspolitik in den Rat Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Konsumentenschutz am 10. März 2006 und in den Europäischen Frühjahresrat am 23./24. März 2006 einfließen. Um "Flexicurity" und "Europäisches Lebensmodell" geht es auch im Mittelpunkt der Konferenz "Innovationen in der Arbeitsmarktpolitik: Neue Herausforderungen in Zeiten der Globalisierung" (16.-17.2.2006, Wien) sowie bei der Konferenz "Kulturelle und politische Bedingungen der Lebensmodelle in Europa" (19.-20.5.2006, Wien).

Schwerpunktthema Energiepolitik

Die österreichische Präsidentschaft will die Energiepolitik der EU beim Europäischen Rat am 23./24. März 2006 zum Schwerpunktthema machen. Von der Kommission liegt ein Situationsbericht zum Energiebinnenmarkt vor, der in den meisten Mitgliedstaaten Defizite bei der Marktöffnung für Gas und Strom aufzeigt. Einer Mitteilung der Kommission zufolge drohe die EU ihr Ziel zu verfehlen, den Anteil erneuerbarer Energien im Energiemix bis 2010 auf 12 % zu steigern. Die österreichische Präsidentschaft unterstützt die Kommission bei ihren Bemühungen zur Schaffung eines tatsächlichen Binnenmarktes und plant Schlussfolgerungen zum "Aktionsplan für Biomasse" für den Rat Verkehr, Telekommunikation und Energie am 8./9. Juni 2006. Weitere Vorschläge der Kommission für eine integrierte Energiepolitik werden in Form eines Grünbuchs erwartet.

Forcieren möchte Österreich auch die Entscheidung über die neuen Leitlinien für transeuropäische Energienetze. Private und öffentliche Machbarkeits- oder Vorbereitungsstudien sollen Förderungen erhalten. Differenzen bestehen zwischen Rat und Parlament unter anderem hinsichtlich der Rolle des Europäischen Koordinators für einzelne Projekte.

Auf Basis des Grünbuchs "Energieeffizienz" arbeitet die Kommission an einem Aktionsplan, der im Juni/Juli 2006 vorgelegt werden soll. Die Hälfte des Energiesparpotentials von 20 % (60 Mrd. € jährlich) könnte durch Umsetzung geltender oder vorgeschlagener Gemeinschaftsrichtlinien realisiert werden. Österreich begrüßt Aktivitäten zur Steigerung der Energieeffizienz, will aber Wettbewerbsvorteile für Staaten vermeiden, die bisher weniger sorgsam mit Energie umgegangen sind. Denn eine hohe Energieeffizienz bedeutet auch relativ höhere Kosten für weitere Effizienzgewinne.

Ziel eines Abkommens für eine "Energiegemeinschaft Südosteuropa" ist die Errichtung eines Energiebinnenmarktes nach EU-Muster und die Integration der beiden Märkte. Die Zustimmung des EU-Parlaments vorausgesetzt, soll der im Vorjahr in Athen unterzeichnete Vertrag 2006 in Kraft treten. Sitz des 70-köpfigen Sekretariates der Energiegemeinschaft ist Wien. - Den Energiedialog EU-OPEC über Versorgungssicherheit in der EU und eine optimale Angebotsstruktur auf dem Erdöl-/Erdgasmarkt der OPEC will Österreich intensivieren und neue Schwerpunkte, wie neue Energietechnologien, einbringen. - Der Energiedialog EU-Russland soll schrittweise zum Zusammenschluss der beiden Energiemärkte führen. Vier Arbeitsgruppen behandeln die Themen Investitionen, Infrastruktur, Handel und Energieeffizienz. Abschlussberichte werden für das erste Quartal 2006 erwartet. Die Kommission wird dem Rat Verkehr/Telekommunikation/Energie berichten.

EU-Außenhandel

Im Vordergrund der EU-Außenhandelspolitik steht die WTO-Verhandlungsrunde mit den Themen Marktzugang bei nicht-agrarischen Produkten und Landwirtschaft, Dienstleistungen, Verbesserung der Handelsregeln und Handelserleichterungen. Als Ziel gilt ein Abschluss der WTO-Verhandlungsrunde Ende 2006/Anfang 2007.

In der bilateralen Handelspolitik hat die Implementierung der "EU-US Economic Initiative" Priorität. Den Abschluss eines Bildungsabkommens bis Juni 2006 hält Bartenstein für wahrscheinlich, für ein Luftverkehrsabkommen stehen die Perspektiven gut.

Mit Kanada wird über ein "Trade and Investment Enhancement Agreement" (TIEA) verhandelt, offen sind die Themen Ausschreibungen, geistiges Eigentum und "Regulatory Cooperation".

Auf der Tagesordnung des EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfels am 12. Mai 2006 steht ein Freihandelsabkommen mit Zentralamerika und der Andengemeinschaft, die EU-Mercosur-Verhandlungen und Energiefragen. Wegen stockender Verhandlungen mit Mercosur und des offenen Landwirtschaftskapitels bei den WTO-Verhandlungen sind keine substantiellen Fortschritte zu erwarten.

In Asien sollen Zusammenarbeit und Dialog mit Japan und China fortgesetzt und Perspektiven für ein regionales Freihandelsabkommen EU-ASEAN erarbeitet werden. Der EU-Indien-Gipfel im Oktober 2006 wird klären, ob Verhandlungen über ein Rahmenabkommen aufgenommen werden. China, Kasachstan, Vietnam, Mongolei und Armenien sollen in Antidumpingverfahren den Status von Marktwirtschaften erhalten, sobald sie die Kriterien erfüllen.

Beim EU-Golfkooperationsrat-Gipfel im Mai 2006 scheint der Abschluss eines Freihandelsabkommens möglich. Offen sind Fragen wie Ursprungsregeln, außergerichtlicher Vergleich, öffentliches Beschaffungswesen, Investitionen und Dienstleistungen.

Beim Euromed-Handelsministertreffen am 24. März 2006 in Marokko wird über Dienstleistungs- und Streitbeilegungsabkommen verhandelt. Eine euromediterrane Freihandelszone soll bis 2010 für Sicherheit und Wohlstand rund um die EU sorgen.

Bei den laufenden Verhandlungen mit 6 Regionalzusammenschlüssen der AKP-Staaten (4 afrikanische, 1 pazifische, 1 karibische Gruppe/n) über Partnerschaftsabkommen sollen Fortschritte erzielt werden.

Industrie und Unternehmen

Bei der Umsetzung der Europäischen Charta für Kleinunternehmen zielt die österreichische Präsidentschaft auf eine KMU-spezifische Innovationspolitik, die Förderung von "Ein-Personen-Betrieben", eine Sitzlandbesteuerung und eine "de minimis"-Bestimmung im Beihilfenrecht. Bei der Mehrwertsteuer soll die "de minimis"-Regel erhöht, ein One Stop Shop geschaffen und die Steuersätze für personalintensive Dienstleistungen verringert werden .

Kern der neuen EU-Chemiestrategie ist das System "REACH" (Registration-Evaluation-Authorisation of Chemicals). 30.000 Substanzen mit einem Produktionsvolumen von mehr als einer Tonne pro Jahr und Hersteller sollen von der künftigen Europäischen Chemikalienagentur in einer zentralen Datenbank registriert werden. Das Zulassungsverfahren soll nur gefährliche Chemikalien erfassen. Ende Mai 2006 soll ein gemeinsamer Standpunkt beschlossen werden.

Innovation und Forschung

Ein Rahmenprogramm soll die Bedeutung der Innovation für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie hervorheben. Ab 2007 sollen Innovationen auf Gemeinschaftsebene finanziert werden. Österreichs Hauptzielgruppe sind KMU. - Das 7. EU-Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung will die österreichische Präsidentschaft beschließen - unter der Voraussetzung eines einstimmigen Ratsbeschlusses zu den Budgetfragen.

Bei der Umsetzung des Europäischen Aktionsplans für Umwelttechnologien (ETAP) sollen Synergien zwischen Umweltschutz und Wettbewerbsfähigkeit genutzt werden. Der Einsatz von Umwelttechnologien bringt Wachstum, vor allem im Export.

Tourismus und Kultur

Gemeinsam mit dem nächsten Vorsitzland Finnland lädt Österreich am 20./21. März 2006 zu einer Konferenz mit dem Titel "Tourismus - Schlüssel zu Wachstum und Beschäftigung" nach Wien ein. Die Themen: "Tourismus und Kultur" sowie der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien. Zugleich mit der Konferenz geht das neue EU-Tourismus-Internetportal in Betrieb.

Europäische Beschäftigungspolitik

Der Gemeinsame Beschäftigungsbericht 2005/2006 ist die Basis für eine mögliche Überarbeitung der Leitlinien und der beschäftigungspolitischen Empfehlungen am Europäischen Rat im Juni. Die österreichische Präsidentschaft unterstreicht die Beschäftigungsziele, setzt sich für die Fortsetzung des im Vorjahr reformierten Prozesses ein und hält es für angebracht, die Empfehlungen aus dem Jahr 2004 zur Verstärkung der Beschäftigungsziele zu überprüfen.

Der Kommissionsvorschlag für ein "Europäisches Jahr der Mobilität von Arbeitnehmern 2006" wird in Form eines Pilotprojektes zum Thema "Arbeitskräftemobilität" umgesetzt. Die Eröffnungskonferenz findet am 20./21. Februar 2006 in Brüssel statt. Für Österreich steht eine besondere Förderung der Mobilität nicht im Vordergrund, zumal die Zuwanderung aus den neuen Mitgliedstaaten trotz Übergangsregeln um 14 % zugenommen hat. Vor diesem Hintergrund zeigt Österreich auch gegenüber einer einheitlichen Arbeitsmigrationspolitik unter dem Titel "Strategischer Plan zur legalen Zuwanderung" im Rahmen des Haager Programms Zurückhaltung. Angesichts der Arbeitslosigkeit sollte die Ausschöpfung des EU-Arbeitskräftepotenzials Vorrang vor der Öffnung für Drittstaaten haben, heißt es aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit.

Aufgrund der mangelnden Aufnahmefähigkeit seines Arbeitsmarkts wird Österreich die Verlängerung der Übergangarrangements mit den neuen Mitgliedsländern der Kommission rechtzeitig bis zum 30.4.2006 anzeigen, auch Deutschland hat dies angekündigt. Schweden, Irland und das Vereinigte Königreich bleiben bei der Öffnung des Arbeitsmarktes für neue EU-Bürger. In den übrigen Ländern wurde noch keine formale Entscheidung über die Weiterführung getroffen. - Bei der Festlegung der gemeinsamen Verhandlungspositionen der EU gegenüber Kroatien und der Türkei wird Österreich lange Übergangsfristen für die Freizügigkeit verlangen.

Österreich steht einer verstärkten Anbindung des Europäischen Sozialfonds an die Europäische Beschäftigungsstrategie, wie dies die Kommission vorschlägt, positiv gegenüber. Die "Institutionelle Vereinbarung" zwischen Rat und EU-Parlament sowie die Einigung zum gesamten Strukturfonds-Paket soll bis März/April 2006 erfolgen.

Arbeitsrecht

Gegenüber Vorschlägen zur Änderung der Arbeitszeit-Richtlinie will Österreich am bestehenden Arbeitszeitrecht festhalten, das die Regelung der Bereitschaftsdienste im Arbeitszeitgesetz und im Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz ermöglicht. Die Änderungen würden eine gesetzliche Verlängerung des Bezugszeitraums zur Berechnung der wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden von 4 auf 12 Monate ermöglichen. Bereitschaftszeit, während der der Arbeitnehmer keine Arbeit verrichtet, sich aber am Arbeitsplatz aufhält (inaktive Zeit), sollen laut Änderungsvorschlag nicht als Arbeitszeit angerechnet werden müssen. Die österreichische Präsidentschaft strebt eine politische Einigung beim Rat Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Konsumentenschutz am 10. März 2006 an und wird einen Kompromissvorschlag vorlegen.

Österreich unterstützt einen Richtlinienvorschlag für eine bessere Übertragbarkeit betrieblicher Pensionszusagen und zum Abbau von Freizügigkeitshindernissen zwischen und innerhalb der Mitgliedstaaten, sofern die Freiwilligkeit der Zusagen gewahrt bleibe. Die österreichische Präsidentschaft wird die Verhandlungen in der Ratsarbeitsgruppe neutral moderieren. Eine öffentliche Aussprache im Rat Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Konsumentenschutz ist am 1. Juni 2006 geplant.

Ein Richtlinienvorschlag über Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer zielt auf die Gleichstellung von Leiharbeitern bei Entgelt und Arbeitszeit mit den Angestellten des Beschäftigers. Österreich tritt für die Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und vergleichbaren Arbeitnehmern vom ersten Tag der Überlassung und gegen lange Übergangsfristen und permanente Ausnahmen ein. Die österreichische Präsidentschaft wartet auf ein Kompromisspapier der Kommission.

Österreich begrüßt den Vorschlag, vier laufende Programme (Anreize zur Beschäftigung, Bekämpfung der sozialen Ausgliederung, Chancengleichheit von Frauen und Männern, Bekämpfung von Diskriminierungen) und die Haushaltslinie betreffend Arbeitsbedingungen bis 2013 in ein Programm mit dem Titel "PROGRESS" zusammenzufassen. - Positiv sieht der Arbeitsminister auch den Vorschlag zur Vereinfachung und Modernisierung der Richtlinie für Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, der im Frühjahr 2006 angenommen werden soll. (Schluss)