Parlamentskorrespondenz Nr. 650 vom 05.07.2006

Außenpolitischer Ausschuss zieht Bilanz über EU-Vorsitz

Regierung und Opposition uneinig in Bewertung der Ergebnisse

Wien (PK) – Im Rahmen einer Aktuellen Aussprache des Außenpolitischen Ausschusses ließen die Abgeordneten den österreichischen EU-Vorsitz heute noch einmal Revue passieren und kamen dabei zu durchaus unterschiedlichen Wertungen. Während die Vertreter der Regierungsparteien von nachhaltigen inhaltlichen Ergebnissen sprachen, vermissten SPÖ und Grüne Visionen und konkrete Initiativen Österreichs und meinten, die Präsidentschaft sei bloß sehr gut organisiert gewesen.

Abgeordneter Michael Spindelegger (V) betonte, Österreich habe einen guten Vorsitz hingelegt, und hob insbesondere die Balkan-Politik der Bundesregierung als positiv hervor. Mit der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien, der Frage des Kandidatenstatus für Mazedonien oder dem Assoziationsabkommen mit Albanien seien bemerkenswerte Schritte gesetzt worden, die der Region insgesamt eine europäische Perspektive eröffnen, stand für Spindelegger fest.

Abgeordneter Josef Cap (S) hingegen vermisste österreichische Initiativen und erwiderte, von großen Würfen sei weit und breit nichts zu sehen gewesen, was bleibt, sei aber immerhin eine solide Organisation des Vorsitzes durch die Bundesregierung. Die Liste der nicht erledigten Themen reicht nach den Worten Caps vom Problem des Unternehmenssteuerwettbewerbs über die Arbeitszeitrichtlinie, die EU-Verfassung, die Antiatompolitik bis hin zur Absicherung der Daseinsvorsorge. Rückschläge ortete der SP-Sprecher vor allem auch in der Frage der Aufnahmefähigkeit der Union, enttäuscht zeigte er sich wiederum über die Ergebnisse des EU-USA-Gipfels.

Abgeordneter Herbert Scheibner (F) kommentierte diese Kritik mit der Bemerkung, man sollte sich eigentlich freuen, dass Cap die Regierung so hoch einschätzt, um ihr zuzutrauen, die Megaprobleme der EU in nur sechs Monaten zu lösen. Angesichts der Krise der Union gelte es nach Meinung Scheibners vielmehr, die Erwartungen nun zurückzuschrauben. Österreich sei als Vorsitzland bloß in der Lage gewesen, Anregungen zu geben, Lösungen seien aber nur dann möglich, wenn die Vorschläge innerhalb der EU mehrheitsfähig sind, gab Scheibner zu bedenken. Als falsch qualifizierte er allerdings die Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei. Hier negiere die EU ihre eigenen Kriterien, zumal die Türkei ja nicht einmal bereit sei, sämtliche Mitglieder der Union anzuerkennen, sagte er.

Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) äußerte sich ebenfalls enttäuscht über die Ergebnisse der Präsidentschaft und stellte fest, die Fülle der außenpolitischen Aktivitäten habe inhaltlich keinerlei Weiterentwicklungen gebracht. Bei allen Bemühungen um den Balkanraum sei es der Bundesregierung nicht gelungen, durch konkrete Initiativen den jungen Menschen in Südosteuropa klar zu machen, dass sie in der EU willkommen sind. Auch seien die österreichischen Schritte zu sehr auf Kroatien konzentriert gewesen. Die Kritik Lunaceks bezog sich auch auf das Gipfeltreffen mit US-Präsident Bush. Einen Durchbruch in der Guantanamo-Frage oder hinsichtlich der CIA-Überflüge habe es nicht gegeben, die diesbezüglichen Positionen Österreichs seien nicht klar genug zum Ausdruck gebracht worden, lautete ihr Vorwurf.

Staatssekretär Hans Winkler stellte grundsätzlich fest, Österreich habe als kleines Land das volle Potential der Möglichkeiten ausgeschöpft, die der Vorsitz bietet, und insgesamt eine bessere Arbeit geleistet als so manches größere EU-Land.

Erfolge ortete Winkler vor allem beim Schwerpunkt Westbalkan. Österreich habe großes Interesse an Stabilität in dieser Region. Die Perspektive eines EU-Beitritts sei dabei die wichtigste Motivation für die Staaten am Balkan, den notwendigen Reformprozess voranzutreiben und sich demokratisch weiterzuentwickeln, betonte er. Diese europäische Perspektive bedeute aber nicht, dass diese Staaten schon in naher Zukunft EU-Mitglieder sein können. Die Fortschritte, die die Balkanländer in ihrer Annäherung an die Union machen, werden von ihren eigenen Reformbemühungen abhängen, gab Winkler zu bedenken. In diesem Sinn bezeichnete Winkler Serbien als "Sorgenkind". Angesichts der Weigerung Belgrads, mit dem Internationalen Tribunal zusammenzuarbeiten, habe die Union keine andere Wahl gehabt, als die Verhandlungen zu unterbrechen. Bei einer Änderung der Haltung Serbiens könne aber jederzeit sofort eine Wiederaufnahme erfolgen, der Weg nach Europa bleibe für Belgrad weiterhin offen, betonte Winkler.

Zum Verfassungsvertrag merkte der Staatsekretär an, was erreicht wurde, sei mehr als man erwarten konnte, mit einer Einigung sei realistischerweise nicht zu rechnen gewesen. Österreich könne aber am Ende seiner Präsidentschaft eine neue Dynamik in der Debatte vorweisen. (Fortsetzung)