Parlamentskorrespondenz Nr. 696 vom 13.07.2006

Nationalrat befasst sich mit Einsprüchen des Bundesrates

Mehrheitliche Beharrungsbeschlüsse

Wien (PK) – Im Anschluss an die Fragestunde und vor Eingang in die Tagesordnung teilte der Vorsitz führende Präsident Dr. KHOL mit, dass die Fraktion der Sozialdemokraten eine Dringliche Anfrage an Finanzminister Grasser betreffend "enorm gestiegene Steuerbelastung der österreichischen ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen" eingebracht habe. Gemäß der Geschäftsordnung wird diese Anfrage um 15 Uhr aufgerufen.

Mit Gesundheitsthemen eröffnete dann der Nationalrat heute im Anschluss an die Fragestunde seine Beratungen. Auf der Tagesordnung standen der Einspruch des Bundesrats gegen das Gesundheitsrechtsänderungsgesetz und der Einspruch des Bundesrats gegen die Errichtung der Gesundheit Österreich GmbH.

Dies bedeute ein weiteres Kapitel verfehlter Gesundheitspolitik, eröffnete SP-Gesundheitssprecher LACKNER die Debatte. Diese Politik sei von Chaos – der Abgeordnete führte als Belege für diese Diagnose Ambulanzgebühr und E-Card an – und ÖVP-Machtausbau, was er mit dem Beispiel Hauptverband belegte, geprägt. Auch bei der Gesundheit Österreich GmbH habe die Regierung den Weg des Konsenses verlassen, bedauerte der Redner. Die Gesundheitspolitik der Koalition sei in einer Sackgasse, konstatierte Lackner, das Ergebnis sei die Segmentierung des Gesundheitswesens.

ÖVP-Gesundheitssprecher Dr. RASINGER trat den Gegenbeweis mit OECD-Daten an, nach denen das österreichische Gesundheitswesen im internationalen Vergleich Spitzenplätze belege. Er erinnerte daran, dass mit dem von der Opposition kritisierten Härtefonds ein Vorschlag von Volksanwalt Kostelka aufgegriffen worden sei, und plädierte dafür, statt "juristischer Kleinkrämerei" die "Welt aus der Sicht des Patienten" zu sehen.

Der Gesundheitssprecher der Grünen Dr. GRÜNEWALD räumte zunächst ein, dass die vorliegenden Gesetze nicht in jedem Punkt schlecht seien, übte dann aber gleichwohl Kritik an einzelnen Punkten. So ging er auf die Problematik von "geistig abnormen Rechtsbrechern" ein und trat dafür ein, diesen Ausdruck anders zu fassen. Diese Personen gehörten aus den Justizanstalten heraus; ausländische Beispiele zeigten aber, dass die Herausnahme aus psychiatrischen Anstalten zusätzliche Ressourcen zur Betreuung brauche. In der Einrichtung der Gesundheit GmbH sah Grünewald "Budget- und Beamtenkosmetik", und Hilfen bei Schädigungen von Patienten könnten besser geregelt werden als durch den Härtefonds, der ja wieder nur "Almosencharakter" habe.

Die Regierung sei bemüht, die hohe Qualität des Gesundheitswesens zu erhalten, betonte Abgeordnete MITTERMÜLLER (F), diesem Ziel diene auch die Zusammenlegung der zur Debatte stehenden Einrichtungen. Durch die Schaffung dieses einen Zentrums nütze man auch Synergieeffekte; zudem seien die Mitwirkungsrechte der Bundesländer in der Sozialversicherung gestärkt worden; der einzurichtende Solidaritätsfonds würde rasch und unbürokratisch helfen, betonte Mittermüller.

Abgeordneter SPINDELBERGER (S) kritisierte Gesundheitsministerin Rauch-Kallat, weil sie an der nächtlichen Sitzung des Gesundheitsausschusses nicht teilgenommen habe, und wurde vom Vorsitz führenden Präsidenten Dr. KHOL daran erinnert, dass die Präsidiale des Nationalrats den entsprechenden Beschluss erst am Abend gefasst habe und die Ministerin daher davon nicht wissen habe können. Spindelberger warf der Regierung vor, abgehoben zu agieren und führte als Beleg dafür an, dass die Bedenken von sieben Bundesländern in der Vorbegutachtung nicht berücksichtigt worden wären.

Auch G-Abgeordnete HAIDLMAYR kritisierte die Abwesenheit der Gesundheitsministerin bei der Sitzung des Ausschusses, um sich dann der Ausweitung von Selbstbehalten zuzuwenden. Zwar gebe es weniger chefarztpflichtige Medikamente, doch müssten die PatientInnen diese nun selbst bezahlen, ein Gleiches gelte für Elektro-Rollstühle. "Im Bereich der behinderten Menschen haben Sie wenig getan", fasste Haidlmayr ihr Kritik zusammen.

Gesundheitsministerin RAUCH-KALLAT zählte in ihrer Wortmeldung zunächst eine Reihe von gesundheitspolitischen Maßnahmen der letzten Zeit auf. In Richtung Abgeordnetem Spindelberger betonte sie, dass es aufgrund der Stellungnahmen der Bundesländer Verhandlungen und in der Folge Veränderungen am Gesetzestext gegeben habe, sodass die Länder mehr Rechte hätten. Spindelberger und Abgeordnete Haidlmayr erinnerte sie daran, dass die Präsidialkonferenz des Nationalrats einvernehmlich beschlossen habe, bei den vier nächtlichen Ausschusssitzungen auf die Anwesenheit der Ressortleitungen zu verzichten. Die G-Abgeordnete verwies sie überdies auf das Behindertengleichstellungsgesetz; für die Finanzierung von Elektro-Rollstühlen sei nicht allein die Krankenkasse zuständig.

Abgeordnete SILHAVY (S) knüpfte an die Aufforderung des Abgeordneten Dr. Rasinger an, die Welt aus der Sicht des Patienten zu sehen; genau dies mache die Frau Bundesministerin bei den Selbstbehalten nämlich nicht, sagte Silhavy. Dabei helfe es nicht, statt von "Erhöhungen" von "Anpassungen" zu sprechen. Auch bei den Maßnahmen im Zusammenhang mit dem ÖBIG bzw. der Gesundheit Österreich GmbH gehe es nicht um das Wohl der PatientInnen, sondern um Macht für die ÖVP, kritisierte die Abgeordnete.

Von mehr Mitbestimmung der Bundesländer in den neuen Institutionen könne keine Rede sein, sagte Abgeordnete CSÖRGITS (S), vielmehr habe die Regierung die Kritik der Länder nicht zur Kenntnis genommen. In "6 Jahren Schüssel" sei die Gesundheitspolitik schlechter geworden, insgesamt sei die Gesundheitspolitik der Regierung gescheitert.

Der Nationalrat wiederholte in beiden Fällen seinen Beschluss.

Bei der Wohnrechtsnovelle 2006 diagnostizierte Abgeordnete Bures (S) eine weitere Maßnahme zur Belastung der Mieter. Auch gegen diesen Gesetzesbeschluss hatte der Bundesrat Einspruch erhoben. Mit insgesamt 16 Wohnrechtsnovellen habe die Regierung den Mieterschutz "fast zu Grabe getragen". Es habe exorbitante Kostensteigerungen gegeben; so sei der Kostenanteil für Wohnen nach 16 Novellen von 17 % des Einkommens auf 30 % gestiegen. Alleinerzieherinnen müssten für Wohnen 40 % ihres Einkommens veranschlagen, Pensionistinnen 55 %. "Da bleibt den Menschen nicht mehr viel zum Leben übrig", fasst Bures zusammen.

Abgeordnete Dr. FEKTER (V) hingegen wertete die Vorlage als ein "ausgewogenes Paket", das die Interessen von Mietern und Vermietern berücksichtige. Sie ging auf einzelne Details – Bestimmungen bezüglich Kündigungsschutz, freie Preisvereinbarung, Verpflichtung der Vermieter, gesundheitsgefährdende Schäden zu beseitigen, Rüge bei Unbrauchbarkeit einer Wohnung etc. – der Novelle ein, um sich dann abschließend einem gänzlich anderen Thema zuzuwenden: Sie wünschte der auf der Regierungsbank sitzenden Justizministerin Mag. Gastinger alles Gute für die bevorstehende Geburt ihres Kindes.

Die von Fekter apostrophierte Ausgewogenheit wurde von Abgeordneter Dr. MOSER(G) bezweifelt: Die Waage neige sich doch wohl eher zugunsten der Vermieter, meinte sie. Wenn es in der Novelle zu Veränderungen zum Besseren gekommen sei, sei das wohl eher der Justizministerin zu verdanken.

Abgeordneter NEUDECK (F) meinte an die Adresse von Abgeordneter Bures, beim Vergleich von Preisen müsse man auch die unterschiedlichen Standards in Rechnung stellen. Kritisch wandte sich Neudeck gegen die Erhöhung der Kanalgebühren in Wien. Positiv vermerkte er, dass es Ablösen kaum noch gebe und dass die Wohnkosten transparenter geworden seien.

Bundesministerin Mag. GASTINGER rief in Erinnerung, dass die letzte essentielle Mietrechtsnovelle im Jahr 2001 beschlossen wurde. Generell handle es sich um ein sensibles Thema, das oft sehr kontroversielle Diskussionen auslöst. Die heute vorliegende Wohnungseigentumsgesetznovelle stoße in der Praxis auf sehr breite Zustimmung, erklärte Gastinger, da viele Verbesserungen enthalten sind, die schon seit längerem gefordert wurden. Das Justizressort habe sich bemüht, die Balance zwischen Vermieter- und Mieterinteressen herzustellen; sie hoffe, dass dies bestmöglich gelungen ist. Mieterinteressen wurden insofern berücksichtigt, als etwa die Erhaltungspflicht des Vermieters hinsichtlich gesundheitsgefährdender Mängel erweitert oder ein Investitionsersatzanspruch für die Erneuerung einer Heiztherme oder eines Wasserboilers eingeführt wurde.

Da die Wohnrechtsnovelle aufgrund des Beharrungsbeschlusses des Bundesrates heute zum zweiten Mal beschlossen wird, gibt es die Möglichkeit, noch einmal auf die Vorteile und Vorzüge des Gesetzes hinzuweisen, stellte Abgeordneter GROSSRUCK (V) fest. Generell könne man sagen, dass keine einzige Maßnahme in der Novelle dazu führe, dass die Wohnkosten erhöht werden. Außerdem enthalte das Gesetz zahlreiche Verbesserungen sowohl für die Mieter als auch für die Vermieter. Dass es sich um eine gute Regelung handelt, beweise auch die positive Stellungnahme der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft. Großruck machte noch darauf aufmerksam, dass die Konsumausgaben für Wohnen einschließlich Energie und Instandhaltung in Österreich mit 19,1 % deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 23 % liegen.

Der Beschluss des Nationalrates über die Wohnrechtsnovelle 2006 wurde mit Stimmenmehrheit wiederholt.

In der Debatte über die Änderung des Eisenbahngesetzes 1957, des Bundesbahngesetzes und des Bundesgesetzes zur Errichtung einer "Brenner Basistunnel AG" bedauerte Abgeordneter EDER (S), dass die Länderkammer gerade im vorliegenden Fall zu wenig ernst genommen wird. Es soll heute nämlich beschlossen werden, dass die Einstellung von Regionalbahnen erleichtert wird. Die Betreiber der Eisenbahnen können sich nun anhand betriebswirtschaftlicher Gesichtspunkte überlegen, ob es eine Regionalbahn in Zukunft noch geben wird oder nicht. Angeblich gibt es auch bereits eine Liste, in der jene Bahnen angeführt sind, die eingestellt werden sollen. Weiters kritisierte Eder die mangelnden Sicherheitsbestimmungen, es fehlen nämlich behördliche Kontroll- und Überwachungsorgane.

Der Einspruch des Bundesrates zum Brenner-Basistunnel sei seiner Meinung nach unverantwortlich, sagte Abgeordneter GAHR (V). Es gehe dabei um ein sehr wichtiges Jahrhundertprojekt, das nicht nur regionale und nationale, sondern auch internationale Bedeutung habe. Es sei einfach eine Tatsache, dass der Verkehr auf der Straße und die Mobilität zunehmen und der Wettbewerb im Wirtschaftsleben in Europa härter wird. Deshalb sei es ein Gebot der Stunde, den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, um damit die Belastungen für Mensch und Umwelt möglichst gering zu halten.

Die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene werde zwar von allen verbal unterstützt, aber wenn es dann wirklich um konkrete Maßnahmen geht, schaue es ganz anders aus, meinte Abgeordnete Dr. MOSER (G). Es werden sogar kontraproduktive Regelungen beschlossen, wie etwa das vorliegende Eisenbahngesetz und das Bundesbahngesetz. Einerseits seien die Vorlagen von einer Überreglementierung und Überbürokratisierung geprägt, andererseits werde nicht die Verlagerung des Verkehrs, sondern nur die Streckeneinstellung erleichtert, bemängelte Moser. Man könnte durchaus darüber reden, dass manche Regionalbahnen von privaten Betreibern übernommen werden – es gibt eine Reihe von positiven Beispielen in Deutschland -, aber es werde nichts getan, um dies zu unterstützen. Bezüglich der Trassenknappheit gab Moser zu bedenken, dass der Taktverkehr gewährleistet werden muss. Nunmehr wird aber festgelegt, dass der Güterverkehr außerhalb der – nicht genau definierten – Hauptverkehrszeiten Vorrang hat. Hinsichtlich des Brenner Basistunnels gab Moser zu bedenken, dass zuerst die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, denn ohne einem entsprechenden Zulaufbereich (Deutschland, Italien) mache auch die "Röhre" keinen Sinn.

Die Eisenbahngesetznovelle sei nicht nur ein wichtiger Beitrag zu mehr Liberalisierung im Schienenverkehr, es werden auch die Sicherheitsstandards ausgebaut, bekräftigte Staatssekretär Mag. KUKACKA. Im Gegensatz zu den Wortmeldungen der Oppositionsredner stellte er mit Nachdruck fest, dass die Behördenverfahren nicht erschwert, sondern vereinfacht werden. Kukacka wies auch die Aussage von Eder zurück, wonach die Regionalbahnen "in einem umfassenden Sinne" geschlossen werden sollen. Die ÖBB sei aber im Sinne der Optimierung des Verkehrs gefordert, ein Konzept über die Reorganisation der Neben- und der Regionalbahnen vorzulegen. Es sollen – bei einem möglichst effizienten Einsatz der Steuergelder - mehr Fahrgäste für die Bahn und die Busse gewonnen werden. Kukacka informierte in diesem Zusammenhang darüber, dass derzeit jährlich 500.000 € für die Erhaltung von bereits seit Jahren eingestellten Eisenbahnstrecken ausgegeben werden. Auch was zum Thema Taktverkehr gesagt wurde, sei nicht richtig, führte der Staatssekretär weiter aus. Das, was nun umgesetzt werden soll, gehe auf Vorschläge der Bahn selbst zurück. Es sei völlig klar, dass wie bisher während des Tages die gemeinwirtschaftlichen Personenverkehre Vorrang vor dem Güterverkehr haben.

Abgeordneter WITTAUER (F) kam zunächst auf den Brenner Basistunnel zu sprechen. Er hielt der Abgeordneten Moser entgegen, dass es von italienischer Seite ein klares Bekenntnis gebe, für einen Ausbau bis Verona zu sorgen. Auch die Bayern haben bereits angekündigt, dass die Bahn von München bis Kufstein ausgebaut werden soll. Der Tunnel ist wahrscheinlich in 15 Jahren fertig, die Grünen erwarten aber, dass schon heute Maßnahmen gesetzt, damit das Angebot genützt wird.

Der Antrag des Verkehrsausschusses, den Beschluss bezüglich der Änderung des Eisenbahngesetzes 1957, des Bundesbahngesetzes und des BG zur Errichtung einer "Brenner Basistunnel AG" zu wiederholen, wird mehrheitlich angenommen. (Forts.)