Parlamentskorrespondenz Nr. 272 vom 22.03.2011

Nationalrat beschließt Antrag zu Ausstieg aus Atomenergie

Kontroversielle Debatte trotz einhelliger Ablehnung von Atomenergie

Wien (PK) – Nationalratspräsidentin Barbara Prammer eröffnete die heutige Sondersitzung des Nationalrats zum Thema "Aktuelle Perspektiven der österreichischen und europäischen Energiepolitik nach Fukushima" mit einer Erklärung zu den Ereignissen in Japan und gedachte – in Anwesenheit des japanischen Botschafters - in einer Trauerminute des Nationalrats der Opfer der Katastrophe in Fernost (siehe dazu auch PK-Meldung Nr. 271).

Vor Eingang in die Tagesordnung wurde Michael HAMMER als neuer ÖVP-Abgeordneter angelobt. Er übernahm das Mandat seines kürzlich aus dem Nationalrat ausgeschiedenen Fraktionskollegen Norbert Kappeller.

An den erkrankten Vizekanzler Josef PRÖLL übermittelte die Nationalratspräsidentin die besten Genesungswünsche aller Mitglieder des Hohen Hauses. Dann kündigte die Präsidentin die Abhaltung einer Dringlichen Anfrage der FPÖ zum Thema "Versagen der Bundesregierung in der Anti-Atompolitik" an.

Trotz parteiübergreifender Ablehnung der Atomenergie, verlief die Debatte zwischen Regierungsparteien und Opposition äußerst kontroversiell. Die Opposition warf der Regierung vor, nicht genügend gegen die Nutzung der Atomenergie unternommen zu haben und brachte zahlreiche Entschließungsanträge ein, die jedoch keine Mehrheit fanden.

Mehrheitlich mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP angenommen wurde ein S-V-Antrag betreffend schnellst möglicher Ausstieg aus der Atomenergie.

Faymann: "Der Atomausstieg ist eine Zukunftsaufgabe"

Bundeskanzler Werner FAYMANN zeigte sich erschüttert von den Bildern der Menschen, die im AKW Fukushima unter Einsatz ihres Lebens gegen die Gefahr einer noch größeren Atomkatastrophe kämpfen und stellte fest: "Es wäre absurd angesichts dieses Unfalls zur Tagesordnung überzugehen und nicht über einen Ausstieg aus der Atomenergie nachzudenken". Es seien nun Schritte einzuleiten, um eine Energieversorgung ohne Kernenergie sicherzustellen. Die besondere Aufgabe des atomfreien Österreichs bestehe darin, seine Glaubwürdigkeit, die es seit der Volksabstimmung gegen die Kernenergie im Jahr 1978 besitzt, in Europa einzusetzen. Dabei forderte der Bundeskanzler die Opposition dazu auf, gemeinsam mit der Regierung gegen beharrenden Kräfte und gegen die Atomlobbys aufzutreten, die ein enges Netz zur Beeinflussung der Politik geknüpft haben. Faymann warnte vor den PR- und Marketingstrategien der Atomlobby, die schon bald wieder versuchen werde, Atomkraftwerke als sicher darzustellen und deren Risiken zu verharmlosen.

Faymann schlug vor, nach dem Vorbild der europäischen Vereinbarungen zum Klimaschutz, auch eine Vereinbarung für den Ausstieg aus der lebensgefährlichen Technologie Atomkraft zu treffen und der Geschäftemacherei, die in der Atomwirtschaft in Vordergrund stehe, einen Riegel vorzuschieben. "Der Atomausstieg ist eine Zukunftsaufgabe", formulierte Faymann und warnte vor Zynikern, die selbst angesichts der Bilder aus Japan noch von Übertreibungen sprechen, wenn der Ausstieg aus der Atomtechnologie verlangt wird. Demgegenüber zeigte sich der Kanzler überzeugt, dass die Atomkatastrophe in Japan in der europäischen Bevölkerung zu einem Umdenken führen wird. "Die Menschen werden das Vertrauen in Regierungen verlieren, die weiterhin auf diese gefährliche Technologie setzen". Daher hat die Bundesregierung einen Aktionsplan gegen die Kernenergie beschlossen, teilte Faymann mit und argumentierte mit der Tatsache, dass weltweit noch kein einziges funktionsfähiges Endlager für Atommüll gefunden werden konnte. Sämtlicher Atommüll lagere provisorisch. Allein in Deutschland werden bis 2024 viele tausend Tonnen hochradioaktiven Atommülls anfallen, der unter hohen Kosten sicher gelagert werden muss. Faymann begrüßte es, dass Deutschland sieben alte Reaktoren, darunter das grenznahe AKW ISAR 1, vorläufig stillgelegt hat. Das Ziel eines Atomausstiegs sei damit aber noch nicht erreicht, hielt der Bundeskanzler fest und kündigte an, alle rechtlichen Schritte bis hin zu Klagen auszuschöpfen, um die Sicherheit der Bevölkerung vor Atomgefahren zu gewährleisten.

Es gelte auch, konkrete Ausstiegsszenarien festzulegen, erneuerbare Energieträger zu fördern und sich auf österreichischer Seite zwischen Regierung und Opposition "nicht gegenseitig klein zu machen, sondern miteinander in der EU stark gegen die Kernenergie aufzutreten".

Berlakovich: "Raus aus Atom und hin zu erneuerbaren Energieträgern"

Umweltminister Nikolaus BERLAKOVICH sprach in Vertretung des erkrankten Vizekanzlers Josef Pröll die tausenden Toten und das enorme menschliche Leid in Folge der schwersten Erdbebenkatastrophe in der Geschichte Japans an und hielt es für richtig, Japan finanziell und materiell bei der Bewältigung der Katastrophenfolgen zu helfen.

Die Nachrichten aus Japan zeigten auch deutlich, dass die Atomkraft eine nicht zu beherrschende Form der Energieerzeugung ist, sagte er. Auch der Umweltminister zeigte sich stolz darauf, dass Österreich im Jahr 1978 die weitsichtige Entscheidung getroffen hat, auf Atomkraft zu verzichten. Es sei nur konsequent, diesen Weg nun engagiert fortzusetzen. Es müsse offenbar immer erst etwas passieren, bis sich die Menschen einer Gefahr hinreichend bewusst werden und sich zu schützen beginnen. Bedauerlicherweise habe man nach dem Unfall in Tschernobyl nicht die richtigen Konsequenzen gezogen, sagte Berlakovich und begrüßte seinerseits die Entscheidung Deutschlands zur Stilllegung seiner alten AKW.

Österreichs müsse nun mit einer Stimme sprechen, wobei der Grundsatz lauten soll: "Raus aus Atom und hin zu erneuerbaren Energieträgern." Diesen richtigen Weg weise die Bundesregierung mit ihrem heute beschlossenen Aktionsplan. Die Energieeffizienz muss verbessert und, solange AKW noch in Betrieb sind, deren Sicherheit aufgrund von "Stresstests" verbessert werden, forderte der Umweltminister, der darauf aufmerksam machte, dass es in der europäischen Union nach wie vor keine Haftung für Atomrisiken gibt.

Die Diskussion

FPÖ-Klubobmann Heinz Christian STRACHE betonte das Mitgefühl, das alle Abgeordneten gegenüber dem japanischen Volk in dieser schweren Stunde zum Ausdruck bringen. Strache begrüßte die von den Oppositionsparteien gemeinsam geforderte Sondersitzung des Nationalrats, die er als Gelegenheit nutzen wolle, um Scheinheiligkeiten in der Debatte über die Risiken der Kernenergie aufzudecken. Strache warnte davor, auch nach der Katastrophe von Fukushima - ähnlich wie nach Tschernobyl – wieder zur Tagesordnung überzugehen. Naturkatastrophen könne der Mensch nicht verhindern, wohl aber Katastrophen, für deren Ursachen nur er selbst verantwortlich ist. Österreich sei infolge einer Volksabstimmung im Jahr 1978 atomfrei, was Strache als einen Hinweis wertete, öfter Volksabstimmungen abzuhalten, um zu vernünftigen politischen Lösungen zu kommen.

Der FPÖ-Klubobmann erinnerte mit Bedauern dran, dass es der Atomlobby vor dem Hintergrund der Klimadebatte gelungen sei, die Kernenergie als eine saubere Energiequelle darzustellen und von den tausenden Störfälle in europäischen Kernkraftwerken abzulenken. Die Freiheitlichen seien immer konsequent gegen AKW aufgetreten, sie haben ein Veto gegen den EU-Beitritt Tschechiens für den Fall verlangt, dass Tschechien das AKW Temelin in Betrieb nimmt, sagte der Redner. Jetzt sollte Österreich Stärke zeigen und einem EU-Beitritt Kroatiens nur zustimmen, wenn das Kernkraft Krsko abgeschaltet wird.

Einmal mehr forderte Strache auch den Austritt aus dem EURATOM-Vertrag und forderte, den Mitgliedsbeitrag in erneuerbare Energieträger zu investieren. Der Redner wandte sich vehement gegen die Lügen der Atomlobby, die die Menschen glauben machen wolle, Atomstrom wäre billig. Österreich sollte die Chance nutzen, sich von Atomstromimporten unabhängig zu machen, indem es auf Sonnenenergie, Erdwärme sowie Windstrich und Wasserkraft setzt, schloss der FPÖ-Klubobmann.

SPÖ-Klubobmann Josef CAP machte einleitend auf das große Maß an Glaubwürdigkeit aufmerksam, das Österreich seit 1978 in seinem Engagement gegen die Kernenergie besitze. Cap konfrontierte "die Lügen der Atomlobby" mit den eindeutigen Erfahrungen, die man nach den Katastrophen in Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima hat, und warf den Kernkraftbetreibern vor, das Risiko, Menschen bei Unfällen zu verstrahlen, bewusst in Kauf zu nehmen.

Das Argument, für die Katastrophe von Tschernobyl sei kommunistische Misswirtschaft verantwortlich gewesen, zähle nicht mehr, denn die Reaktoren von Fukushima stehen in einem führenden High-Tech-Land. Was dort geschah, müsse ausreichen, um den Ausstieg aus der Atomenergie einzuleiten und alle AKW stillzulegen. Der Sicherheitstest bei den AKW werde zeigen, dass AKW nicht zugleich sicher und wettbewerbsfähig betrieben werden können, sagte Josef Cap und rechnete vor, dass seit 1950 160 Mrd. € an Förderungsmitteln in Kernkraftwerke geflossen sind. Es sei zynisch, Steuergelder zuerst einzusetzen, um Kernkraftwerke zu bauen, den BürgerInnen bei einem Unfall aber alles Leid und alle Folgekosten zuzumuten. Denn keine Versicherung sei bereit, Haftungen für die Sicherheit von Kernkraftwerken zu übernehmen.

Entscheidungen pro Kernkraft erklärte Cap mit erfolgreichem Lobbyismus, mit Korruption und mit der Verflechtung politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsträger. Cap wandte sich gegen Vorschläge, AKW in Wüsten zu errichten - als gebe es dort keine Sonnenenergie – und forderte nachdrücklich Konzepte für eine nachhaltige Energieversorgung unter Einsatz erneuerbarer Energieträger. Den Wiederstand Frankreichs und Großbritanniens gegen einen Atom-Ausstieg bezeichnete Cap als zynisch und setzte auf Gegenbewegungen in der Bevölkerung, die Regierungen hinwegfegen werden, die die Atomlobby weiterhin mit Steuergeldern fördern.

G-Klubobfrau Eva GLAWISCHNIG-PIESCZEK erinnerte daran, dass jeder ausländische Regierungschef, der Österreich besuche, sei es der japanische oder tschechische, wenn er auf die Gefahren der Atomenergie angesprochen werde, sagt: "Unsere AKW sind sicher". Dabei warnte die Rednerin vor der großen Dichte gefährlicher Kernkraftwerke an Österreichs Grenzen, AKW, die teilweise noch mit sowjetischer Technologie betrieben werden, kein Containment aufweisen und auf Erdbebenbruchlinien stehen. Statt des "Stresstests", den der österreichische Umweltminister fordert, verlangt die Klubobfrau der Grünen, alle Reaktoren abzuschalten. Der geplante Sicherheitstest bei den europäischen AKW werde, so Glawischnig-Piesczek kritisch, von der Atomlobby selbst durchgeführt. Es sei auch falsch, wenn Regierungsvertreter immer wieder darauf hinweisen, die Kernenergie wäre für die Stromversorgung ihrer Bevölkerungen notwendig. Temelin etwa sei nur gebaut worden, um beim Stromexport Geld zu verdienen, führte die Abgeordnete aus.

Ihr besonderes Mitgefühl brachte die Rednerin für die 50 japanischen Arbeiter zum Ausdruck, die unter Einsatz ihres Lebens und im Wissen, wahrscheinlich an der Strahlenkrankheit sterben zu müssen, gegen eine noch größere Katastrophe in Fukushima kämpfen. "Diesen Menschen gebührt unser Respekt". Die Klubobfrau der Grünen brach einmal mehr eine Lanze für eine intensivere Förderung erneuerbarer Energieträger nach deutschem Vorbild und wandte sich gegen jede Geschäftemacherei mit der Atomlobby. In diesem Zusammenhang bezeichnete es Glawschnig-Piesczek für unvereinbar, zugleich im Aufsichtsrat eines Atomkonzerns und im österreichischen Nationalrat zu sitzen wie ÖVP-Abgeordneter Wolfgang Schüssel.

Abgeordneter Karlheinz KOPF (V) drückte eingangs seiner Wortmeldung den Menschen in Japan sein Mitgefühl aus und bedankte sich bei jener Generation von ÖsterreicherInnen, die sich 1978 dafür entschieden hat, ein fertig gebautes Atomkraftwerk im letzten Augenblick nicht in Betrieb zu nehmen. In Richtung Opposition hielt er fest, angesichts der Katastrophe sei es nicht die Zeit und der Ort, "parteipolitisches Kleingeld zu wechseln".

Für Kopf sind die Unfälle in Fukushima und Tschernobyl Symbole für einen weltweiten "Irrweg" in der Energiepolitik. Es sei traurig, dass nicht einmal jetzt alle diesen Irrweg einsehen würden, meinte er. Österreich müsse nun seine glaubwürdige Position einsetzen, andere Schritt für Schritt und mit Beharrlichkeit von der Notwendigkeit eines Ausstiegs aus der Kernenergie zu überzeugen. Die geplanten "Stresstests" für Atomkraftwerke wertete Kopf als ersten Schritt, um die Gefahren darzustellen und einen kontrollierten Ausstieg in die Wege zu leiten. Österreich sei aber auch angehalten, im eigenen Land etwas tun, sagte Kopf und mahnte eine Steigerung der Energieeffizienz und einen Ausbau der erneuerbaren Energie ein, um Österreich energieautark zu machen.

Kritik an Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wies Kopf vehement zurück. Schüssel habe während seiner Amtszeit für eine Erhöhung der Sicherheitsstandards von Atomkraftwerken gekämpft und einen wichtigen Beitrag zur Schließung von drei gefährlichen Atomkraftwerken geleistet, skizzierte er. Der RWE-Konzern, bei dem Schüssel nun im Aufsichtsrat sitze, betreibe nicht nur Atomkraftwerke, sondern sei auch an der Kärntner Kelag beteiligt und stecke 1,5 Mrd. € in den Ausbau und die Erforschung erneuerbarer Energieträger. Es sei, so Kopf, wichtig dort auch österreichische Interessen zu vertreten.

Abgeordneter Josef BUCHER (B) hielt in Richtung seines Vorredners fest, das Parlament sei eine Stätte des politischen Diskurses, wo das Volk zu Wort komme. Das BZÖ lasse sich seine Argumentation nicht von der ÖVP vorgeben, bekräftigte er. Bucher erinnerte zudem daran, dass das Aufsperren von Zwentendorf seinerzeit gegen den Willen des damaligen Bundeskanzlers Bruno Kreisky verhindert wurde.

Für Bucher gibt es, wie er erklärte, nur eine Schlussfolgerung aus den Ereignissen in Japan: den weltweiten Ausstieg aus der nicht beherrschbaren Kernenergie. Österreich müsse das Zeitfenster aktiv nutzen, mahnte er. "Lippenbekenntnisse" und "Beschwichtigungen" seien zu wenig. Die Regierung soll seiner Auffassung nach auf EU-Ebene endlich Vetos einlegen oder die EU-Beitragszahlungen Österreichs kürzen.

Die geplanten Stresstests wertete Bucher als reine Verzögerungstaktik und "Beruhigungspille". Mit diesen Tests werden keine Aussagen über die tatsächliche Sicherheit eines AKW getroffen werden können, zeigte er sich überzeugt. Ein zentraler Punkt im vom BZÖ ausgearbeiteten Maßnahmenpaket ist ihm zufolge der Ausstieg aus dem Euratom-Vertrag.

Wirtschaftsminister Reinhold MITTERLEHNER hielt der Opposition entgegen, die österreichische Regierung habe auf EU-Ebene immer eine klare Anti-Atom-Linie vertreten. Er habe auch gestern im Energie-Rat "mit Verve" für einen sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft gekämpft, von den 27 EU-Staaten hätten die anderen 26 das Wort Ausstieg aber nicht einmal in den Mund genommen, schilderte er. Man müsse bei allen Bemühungen Realist bleiben.

Die "Stresstests" für Atomkraftwerke sind nach Meinung von Mitterlehner nicht zu unterschätzen. Es komme darauf an, in welcher Form diese durchgeführt werden, meinte er. Zum Import von Atomstrom nach Österreich merkte der Minister an, Österreich habe "eine tolle Energiestrategie", sie müsse jedoch forciert umgesetzt werden. Er will morgen ein neues Ökostromgesetz vorstellen.

Abgeordneter Wolfgang KATZIAN (S) gab zu bedenken, dass viele jener 50 Arbeiter, die derzeit versuchen, in Fukushima das Schlimmste zu verhindern, voraussichtlich mit dem Leben bezahlen werden. Seiner Ansicht nach bringt es nichts, nun im Parlament einen "künstlichen Konflikt" zwischen Regierung und Opposition zu erzeugen, es sei jedem bewusst, dass die Kernenergie eine nicht beherrschbare Technologie und die Frage der Endlagerung von Atommüll nicht gelöst sei. Österreich müsse, so Katzian, alles tun, um den Ausstieg aus der Kernenergie in Europa und weltweit "zustande zu bringen".

Katzian gab allerdings zu bedenken, dass die Mehrheit der EU-Staaten weiter auf Kernenergie setzen wolle. In diesem Sinn erachtet er als einen "lohnenswerten Versuch", eine Europäische Bürgerinitiative zu starten. Mit dem Wort "Stresstest" sei er auch nicht glücklich, sagte Katzian, es sei aber richtig, Atomkraftwerke nach einheitlichen Kriterien und mit vorab vorgegebenen Konsequenzen auf ihr Gefahrenpotenzial zu überprüfen.

Abgeordneter Martin BARTENSTEIN (V) wertete es für vordringlich, Verbündete auf EU-Ebene für die österreichische Anti-Atom-Politik zu gewinnen. Österreich habe nichts davon, wenn es mit seiner Position isoliert bleibe, warnte er. Deshalb müsse man mit "Augenmaß" vorgehen.

Bartenstein zeigte sich zuversichtlich, dass, technisch gesehen, ein Ausstieg aus der Kernenergie "von heute auf übermorgen" zu schaffen sei. Er machte in diesem Zusammenhang geltend, dass lediglich 6% der Energie weltweit von Atomkraftwerken erzeugt würde. In Österreich setzt Bartenstein auf einen forcierten Ausbau der Wasserkraft und einen Netzausbau – er hält dies nicht zuletzt im Sinne der Glaubwürdigkeit der österreichischen Anti-Atom-Politik für notwendig.

Abgeordneter Herbert KICKL (F) meinte, die Betroffenheit über die Ereignisse in Japan könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Regierung in der Vergangenheit den Kampf gegen Atomkraft "sträflich vernachlässigt" habe. Man müsse die Regierung buchstäblich in diesen Kampf "hineinstoßen", klagte er.

Kickl zufolge haben sich SPÖ und ÖVP, aber auch die Grünen, durch ihre uneingeschränkte Zustimmung zur EU längst auf die Seite der Atomlobby geworfen. So habe man sich mit dem Vertrag von Lissabon auch zur Forcierung der Atomkraft bekannt. Unter dem "Deckmantel" der Erhöhung der Sicherheit würden EU-Gelder in die Laufzeitverlängerung von Schrottreaktoren fließen, bemängelte Kickl. Die Stresstests qualifizierte der Abgeordnete als "Schmäh", das von Bundeskanzler Werner Faymann forcierte europäische Volksbegehren ist für ihn "nahezu grotesk".

Abgeordneter Werner KOGLER (G) wies auf unterschiedliche Auffassungen zwischen der Regierung und der Opposition in der Bewertung der bisherigen Anti-Atom-Politik Österreichs und hinsichtlich der nun zu setzenden Schritte hin. Seiner Ansicht nach geht es insbesondere um die Frage der Glaubwürdigkeit, gelte es doch, gegen "ein ganzes Lügengebäude" der Atom- und Industrielobby anzukämpfen. Die Grünen hätten, so Kogler, Kernkraft schon immer abgelehnt, sowohl in Österreich als auch in anderen Ländern.

Zur Untermauerung der Position der Grünen brachte Kogler zwei Entschließungsanträge ein. Der eine zielt darauf ab, in allen EU-Staaten Volksabstimmungen über einen europäischen Atomausstieg abzuhalten. Zum anderen urgieren die Grünen eine diplomatische Offensive, um alle grenznahen Risikoreaktoren unwiderruflich vom Netz zu nehmen. Die Grünen seien realistisch genug zu wissen, dass nicht alle Atomkraftwerke sofort abgeschaltet werden können, konstatierte Kogler, bis zum Jahr 2020/25 sei aber ein genereller Ausstieg möglich.

Abgeordneter Rainer WIDMANN (B) konnte in der Erklärung der Regierung nichts als "leere Worthülsen" erkennen. Die vorliegenden Ergebnisse der "Stresstests" von AKW hätten keine Aussagekraft. Die Bürgerinnen und Bürger erwarteten sich aber, dass die Politik nicht nur rede, sondern handle. Den Grünen warf er vor, einerseits gegen Atomkraft aufzutreten, aber alle Alternativen zu ihr ebenfalls ablehnen. Wenn die Glaubwürdigkeit der Politik sinke, so sei die Regierung mitverantwortlich, da sie das jetzt vorhandene Zeitfenster zum Ausstieg aus der Atomkraft nicht nütze. Atomenergie sei, wenn man die Kosten für die Allgemeinheit einrechne, im Grunde nicht rentabel.

Der Abgeordnete brachte einen Antrag seiner Fraktion für einen konkreten Energieplan ein, um die Energieautarkie Österreichs zu erreichen. Das derzeitige Ökostromgesetz sei dafür jedenfalls untauglich, die derzeitige Politik der Bundesregierung diene nur der Gasindustrie, Biogasanlagen würden hingegen nicht unterstützt. Der Antrag enthält auch Forderungen der Laufzeitverkürzung deutscher AKW und ein Importverbot für Atomstrom. Der Redner forderte außerdem einen Untersuchungsausschuss über die Einflussnahme der Atomlobby im österreichischen Parlament.

Abgeordnete Laura RUDAS (S) bedauerte, dass sich die Opposition dem Schulterschluss gegen Atomenergie verweigert habe. Es gelte aber, sich jetzt gemeinsam gegen die Gier der Atomenergie zur Wehr zu setzen. Für politischen Zynismus sei in dieser Frage kein Platz. Man müsse die Atomlobbys in ihre Schranken weisen, nur so könne man die Glaubwürdigkeit der Politik wiedergewinnen. Es gebe hinreichend Alternativen zur Atomenergie und ein Ausstieg Europas aus der Atomkraft sei notwendig und möglich. Rudas appellierte an Abgeordneten Schüssel, durch einen Ausstieg aus dem Aufsichtsrat von RWE mit seinem persönlichen Beispiel voranzugehen und eine Zeichen zu setzen.

Abgeordneter Hermann SCHULTES (V) sagte, es dürfe kein Dauerzustand bleiben, dass Österreich Atomstrom importiere. Diese Importe abzustellen, sei ein Ziel, das anzustreben sei. Der Antrag von Minister Berlakovich zu einem Stresstest der AKW sei ein richtiger Schritt. Er hoffe, dass alle Fraktionen ihre Argumente in die Diskussion über das Ökostromgesetz einbringen. Schultes fürchtete aber, dass die Oppositionsparteien in dieser Frage nur ihre Blockadepolitik fortführen wollen.

Schließlich brachte er einen Entschließungsantrag von ÖVP und SPÖ ein, der Forderungen nach Steigerung der Energieeffizienz auf allen Ebenen, dem Ausbau erneuerbarer Energieträger und Anreize für den Verzicht auf Atomstrom enthält, und warb um Zustimmung für den Antrag. Die Energiestrategie für Österreich sei eine gute Grundlage für die formulierten Ziele. Bereits jetzt würden 30% des Energieaufkommens in Österreich aus erneuerbaren Ressourcen abgedeckt.

Abgeordneter Martin STRUTZ (F) vermisste in der Wortmeldung des Bundeskanzlers eine Erwähnung des Atomkraftwerks Krsko. Bekanntermaßen liege es in einem erdbebengefährdeten Gebiet, seine Technik sei veraltet und es habe bereits zahlreiche Störfälle gegeben. Gefahren gingen auch von einem Atommülllager nahe der österreichischen Grenze aus. Slowenien habe sein Versprechen eines Ausstiegs nicht verwirklicht, sondern plane im Gegenteil einen Ausbau des AKW.

Der Abgeordnete brachte dazu einen Entschließungsantrag ein, der von allen Parteien im Kärntner Landtag unterstützt wurde. Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, von Slowenien den vor dem EU-Beitritt zugesicherten Ausstieg aus der Atomenergie durchzuführen. Das selbe gelte für Kroatien als Miteigentümer von Krsko. Die Freiheitlichen verlangen daher eine Junktimierung der Beitrittsverhandlungen Kroatiens mit der Schließung des AKW Krsko. Strutz wünschte sich einen Schulterschluss aller Parteien für diesen Antrag. 

Abgeordnete Christiane BRUNNER (G) zeigte sich enttäuscht und wütend darüber, dass man aus der Katastrophe von Tschernobyl nicht die erforderlichen Konsequenzen gezogen habe. Ein Stresstest für AKW sei wertlos, denn er werde von der Atomlobby nur zur Begründung von Laufzeitverlängerungen benützt werden. Für Abgeordneten Schüssel sei es unterdessen auch zu wenig, nur aus dem RWE-Aufsichtsrat auszuscheiden, sagte die Rednerin und forderte ihn auf, sein Nationalratsmandat zurückzulegen.

Brunner brachte einen Entschließungsantrag zum Atomkraftwerk Mohovce ein. Sie forderte außerdem den Ausstieg aus dem EURATOM-Vertrag und die Förderung erneuerbarer Energie. Man müsse alle Ressourcen nützen, aber das bedeute auch einen sorgfältigen Umgang mit der Natur. Sie erhoffe sich mehr Engagement der Bundesregierung, sagte die Abgeordnete und forderte abschließend ein eigenständiges Umweltministerium.

Abgeordneter Gerald GROSZ (B) meinte, es habe sich in Japan gezeigt, wie menschliche Hybris nach einer schrecklichen Naturkatastrophe auch eine atomare Katastrophe verursacht habe. Er kam in diesem Zusammenhang ebenfalls auf das Kernkraftwerk Krsko zu sprechen, das veraltet sei und in einem erdbebengefährdeten Gebiet liege. Aus den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima müsse endlich gelernt werden, forderte er. Grosz prangerte mit scharfen Worten die Unterwürfigkeit an, welche sich insbesondere in Teilen der ÖVP gegenüber der Atomlobby zeige.

Abgeordneter Günther KRÄUTER (S) meinte, Österreich könne ein Vorbild für die Welt im Umgang mit erneuerbarer Energie sein. Es zeige sich aber, dass sich die Atomlobby weltweit unbeeindruckt von den Geschehnissen in Japan zeige. EURATOM müsse deshalb neu aufgestellt und zu einer Ausstiegsgesellschaft aus der Atomkraft werden. Es gebe eine besondere Verantwortung der Politik, stärker gegen grenznahe Kernkraftwerke rund um Österreich aufzutreten. Auch in Wirtschaft und Industrie gelte es, sich mehr für Energieeffizienz und umweltfreundliche Produktion zu engagieren, anstatt den Ressourcenverbrauch immer mehr zu steigern. Auch das Ausweichen auf fossile Energieträger könne nicht die Antwort sein, die Zukunft müsse der erneuerbaren, umweltfreundlichen Energiegewinnung gehören.  

Abgeordneter Bernd SCHÖNEGGER (V) fand es befremdlich, dass diese Sondersitzung zu einem sehr ernsten Thema von einzelnen Abgeordneten dazu benützt wird, aus der japanischen Tragödie auf inakzeptable Weise politisches Kapital zu schlagen. Tatsache sei aber, dass die Ablehnung der Atomenergie parteiübergreifender Konsens sei. Auch im Falle von EURATOM dürfe man nicht kurzsichtig argumentieren, es sei wichtig, teilzunehmen und die Atompolitik mitzubestimmen. Es gelte in erster Linie, dass Österreich durch Energiesparen unabhängig von Atomstromimporten werde. In weiterer Folge müssten die erneuerbaren Energieträger ausgebaut werden.

Abgeordnete Susanne WINTER (F) sah es als einen Erfolg der Sondersitzung, welche die Opposition initiiert habe, dass die Bundesregierung ein Aktionspaket zum Ausstieg aus der Atomenergie verabschiedet habe. Zweifellos könne der Ausstieg nicht von heute auf morgen geschehen und werde von Experten erst für 2040-2050 als tatsächlich möglich angesehen. Den Grünen warf sie in dieser Frage "Realitätsverweigerung" vor. Der von ihnen geforderte Totalausstieg Europas bis 2020 sei unrealistisch. Der SPÖ warf sie eine populistische Haltung vor, wenn sie nun eine europäische Bürgerinitiative fordere, die keinerlei Verbindlichkeit besitze. 

Abgeordneter Peter PILZ (G) brachte einen Entschließungsantrag ein, in dem Abgeordneter Schüssel wegen seiner Tätigkeit für den Energiekonzern RWE zum Rücktritt aufgefordert wird. Abgeordnete dürften nicht käuflich sein, sagte er. Der "Ausstieg" von Schüssel aus dem Nationalrat sei ein Schritt zu mehr Glaubwürdigkeit in der Politik. Schon vor drei Jahren sei von Experten festgestellt worden, dass sechs grenznahe Atomkraftwerke gegen einen eventuellen Terrorangriff keine Vorkehrungen getroffen hätten. In dieser Frage sei von der Politik nichts getan worden, es gebe nur Sonntagsreden, anstatt energisch gegen die ernsthaften Verletzungen österreichischer Lebensinteressen aufzutreten. Die Grünen hätten unter diesen Voraussetzungen kein Interesse an einem "Schulterschluss", sie hätten aber einige Anträge eingebracht, deren Umsetzung wichtige Änderungen in der österreichischen Energiepolitik bedeuten würden.

Abgeordneter Stefan PETZNER (B) befürchtete, dass man, sobald Fukushima wieder aus den Schlagzeilen verschwindet, in der Politik wie zuvor weitermachen werde. Er forderte daher konkrete Maßnahmen, wie etwa ein Veto gegen den EU-Beitritt Kroatiens, falls keine Schließung von Krsko erfolge. In der Debatte sei auch die Frage der Lebensmittelsicherheit in Österreich, vor allem bei Importen, zu kurz gekommen. Auch das Fehlen eines effektiven Warnsystem im Falle eines Störfalls sei nicht angesprochen worden. Fragen dazu hätten die Regierungsparteien nicht beantwortet.

Petzner brachte einen Entschließungsantrag des BZÖ ein, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, Gespräche mit Slowenien und Kroatien bezüglich einer Schließung des AKW Krsko aufzunehmen. Im Falle, dass dies nicht geschehe, solle Österreich ein Veto gegen den EU-Beitritt Kroatiens einlegen, forderte er.

Abgeordneter Ewald STADLER (B) meinte, der Rücktritt Wolfgang Schüssels bahne sich schon an: Einen Atom-Lobbyisten in ihren Reihen könne sich die ÖVP, deren Wählerschaft mehrheitlich am österreichischen Anti-Atom-Konsens festhalte, schließlich nicht auf Dauer leisten. Entweder es werde zu einer Umbesetzung des RWE-Vorstands oder zu einem Wechsel im ÖVP-Klub kommen, prophezeite der B-Mandatar.

Kritik übte Stadler auch an einem Dokument des Wirtschaftsministeriums, in dem man zum Schluss gelange, dass Österreich die Erstellung des europäischen Kommissionsstrategiepapiers für Energie begrüße und die darin enthaltenen Positionen teile. Hiermit unterstütze man aber unter anderem den Ausbau und das Ersetzen von in Europa befindlichen Atomkraftwerken. Geht es nach diesem Papier, wären außerdem Vorarbeiten für Kernspaltungstechnologien der nächsten Generation zu leisten. Dass man im EU-Unterausschuss nicht gegen diese Formulierungen gestimmt, sondern sie noch unterstützt habe, zeige, dass die Regierungsparteien zu "feige" sind, um innerhalb der Europäischen Union gegen Atomkraft aufzutreten, selbst wenn sie ein Plebiszit von vor 30 Jahren und ein Verfassungsgesetz auf ihrer Seite wissen, kritisierte Stadler.

Die von Seiten der Grünen Fraktion eingebrachten Entschließungsanträge betreffend politische Initiative beim EU-Gipfel für Volksabstimmung über einen Atomausstieg in allen Mitgliedsstaaten, Abschaltung grenznaher Risiko-AKW, Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Mohovce, Volksabstimmung über EURATOM und Glaubwürdigkeit der österreichischen Anti-Atom-Politik fanden nur die Zustimmung von FPÖ und BZÖ und verfehlten damit das erforderliche Quorum.

Ebenfalls abgelehnt wurden die Entschließungsanträge des BZÖ betreffend "Atomenergie nein" und sofortige Schließung des AKW Krsko, die nur auf Zustimmung der Freiheitlichen Partei stießen.

Der gleichfalls auf Maßnahmen zur Schließung des slowenischen AKW Krsko drängender Entschließungsantrag der FPÖ verfehlte ebenso das erforderliche Quorum.

Angenommen wurde hingegen der S-V-Antrag betreffend schnellst möglicher Ausstieg aus der Atomenergie, der von Seiten der Opposition jedoch keinerlei Unterstützung erhielt. (Fortsetzung Nationalrat)