Parlamentskorrespondenz Nr. 212 vom 20.03.2012

EU-Kommissar Hahn: Strukturfonds sind ein Wachstumsmotor

Aktuelle Aussprache im EU-Unterausschuss

Wien (PK) – Im Rahmen der Strukturpolitik müsse man von Investitionen sprechen und nicht von Subventionen, unterstrich im heutigen EU-Unterausschusses des Nationalrats der für Regionalpolitik zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn. Das eingesetzte Kapital habe eine Hebelwirkung, die Strukturfonds seien ein Wachstumsmotor, um die noch immer vorhandene Kluft zwischen den Regionen zu verkleinern. Der Erfolg lasse sich an der Tatsache messen, dass in der nächsten Budgetperiode nur mehr 68 Regionen statt der bisher 84 als wenig gut entwickelt gelten.

Das Ausmaß am tatsächlichen Betrug bei der Verwendung von Fördermittel betrage lediglich 0,4%, informierte Hahn. Bei den in der Öffentlichkeit kolportierten Zahlen von missbräuchlicher Verwendung der Gelder in rund 70% der Fälle müsse man genau zwischen Irrtum und Betrug unterscheiden. In 30-40% liege der Fehler bei der öffentlichen Auftragsvergabe und bei 25-30% müsse man feststellen, dass seitens der Mitgliedstaaten etwas unterstützt wird, was von der Kommission nicht finanziert werden könne. Daher würden bei derartigen Irrtümern Korrekturen vorgenommen. Hahn bekräftigte, dass die Kommission genau auf den korrekten Einsatz der Mittel achte. Man könne daher auch im Hinblick auf Krisenländer nicht von den hohen Auflagen abgehen, stellte er klar. Vielmehr sei es Aufgabe, diesen Staaten zu helfen, ihre administrativen Kapazitäten zu erhöhen. Auch in Zeiten der Krise könne es keinen Freibrief geben, konstatierte der EU-Kommissar gegenüber Abgeordnetem Stefan Petzner (B), der die Korruption bei der Vergabe von Geldern aus den Strukturfonds angesprochen hatte.

Johannes Hahn war heute Gast im EU-Unterausschuss, wo er mit den Abgeordneten über aktuelle Fragen aus seinem Aufgabengebiet diskutierte. Diese aktuelle Aussprache war eine Premiere, da der EU-Unterausschuss erst durch die letzte Geschäftsordnungsreform die Möglichkeit erhalten hat, dieses Instrument einzusetzen.

Hahn: 95% des EU-Budgets fließen in die Mitgliedstaaten zurück

In seinem Einleitungsstatement betonte Hahn, dass der Zeitpunkt der Diskussion spannend sei, da man mitten in den Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen für 2014 bis 2020 stehe. Aufgrund der im Juni 2011 von der Kommission präsentierten Vorschläge seien ab Herbst 2011 die notwendigen Gesetzesvorschläge für die einzelnen Bereiche vorgelegt worden, die nun intensiv im Europäischen Parlament und im Rat debattiert werden. Man beabsichtige, die Beschlussfassung Ende 2012 herbeizuführen, um das Jahr 2013 zur Verhandlung und zum Abschluss der nötigen Verträge und Vereinbarungen nützen zu können. Damit könne ein reibungsloser Übergang im Jahr 2014 gewährleistet werden. Zur Illustration berichtete Hahn, dass rund 320 Verträge für die 271 Regionen im Hinblick auf die Strukturfonds ausverhandelt werden müssen.

Der Vorschlag der Kommission für den mehrjährigen Finanzrahmen sei eingebettet zwischen dem ambitionierten Vorschlag des Europäischen Parlaments und den eher restriktiven Vorgaben der Nettozahler-Staaten. Nur 5% des europäischen Budgets würden für sämtliche europäische Institutionen aufgewendet werden, 95% der Mittel flössen an die Mitgliedsstaaten zurück, beziehungsweise würden für bestimmte Aktionen, wie zum Beispiel Entwicklungszusammenarbeit, eingesetzt, erläuterte Hahn. Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G) bemerkte dazu, im Interesse eines echten Finanzausgleichs müsste das EU-Budget deutlich erhöht werden.

Die Regionalpolitik umfasse nach der Landwirtschaft den zweitgrößten Bereich, konstatierte Hahn, und habe ebenfalls leichte Kürzungen hinnehmen müssen, obwohl durch den Vertrag von Lissabon den Fonds neue Aufgaben übertragen wurden. Im Gegenzug werde das Forschungsbudget von derzeit rund 54 Mrd. € auf rund 80 Mrd. € ausgeweitet.

In der Strukturpolitik von Investitionen und nicht von Subventionen sprechen

In der Strukturpolitik habe man eine Weiterentwicklung vorgenommen, stellte der EU-Kommissar fest. Die Strukturfonds seien ein Hebel zur Wachstumsentwicklung in den Regionen und deshalb lege er großen Wert darauf, die eingesetzten Mittel als Investitionspolitik in die Menschen und in die Regionen zu betrachten, um die Schwachen beim Aufholprozess zu unterstützen. Um dieses Grundverständnis innerhalb der Kommission, dass es sich um Investitionspolitik und nicht um Subventionen handelt, sei er besonders bemüht. Es gehe um die Verbesserung der Lebensqualität sowie um Wachstum. Er reagierte damit auch auf die kritischen Bemerkungen von Abgeordnetem Johannes Hübner (F), der eine Diskrepanz zwischen den höheren Ausgaben der Fonds und der Notwendigkeit der Konsolidierung sah.

Um die Politik besser sichtbar zu machen, werde man sich thematisch auf die Förderung von KMUs, von Energieeffizienz und Energieerneuerung konzentrieren, führte Hahn aus. Zur Absicherung der Qualität würden mit allen Regionen quantifizierbare Ziele sowie eine "ex-ante-Konditionalität" vereinbart. Demnach müssen die Regionen bestimmte Auflagen erfüllen, um Geld zu erhalten. Hahn nannte als Beispiele eine entwickelte Investitionsstrategie beziehungsweise die Schaffung eines Grundbuchs. In der Strukturpolitik gehe man mit großer Flexibilität vor, stellte Hahn in weiterer Folge fest, man habe beispielsweise im vergangenen Jahr rund 100 Verträge modifiziert und Gelder etwa in Richtung Energieeffizienzmaßnahmen umfunktioniert, die vor allem KMUs zugutekamen.

Abgeordnete Christine Muttonen (S) strich insbesondere die Bedeutung des Europäischen Sozialfonds sowie des Europäischen Globalisierungsfonds in Zeiten der Krise hervor. Sie sprach sich dafür aus, die Mittel für den Sozialfonds vor allem angesichts hoher Jugendarbeitslosigkeit zu erhöhen, und kritisierte, dass nun die Landwirtschaft vom Globalisierungsfonds erfasst wird. Besser wäre es, den Krisenländern den Zugang zu den Fonds zu erleichtern, meinte sie. Abgeordneter Wilhelm Haberzettl (S) thematisierte die Kluft in Europa, die sich angesichts der Krise vertiefe, und wies auf den Vorschlag Deutschlands hin, die nicht verwendeten Gelder in einen Wachstumsfonds umzuschichten.

Dazu erläuterte Hahn, der Regionalfonds und der Sozialfonds stellten einen gemeinsamen Topf dar, es liege an den Mitgliedsstaaten selbst, den Aufteilungsschlüssel festzulegen. Die Kommission habe nun vorgeschlagen, in guten Regionen 52% für den Sozialfonds vorzusehen, in Übergangsregionen 40% und in weniger gut entwickelten 25%. Dort gehe es vor allem darum, die Infrastruktur zu finanzieren, was wiederum Arbeitsplätze schaffe. Dieser Vorschlag werde jedoch von den einzelnen Staaten als zu restriktiv kritisiert, räumte Hahn ein. Der Globalisierungsfonds wiederum sei ein Notfallsfonds, der außerbudgetär mit bis zu 3 Mrd. € pro Jahr dotiert sei. Es gebe keine Notwendigkeit, ihn auszuschöpfen. Die Einbeziehung der Landwirtschaft sei ein Kompromiss. Dass es bei den konkreten Programmen bis zum jetzigen Zeitpunkt 75% an Zusagen gibt und zirka 30% an Zahlungen aus dem Gesamtbudget geleistet worden sind, heiße nicht, dass es so viele ungenutzte Gelder gibt, erklärte er den Umstand, dass der Vorschlag mit dem Wachstumsfonds nicht umzusetzen ist.

Strategischer Rahmen für alle Strukturfonds

Es gebe erstmals für alle Strukturfonds einen strategischen Rahmen, betonte Hahn. Das sei notwendig, um wichtige Schnittstellen zu definieren und klar darzulegen, wer wofür zuständig ist. Damit sollen Überlappungen vermieden, aber auch sichergestellt werden, dass man auf keinen Bereich vergessen hat. Als besonders wichtig bezeichnete er grenzüberschreitende Kooperationen, weshalb die EU-Kommission das Budget dafür um 30% anheben möchte. Diese Form der Entwicklung von Makrostrategien seien vor allem im Rahmen der Donauraumstrategie, an der Österreich ein besonderes Interesse hat, von Bedeutung. Der EU-Kommissar ging damit auf Fragen der Abgeordneten Johannes Schmuckenschlager (V), Franz Hörl (V), Michael Schickhofer (S), Petra Bayr (S) Abgeordnetem Wolfgang Pirklhuber (G) ein.

Pirklhuber drängte im Hinblick auf den genannten strategischen Rahmen für die Fonds darauf, auch die Politik in den einzelnen Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen für die abzuschließenden Verträge entsprechend zu koordinieren. Auch in Österreich seien mehrere Ministerien für die anstehenden Fragen zuständig. Man wolle in die Verhandlungen nicht nur die Regionen, sondern auch die lokalen Ebenen und die NGOs einbinden, reagierte Johannes Hahn.

Auf die kritische Bemerkung Pirklhubers, dass die Förderungen von Maßnahmen zum Ausstieg aus der Kernenergie explizit ausgenommen sind, bemerkte Hahn mit Bedauern, dass Österreich mit seiner Haltung im Rahmen der EU ziemlich allein dastehe.

Von Abgeordnetem Alexander Van der Bellen (G) auf Griechenland angesprochen, betonte der EU-Kommissar, es gebe bei der Co-Finanzierung für das Land keine eigenen Regeln. Man habe aber seitens der Europäischen Regionalpolitik einen Aktionsplan mit rund 200 Projekten im Ausmaß von rund 11 Mrd. € gestartet. Zur Umsetzung dafür gebe es klare Fristen, man setze Meilensteine und die entsprechenden Listen würden im Internet veröffentlicht. Die gegenwärtige Situation gebe die Möglichkeit, dass in dem Land das umgesetzt wird, was man schon seit Jahren verlangt, wie etwa die Schaffung eines Grundbuchs. Er, Hahn, habe den Eindruck, dass nach dem "Haircut" ein Ruck durch das Land gehe und sich in Griechenland eine gewisse Aufbruchstimmung breit mache. Wichtig sei es, den Menschen dort eine wirtschaftliche Perspektive zu ermöglichen, wo sie geboren wurden, sagte er auf die Befürchtung von Abgeordnetem Stefan Petzner (B), es könnten Gastarbeiterströme aus Griechenland drohen.

In der Diskussion wurde auch die Lage in Ungarn angesprochen. Die Abgeordneten Johannes Hübner (F), Andreas Karlsböck (F) und Stefan Petzner (B) kritisierten einmal mehr, dass die EU Ungarn gegenüber anderen Ländern benachteilige. Es könne nicht sein, dass man Gelder einfriere, obwohl die ungarische Regierung ein Defizit von 2,9% anstrebe, während man bei anderen Ländern mit Defiziten über der Maastricht-Grenze keine derartigen Maßnahmen setze. Die Abgeordneten vermuteten hinter dieser Vorgangsweise politische Hintergründe. Dieser Meinung konnte sich weder Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G) noch EU-Kommissar Johannes Hahn anschließen. Ungarn habe seinen Haushalt seit seinem EU-Beitritt nicht im Griff, sagte der EU-Kommissar. Man habe nun mit dem "six pack" Kontrollmaßnahmen und Sanktionsmechanismen, die man einsetzen müsse, um glaubwürdig zu bleiben. Während andere Länder, wie etwa Belgien und Polen, reagiert hätten, habe man in Ungarn lediglich Einzelmaßnahmen gesetzt, ohne jedoch nachhaltig Reformen in Angriff zu nehmen. Deshalb habe man die für nächstes Jahr vorgesehenen Zusagen aus dem Kohäsionsfonds ausgesetzt, das heiße, sie sind nicht verloren, sondern Ungarn habe die Möglichkeit, bis Ende des Jahres 2012 entsprechende Schritte zur Budgetkonsolidierung in die Wege zu leiten. (Schluss)