Parlamentskorrespondenz Nr. 478 vom 23.05.2014

Brandstetter fordert radikalen Reformansatz beim Maßnahmenvollzug

Abgeordnete loben Krisenmanagement des Justizministers

Wien (PK) –  Die Debatte im Nationalrat über das Justizbudget wurde heute von den jüngst festgestellten Missständen in der Strafanstalt Stein überschattet. Justizminister Wolfgang Brandstetter forderte einen radikalen Reformansatz beim Maßnahmenvollzug, der über die Justiz hinausgeht und nicht an fiskalischen Grenzen scheitern dürfe. Sein Krisenmanagement fand dabei Anerkennung bei allen Fraktionen des Hauses. Der Minister habe kompetent reagiert und die richtigen Worte gefunden, betonten Regierungs- und Oppositionsparteien übereinstimmend. Der Budgetentwurf sieht für 2014 Ausgaben in der Höhe von 1,298 Mrd. € vor und stellt für das Jahr 2015 1,309 Mrd. € zur Verfügung. Die Einnahmen werden in beiden Jahren mit 980 Mio. € angesetzt.

Reform des Maßnahmenvollzugs darf nicht an der Finanzierbarkeit scheitern

Justizminister Wolfgang Brandstetter zeigte sich betroffen über die Vorfälle von Stein. Man sei im Maßnahmenvollzug mit äußerst schwierigen Betreuungssituationen konfrontiert, dass derart schwere Missstände über Wochen und Monate nicht bemerkt wurden, sei aber untragbar. Der Ressortleiter kündigte eine restlose Aufklärung an und teilte mit, dass die Staatsanwaltschaft bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorfälle eingeschaltet worden sei. Als Reaktion auf die Missstände habe man das medizinische Kontrollsystem verschärft und engmaschiger gestaltet. Klar sei aber, dass es zu einer Aufstockung der medizinischen Betreuung im Maßnahmenvollzug kommen müsse.

Brandstetter bezeichnete den Fall Stein als symptomatisch für die tiefliegenden Probleme beim Maßnahmenvollzug und meinte, es brauche jedenfalls einen radikalen Reformansatz, der über die Justiz hinausgeht. Dabei sei die Frage zu lösen, wie man mit Menschen umgeht, die ihre Strafe bereits verbüßt haben, aber aufgrund ihrer Gefährlichkeit und ihrer psychischen Beeinträchtigung nicht ohne weiteres in das normale Leben entlassen werden können. Welche Lösung die beste sei, wisse er selbst noch nicht, sicher sei allerdings, dass es nicht so bleiben dürfe wie bisher. Man müsse heute schmerzhaft feststellen, dass der Grundsatz "Therapie statt Strafe" an Grenzen stößt. Wenn es dabei aber nur um Grenzen der Finanzierbarkeit geht, dann müssen wir diese Grenzen sprengen. Fiskalpolitik höre dort auf, wo es um Menschenwürde geht, unterstrich Brandstetter mit Nachdruck.

Zum Justizbudget stellte der Minister fest, die Justiz werde als Folge des Sparkurses sicherlich nicht an der Gebührenschraube drehen, hier sei man vielmehr bereits an der oberen Grenze angelangt. Brandstetter begrüßte die zusätzlichen 100 Planstellen bei der Justizwache und meinte, diese werden Erleichterung bringen, das Ende der Bemühungen um weiteres Personal sei damit aber noch nicht erreicht. An Prioritäten im Justizbereich nannte er überdies den Ausbau der Familiengerichtshilfe und der Jugendgerichtshilfe sowie die Reform der Strafprozessordnung. Zu Vorsicht mahnte er in Bezug auf den Vorschlag, bei Ehescheidungen das Verschuldensprinzip abzuschaffen. Dies könnte sich vor allem für die Frauen nachteilig auswirken.

SPÖ würdigt Brandstetters Reaktion auf Vorfälle in Stein

Der Minister habe hinsichtlich der Missstände in Stein die richtigen Worte gefunden, stellte namens der Sozialdemokraten Abgeordneter Klaus Uwe Feichtiger fest. Lob für das Krisenmanagement Brandstetters fand auch sein Fraktionskollege Peter Wittmann, während Harald Troch (S) zu dem Schluss kam, der Minister verdiene in der Causa Stein aufgrund seines kompetenten Einsatzes die Unterstützung aller Fraktionen des Hauses.

In der Debatte richteten die SPÖ-Abgeordneten vor allem konkrete Anliegen an Brandstetter. So konnte sich etwa Johannes Jarolim vorstellen, die Einnahmensituation des Ressorts durch verstärkte Abschöpfung von Geldern aus kriminellen Handlungen zu verbessern. Positiv bewertete der Justizsprecher der Sozialdemokraten auch den Vorschlag, beim Scheidungsrecht vom Verschuldensgrundsatz abzugehen. Auf Skepsis Jarolims stieß hingegen das geplante Mandatsverfahren. Ruth Becher (S) wiederum sprach das Mietrecht an und sah den Grundsatz des leistbaren Wohnens als Leitmotiv für sämtliche Maßnahmen in diesem Bereich. Handlungsbedarf beim Unterhaltsrecht orteten die SPÖ-Mandatarinnen Elisabeth Grossmann und Gisela Wurm, die vor allem eine Weiterentwicklung des Unterhaltsvorschusssystems forderten, um gegen Kinderarmut anzukämpfen. Grossmann trat zudem auch für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften mit der Ehe ein. Peter Wittmann (S) schließlich sah eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Strafen für geboten. Bei Vermögensdelikten sollte man mit den Strafen heruntergehen und vielmehr die Wiedergutmachung in den Vordergrund stellen, schlug er vor.

ÖVP sieht beim Maßnahmenvollzug auch Gesundheitsminister gefordert

Der Justizminister habe die richtigen Reaktionen auf die Vorfälle in Stein gesetzt, war auch ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker überzeugt. Bei der Reform des Maßnahmenvollzugs sei neben dem Justizressort aber auch das Gesundheitsministerium gefordert, gab sie zu bedenken. Was das Justizbudget betrifft stellte Steinacker fest, es werde sparsam gewirtschaftet, trotzdem setze man in wichtigen Bereichen Akzente, so etwa bei der Familiengerichtshilfe oder bei der Staatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität und Korruption, deren Vollausbau auch von ÖVP-Abgeordnetem Friedrich Ofenauer begrüßt wurde. Dass die Justiz hervorragende Arbeit leiste, zeigte für Steinackers Fraktionskollegen Bernd Schönegger vor allem auch der Vergleich mit anderen EU Staaten. So liege man etwa bei der Verfahrensbeschleunigung und beim elektronischen Rechtsverkehr im europäischen Spitzenfeld. Dem Lob für die österreichische Justiz schloss sich auch Werner Groiß (V) an, der zudem die konstruktive Zusammenarbeit der Fraktionen im Justizausschuss hervorhob.

Freiheitliche Skepsis gegen Öffnung der Adoption für Gleichgeschlechtliche

FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan fand grundsätzlich lobende Worte für die heimische Justiz, beklagte aber die hohen Gerichtsgebühren, die seiner Meinung nach den Zugang der Bevölkerung zum Recht behindern würden. Skeptisch äußerte er sich überdies zu Bestrebungen, die Adoption für homosexuelle Paare zu öffnen. Hier wäre es besser, behutsam vorzugehen, als mit zeitgeistigen Schnellschüssen zu arbeiten, gab er zu bedenken und fügte an, mit Kindern dürfe man nicht experimentieren. Was das Strafrecht betrifft, regte Stefan an, in gewissen Bereichen, so vor allem bei wirtschaftsrechtlichen Nebengesetzen, über die Möglichkeit einer Entkriminalisierung nachzudenken. Sein Fraktionskollege Philipp Schrangl wiederum schlug vor, ausländische Häftlinge sollten ihre Resthaftzeit in ihrem Heimatland absitzen. Die Reaktion Brandstetters auf den Vorfall in Stein lobte FPÖ-Mandatar Johannes Hübner mit den Worten, so schaffe man Vertrauen in die Institutionen des Staates. Heftig ging er allerdings mit den Grünen ins Gericht, denen er vorwarf, einen der drei suspendierten Beamten verbal attackiert zu haben.

Grüne kritisieren Höhe der Gerichtsgebühren

Das Krisenmanagement Brandstetters nach den festgestellten Missständen von Stein habe funktioniert, meinte auch Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser, der sein Lob allerdings mit Kritik an der fehlenden budgetären Vorsorge für die angekündigte Reform des Maßnahmenvollzugs verknüpfte. Das Justizbudget beleuchtete Steinhauser vor allem unter dem Aspekt der Gebühren, die seiner Meinung nach viel zu hoch seien. Die Gerichte würden mehr erwirtschaften als sie kosten, die Justiz fungiere als Cash-Cow der Republik. Steinhauser rief den Minister auf, die Gebühren vor allem in sozial sensiblen Bereichen zu durchforsten, und nannte insbesondere Gebühren im Sachwalterschaftsrecht und beim Besuchsrecht.

Team Stronach für Flexibilität bei den Gebühren

Der Gesetzgeber müsse ausreichend Geld zur Verfügung stellen, damit das Recht durchgesetzt werden kann, andererseits dürfe er nicht das Recht beugen um genau dieses Geld aufzubringen, stand für den Justizsprecher des Teams Stronach Georg Vetter als Maxime für die Justizpolitik fest. Er plädierte vor allem für ein flexibleres System bei den Gebühren und konnte sich insbesondere das Einziehen einer Höchstgrenze vorstellen. Sein Fraktionskollege Leopold Steinbichler sprach in seiner Wortmeldung den Umgang der Gesellschaft mit Kindern an und erhob in einem Entschließungsantrag die Forderung, Kinderlärm als Klagsgegenstand aus der Rechtsordnung auszuschließen. Frohe Kinderstimmen seien die wichtigste Musik im Staat und dürften nicht verstummen, meinte er.

NEOS wollen Kreis der Anlasstaten für Maßnahmenvollzug beschränken

Auch Beate Meinl-Reisinger (N) reihte sich namens der NEOS in den Chor des Lobes für die Reaktion des Justizministers auf die Missstände in Stein ein, gab aber zu bedenken, das Budget für den Maßnahmenvollzug sei definitiv zu knapp bemessen. In einem Entschließungsantrag verlangte sie überdies Änderungen in den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs über die Voraussetzungen für den Maßnahmenvollzug. Dieser sollte ihrer Meinung nach nur bei Delikten gegen Leib und Leben, die sexuelle Integrität oder Straftaten wie Brandstiftung angeordnet werden. Das Fernbleiben ihrer Fraktion von den beiden Plenarsitzungen begründete sie einmal mehr damit, dass in der laufenden Budgetdebatte bereits weitere gesetzliche Maßnahmen angekündigt wurden. Ihre Fraktion habe mit der Aktion ein Zeichen setzen wollen, damit das Parlament wieder die Budgethoheit erhalte. (Fortsetzung Nationalrat) hof