Parlamentskorrespondenz Nr. 990 vom 24.09.2015

Die Flüchtlingskrise zwischen Grenzzaun und Willkommenskultur

NR-Sondersitzung mit FPÖ-Dringlicher an Bundeskanzler Faymann, keine Mehrheit für Misstrauensantrag gegen Bundesregierung

Wien (PK) – Wie soll Österreich auf die aktuelle Flüchtlingswelle reagieren? Mit dieser Frage beschäftigte sich heute der Nationalrat in einer auf Verlangen der FPÖ einberufenen Sondersitzung. "Österreich im Ausnahmezustand – sichere Grenzen statt Asylchaos, Herr Bundeskanzler!" titelte Klubobmann Heinz Christian Strache dabei in einer Dringlichen Anfrage an Werner Faymann und holte zu einem Rundumschlag gegen die Bundesregierung aus, die er der "offensiven Untätigkeit" bezichtigte. Die Unterlassung von Kontrollen und Ausgleichsmaßnahmen habe den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung in der Grenzregion nach sich gezogen und dazu geführt, dass jeder Drittstaatsangehöriger nun illegal nach Österreich einreisen kann, lautete der Kernvorwurf der Freiheitlichen, die von einer existenzbedrohenden Völkerwanderung sprachen und Grenzsicherung sowie den Ausbau der "Festung Europa" forderten.  

Bundeskanzler Werner Faymann wandte sich in seiner Replik auf die Dringliche dezidiert gegen Grenzzäune und unterstrich, die Flüchtlingsfrage könne von Europa nur gemeinsam gelöst werden. Große Bedeutung maß er in diesem Zusammenhang den gestrigen Beschlüssen des EU-Rats auf Einrichtung von Hotspots in Italien und Griechenland bei. Mit Nachdruck bekannte sich Faymann überdies zum Recht auf Asyl, wobei er betonte, niemand dürfe in ein Land zurückgeschoben werden, in dem er unmenschliche Behandlung zu befürchten hat.  

Nationalrat für verstärkte Flüchtlingshilfe vor Ort

Einstimmig nahmen die Abgeordneten einen Entschließungsantrag der beiden Koalitionsparteien und der Grünen an, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, dem World Food Programme der UNO umgehend eine Unterstützung zur Versorgung der Flüchtlinge in der Region rund um Syrien zukommen zu lassen und sich international für eine ausreichende Unterstützung der Syrien-Flüchtlinge in der Region einzusetzen. Der österreichische Beitrag soll sich an Deutschland und den anderen europäischen Ländern orientieren.

"Wer in der Region hilft, hilft mit denselben Mitteln einer vielfachen Zahl von Opfern und bewahrt viele von ihnen vor einer gefährlichen Flucht", heißt es darin. In der Begründung weisen die AntragstellerInnen darauf hin, dass mit rund 1 USD pro Person und Tag die Versorgung der Flüchtlinge in der Region sichergestellt werden könnte. Demgegenüber müssen in Österreich für die Verpflegung bei individueller Unterbringung pro Person rund 6 € pro Tag aufgewendet werden, nicht eingerechnet sind dabei die Unterbringungskosten. Insbesondere sprechen sie aber die dramatische humanitäre Situation in den Flüchtlingslagern vor Ort an, verschärft durch die unzureichenden Mittel für die Nahrungsmittelhilfe.

Misstrauensantrag der FPÖ sowie Anträge des Team Stronach abgelehnt

Der im Zuge der Debatte eingebrachte Misstrauensantrag der FPÖ gegen die Bundesregierung wurde jedoch mehrheitlich abgelehnt.

Ebenso wenig durchsetzen konnte sich das Team Stronach mit seiner Forderung nach einem beschleunigten Asylverfahren, das maximal 48 Stunden dauern soll. Als Vorbild nennen die AntragstellerInnen die Schweiz und Norwegen. Keine ausreichende Unterstützung fand ferner der Antrag, UNO-Schutzzonen in den Krisengebieten einzurichten. Auch die Forderung nach temporären Grenzkontrollen in allen Bundesländern unter vereinfachten Voraussetzungen blieb in der Minderheit.

Strache ortet Versagen der Regierung bei Grenzsicherung und Kontrolle der Flüchtlinge

Es gehe um die Zukunft Österreichs, stehe man doch am Beginn einer neuen Völkerwanderung, umschrieb Heinz Christian Strache (F) die Situation aus Sicht seiner Fraktion. Vor diesem Hintergrund versage die Bundesregierung, da sie es unterlassen habe, nach dem Scheitern von Schengen Verantwortung zu übernehmen und die Grenzen wirkungsvoll zu sichern. Der FPÖ-Klubobmann warf der Koalition vor, nun mit Placebo-Entscheidungen zu versuchen, das Chaos zuzudecken. Mit scharfer Kritik bedachte Strache dabei den Einsatz des Bundesheers an der Grenze und gab zu bedenken, hier gehe es nicht um Grenzsicherung und Kontrolle, sondern bloß um Betreuung all jener, die ohne jegliche Registrierung illegal ins Land gekommen sind. Dies führe dazu, dass heute niemand wisse, wie viele Flüchtlinge sich in Österreich aufhalten, wie viele davon untergetaucht und wie viele nach Deutschland weiter gereist sind. Es bestehe daher Gefahr für die innere Sicherheit und für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, folgerte Strache auch unter Verweis auf ein diesbezügliches Papier aus dem Innenministerium und erklärte die Regierung für rücktrittsreif.

Er sei sich der Verantwortung für die tatsächlich Verfolgten durchaus bewusst, betonte der FPÖ-Klubchef, meinte aber, man könne von Schutzsuchenden sehr wohl verlangen, mit den Behörden zu kooperieren und sich registrieren zu lassen. Kein Verständnis zeigte Strache überdies für das Verhalten des Bundeskanzlers gegenüber dem ungarischen Ministerpräsidenten Orban, hätten doch die Maßnahmen im Nachbarland gezeigt, dass Grenzsperren und wirksame Kontrollen sehr wohl zu einer Entspannung der Lage führen können. Strache forderte nun ähnliche Maßnahmen auch in Österreich, um den Zustrom von Flüchtlingen einzudämmen. Wenn man weiter so agiert wie jetzt und Migranten unkontrolliert und ungehindert ins Land lässt, dann sei jedenfalls mit unabsehbaren Folgen für Arbeitsmarkt, Gesundheitswesen, Schulwesen und Wohnungsmarkt zu rechnen, warnte er.

Faymann für gemeinsames europäisches Vorgehen in der Flüchtlingsfrage

Bundeskanzler Werner Faymann bekannte sich mit Nachdruck zur ungeteilten Anwendung der Menschenrechte einschließlich des Rechts auf Asyl und wandte sich gegen jegliche pauschale Abqualifizierung von Flüchtlingen. Jeder, der nach Österreich kommt und hier Schutz sucht, habe ein Recht auf ein faires Verfahren und gesetzeskonforme Bedingungen, betonte er. Daher gehe es auch darum, die Grenzen so zu sichern, dass Kontrollen möglich sind, gleichzeitig jedoch das Recht auf Asyl gewährleistet werden kann. Angesichts der humanitären Situation stehe deshalb die Verhältnismäßigkeit im Mittelpunkt bei der Vollziehung der Rechtsvorschriften durch die Behörden, stellte Faymann klar und wies den Vorwurf der Placebo-Maßnahmen zurück. Niemand dürfe in ein Land zurückgeschoben werden, in dem er eine unmenschliche Behandlung befürchten muss.

Grenzzäune sind für Faymann kein Thema. Wer glaubt, man könne das Flüchtlingsproblem durch Abschottung lösen, der sei auf dem falschen Weg. Der Kanzler plädierte vielmehr für ein gemeinsames Handeln Europas und begrüßte aus dieser Sicht die gestrigen Beschlüsse des Europäischen Rates, wobei er insbesondere die gemeinsame Sicherung der Außengrenze sowie die Etablierung von Hotspots zur Erstaufnahme und Registrierung der Flüchtlinge in Italien und Griechenland hervorhob. Wesentliche Bedeutung kommt nach Meinung Faymanns auch weiterhin dem Dublin-Abkommen zu. Hier gelte es, die Bestimmungen mit Leben zu erfüllen und sämtlichen EU-Mitgliedstaaten auch tatsächlich die Voraussetzungen zu geben, uneingeschränkt daran teilnehmen zu können.

Was die jüngsten Zahlen betrifft, teilte der Bundeskanzler überdies mit, dass bisher in diesem Jahr rund 53.000 Asylanträge in Österreich gestellt wurden und sich aktuell 52.330 Flüchtlinge in der Grundversorgung befinden. Das Finanzministerium gehe derzeit von Kosten in der Höhe von 150 Mio. € für die Grundversorgung aus. Faymann rief zudem dazu auf, in Fragen von Arbeitsmarkt, Gesundheitswesen und Schule nicht MigrantInnen gegen Einheimische auszuspielen. (Fortsetzung Nationalrat) hof/jan