Parlamentskorrespondenz Nr. 1216 vom 11.11.2015

Nationalrat lehnt Ministeranklage gegen Faymann und Mikl-Leitner ab

Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge war nach Meinung von SPÖ, ÖVP, Grünen und NEOS alternativlos

Wien (PK) – Bundeskanzler Werner Faymann und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner werden wegen der Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge nicht beim Verfassungsgerichtshof angeklagt. Der Nationalrat lehnte heute zwei entsprechende Anträge der FPÖ nach einer zum Teil emotionalen Debatte mit breiter Mehrheit ab. Anders als FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und seine FraktionskollegInnen sind SPÖ, ÖVP, Grüne und NEOS nicht der Meinung, dass die beiden Regierungsmitglieder Gesetze vorsätzlich verletzt haben und dafür zu belangen wären. Die Anträge wurden bereits im September eingebracht, konkret wirft die FPÖ Faymann und Mikl-Leitner vor, aus politischen Motiven dazu beigetragen zu haben, dass das Fremdenpolizeigesetz von den Behörden nicht vollzogen wurde.

In der Debatte verwies SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder darauf, dass die Regierung vor ihrer Entscheidung, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, Rechtsgutachten eingeholt habe, die die Rechtskonformität ihrer Vorgangsweise bestätigt hätten. So erlaube der Schengener Grenzkodex etwa Grenzübertritte auch ohne Reisepass oder andere Dokumente, wenn das aus humanitären Gründen geboten sei, machten er und SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann geltend. Beide hoben überdies die Notwendigkeit einer Rechtsgüterabwägung und den hohen Wert von Leben und Gesundheit hervor. Der Flüchtlingsansturm wäre wohl nur mit Waffengewalt zu stoppen gewesen, meinte Wittmann und stellte sich wie Schieder die Frage, ob die FPÖ den Einsatz von Waffengewalt gegen die Flüchtlinge, darunter viele Kinder und Mütter, befürwortet hätte.

Wittmann wertete es zudem als unredlich und gesellschaftspolitisch schädlich, politische Auseinandersetzungen nicht politisch, sondern über das Strafrecht zu führen. Damit gieße man lediglich Öl ins Feuer, und das vor dem Hintergrund einer ohnehin schon gespaltenen Gesellschaft, kritisierte er. Er sei froh, dass er einer Partei angehöre, die sich für Menschlichkeit und Humanität entschieden habe, sagte Wittmann und erhielt dafür kräftigen Applaus.

ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka warf der FPÖ vor, politisches Kleingeld wechseln zu wollen. Anstatt die Sache in den Blickpunkt zu stellen, würden die Freiheitlichen alles und jedes verunglimpfen und so nicht nur die Innenministerin anpatzen. Damit stelle man jedenfalls keine Regierungsfähigkeit unter Beweis, so der Klubchef.

Ähnlich wie die Koalitionsparteien argumentierten auch Grün-Abgeordnete Sigrid Maurer und NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak. Maurer wies auf zahlreiche dokumentierte Menschenrechtsverletzungen in Ungarn im Umgang mit Flüchtlingen hin. Die Öffnung der Grenzen sei die einzige richtige Entscheidung gewesen. Auch Scherak hat großes Verständnis dafür, dass Leben und Gesundheit der Flüchtlinge in den Vordergrund gestellt wurden.

Für FPÖ-Abgeordneten Harald Stefan sind die Argumente der Koalition hingegen nicht schlüssig. Seiner Meinung nach ist es offensichtlich, dass Gesetze verletzt wurden. Seit 4. September seien mittlerweile zigtausende Personen über die österreichische Grenze gekommen, ohne dass die Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes angewendet worden wären, hob er hervor. Auch die Berufung auf einen entschuldigenden Notstand sei nicht zulässig. Für ihn gehört es zu den Hauptaufgaben des Staates, die Grenzen zu sichern und die innere Sicherheit zu gewährleisten. Stefan wies darauf hin, dass die FPÖ mittlerweile auch Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen einige Regierungsmitglieder eingebracht hat.

Stefans Fraktionskollege Walter Rosenkranz kritisierte, dass die Koalitionsparteien schon die Einleitung eines Verfahrens gegen Faymann und Mikl-Leitner verhindern. Die Entscheidung über mögliche Verfehlungen würde ohnehin nicht in den Händen des Parlaments, sondern beim Verfassungsgerichtshof liegen. Was das Argument der Rechtsgüterabwägung betrifft, machte Rosenkranz geltend, dass sich wohl auch etliche wegen Schlepperei verurteilte Personen darauf berufen könnten.

"Lassen Sie unabhängige Gerichte entscheiden!" forderte auch FPÖ-Abgeordneter Philipp Schrangl. Seiner Ansicht nach hat es keinen Grund dafür gegeben, das Fremdenpolizeigesetz nicht zu vollziehen. Er wisse nicht, was an Passkontrollen inhuman sein sollte, meinte er. Sollten nicht genug PolizistInnen zur Verfügung stehen, könne man auf das Bundesheer zurückgreifen.

Teilweise Unterstützung erhielt die FPÖ vom Team Stronach. Abgeordneter Christoph Hagen kündigte an, dem Antrag auf Ministeranklage gegen Faymann zuzustimmen, jenen gegen Mikl-Leitner hingegen abzulehnen. Mikl-Leitner habe nach den positiven Signalen, die Faymann im Einklang mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Flüchtlinge gesendet habe, nicht anders handeln können, argumentierte er. (Fortsetzung Nationalrat) gs