Parlamentskorrespondenz Nr. 1311 vom 24.11.2015

Nicht nur blauer Himmel, sondern auch Wolken im Gesundheitssystem

Nationalrat diskutiert über Gesundheitsbudget und Gesundheitspolitik

Wien (PK) – Im Rahmen der Diskussion um das von Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser zu vertretende Budget für 2016 (819 d.B. und 820 d.B.) war heute im Nationalrat parteiübergreifend von allen Fraktionen viel Lob für das österreichische Gesundheitssystem zu hören. So zitierte der ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger zwei Studien, die den hervorragenden Standard der österreichischen Gesundheitsversorgung belegen. Österreich schneide sogar besser ab als Deutschland und die Schweiz, betonte er. Erwin Spindelberger (S) unterstrich, dass in Österreich jeder und jede unabhängig vom Einkommen und Wohnort Zugang zu sämtlichen medizinischen Leistungen habe. Die Bundesministerin bekräftigte diese Aussagen und brach insbesondere eine Lanze für das öffentliche Gesundheitssystem. Private Versicherungen würden anders als die Sozialversicherung bei langer Krankheit ihre Leistungen reduzieren bzw. sich ganz zurückziehen. Trotz Sparvorgaben habe sie die zur Verfügung stehenden Mittel bestmöglich eingesetzt, sagte Oberhauser generell zum Budgetentwurf, der Anteil am BIP sei immer gleich geblieben. Dem widersprach FPÖ-Mandatar Andreas Karlsböck, der meinte, im System sei genug Geld, es werde nur falsch verwendet.

Problem Kompetenzzersplitterung

Als großes Problem wurde von den Abgeordneten aller Couleurs die Zersplitterung der Kompetenzen und die verschiedenen Finanzierungsströme im Gesundheitsbereich gesehen. Dadurch komme es zu einer Über- und Unterversorgung, zu Parallelstrukturen, zu mangelnder Effizienz und großer Intransparenz, waren sich Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F), Eva Mückstein (G), Gerald Loacker (N), Ulrike Weigerstorfer (T), Markus Franz (V) und Erwin Angerer (F) einig. "Die Bundesministerin ist, über weite Strecken gesehen, eine Königin ohne Land" umschrieb die Situation NEOS-Abgeordneter Loacker.

Die FPÖ vermisste in diesem Zusammenhang die vom früheren Gesundheitsminister Alois Stöger versprochene Gesundheitsreform. Belakowitsch-Jenewein kritisierte die Ministerin darüber hinaus, sie habe die Umsetzung der Ergebnisse der Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens" freiwillig an die Länder abgegeben. Die Ministerin sei lediglich eine "Verwaltungsministerin ohne Durchgriffsrecht", stellte Weigerstorfer fest und fragte, wann endlich eine Gesundheitsreform komme, die diesen Namen auch verdient. Ebenso erhofft sich Mückstein eine mutige Verwaltungsreform und eine effiziente Strukturbereinigung. Ruppert Doppler (o.F.) wiederum erwähnte das neue Steuerungssystem positiv, merkte aber an, dass im Rahmen der Leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung die Punktewerte der einzelnen Häuser gleich bemessen werden müssten. Besonders zufrieden zeigte er sich über den angestrebten Rabatt mit den Pharmakonzernen.

Oppositionelle Kritik an den Krankenkassen

Kritik von der Opposition kam auch an den Krankenkassen. Sie sind gemeinsam mit den Ambulatorien ein großes Problem und bedienen politische, ideologische Positionen, meinte etwa Andreas Karlsböck (F). Als einen wahren Skandal nannte er die hohen Außenstände der Krankenkassen und die Tatsache, dass sie die Gelder zu lax bzw. gar nicht einfordern. Sein Klubkollege Erwin Angerer brachte daher zum wiederholten Mal einen Antrag auf Zusammenlegung der Krankenversicherungsanstalten ein.

Auch Gerald Loacker von den NEOS warf den Kassen vor, zur Ineffizienz beizutragen und sprach in diesem Zusammenhang die zu hohen Beiträge für das Gesundheitssystem an. Vor allem sind ihm die Krankenkassen dann ein Dorn im Auge, wenn sie als Leistungserbringer auftreten. Dem gegenüber verteidigte Walter Schopf (S) das System der Krankenversicherung mit den Worten: "Das ist Spitze!" Als besonders positiv strich er hervor, dass all jene, die in Österreich einen Wohnsitz haben, nun auch krankenversichert sind und gleichen Anspruch auf jede Leistung haben. Schopf unterstrich auch die Vorteile der E-Card.

Gerald Loacker (N) sprach sich generell für mehr Flexibilität aus und forderte für ÄrztInnen die Möglichkeit, andere ÄrztInnen einstellen zu können. Im Gegensatz dazu sah die Freiheitliche Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch-Jenewein mit der Einrichtung von Erstversorgungszentren das Ende des freien Berufs der ÄrztInnen heraufkommen.

Gesundheitsleistungen werden ausgeweitet

Die VertreterInnen der Regierungsparteien verteidigten den Budgetentwurf gegenüber oppositioneller Kritik als ausgewogen. Vor allem die RednerInnen der Sozialdemokraten wiesen darauf hin, dass trotz Budgetkonsolidierung Leistungen ausgeweitet werden, wie etwa die Zahnspange. Damit werde eine soziale Stigmatisierung verhindert, führte Ruth Becher ins Treffen. Erwin Spindelberger machte sich wie sein Klubkollege Markus Vogl für die elektronische Gesundheitsakte (ELGA) stark, denn von dieser erwarten sie sich mehr Sicherheit für die PatientInnen. Die Daten der Versicherten bleiben bei den Versicherten, sagte Vogl.

Zufrieden zeigte sich Spindelberger (S) auch, dass die Kindergesundheit nun einen neuen Stellenwert bekomme, etwa durch die Schaffung von Rehabilitationsplätzen für Kinder, durch das Impfprogramm und die Aktion "Gesunde Schule". Dazu fand auch die Opposition positive Worte. So zeigte sich Eva Mückstein (G) zufrieden, dass nun der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen besonderes Augenmerk geschenkt wird.

Die Wolken: Zwei-Klassenmedizin und Abwanderung junger ÄrztInnen

Dennoch sah Rasinger Wolken am Himmel, wie er es formulierte und nannte in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass es in manchen Bereichen doch eine Zweiklassenmedizin gibt, insbesondere bei MRD- und CT-Untersuchungen. Dem stimmte Gesundheitsministerin Oberhauser zu und versicherte, alle Anstrengungen zu unternehmen, um dies abzustellen. Hier müssten die Sozialversicherungen entsprechende Regelungen in den Verträgen mit den Instituten vornehmen. Auch Eva Mückstein sah eine Tendenz zu einer Zwei-Klassen-Medizin und ortete den Grund dafür in den schmerzhaften Einsparungen, die besonders die Gesundheitsberufe zu spüren bekommen.

Als großes Problem betrachteten die Abgeordneten die Abwanderung der jungen ÄrztInnen. Die FPÖ-Mandatarin Dagmar Belakowitsch-Jenewein sah den Grund dafür nicht nur in höheren Gehältern, die im Ausland bezahlt werden, sondern vor allem auch in effizienteren Ausbildungsmöglichkeiten außerhalb Österreichs. Auch Erwin Rasinger (V) nannte diesen Trend bedenklich, ebenso äußerte sich Markus Franz (V) besorgt. Franz ortete grundsätzlich eine Erosion des gesamten Berufsstandes und bedauerte, dass den ÄrztInnen nicht mehr genügend Vertrauen entgegengebracht werde und sie zu medizinischen Fachkräften durch juristische und bürokratische Korsette gemacht würden. Auch Markus Vogl (S) räumte Probleme ein, man dürfe aber nicht Ängste schüren und Reformen schlecht reden.

Handlungsbedarf in der Vorsorgemedizin und bei psychischer Versorgung

Ein großes Manko orten die Grünen im Bereich der Vorsorgemedizin. Eva Mückstein forderte, mehr Geld für die Prävention von Suchterkrankungen und Suizidgefahr in die Hand zu nehmen. Darauf reagierte Nurten Yilmaz (S) mit dem Hinweis auf die nationale Suchtpräventionsstrategie, die noch heuer vom Ministerrat beschlossen werden soll. Für Wolfgang Pirklhuber (G) ist die Ernährung ein Schlüsselthema, vor allem bei Kindern und Jugendlichen.

Er forderte zudem einen Ausbau der psychischen Versorgung, wobei er mit Johann Höfinger (V) konform ging, der von einem "enormen Entwicklungspotenzial" in diesem Bereich sprach. Die Behandlung erfolge oft erst viel zu spät, außerdem fehlten viele stationäre Plätze, in manchen Bundesländern gebe es keine Möglichkeit, sich behandeln zu lassen und es fehlten insbesondere auch Stationen mit Mutter-Kind-Einheiten. Dazu meinte Bundesministerin Sabine Oberhauser, dass man dabei sei, Betten für diesen Bereich aufzubauen. Sie gab jedoch zu bedenken, dass man kaum Ärzte findet, die mit einem Kassenvertrag hinausgehen wollen.

Ulrike Weigerstorfer (T) sieht darüber hinaus auch in Bezug auf Impfprogramme Handlungsbedarf, zumal in Österreich nur 83 % der Bevölkerung gegen Diphterie, Tetanus und Keuchhusten immunisiert sind.

Die allgemein oft mangelnde Versorgung in ländlichen Gebieten thematisierten Erwin Angerer (F) und Martina Diesner-Wais (V). Um ausreichend HausärztInnen zu motivieren, in ländliche Regionen zu ziehen, brauche es eine geeignete Infrastruktur, sagte Diesner-Wais.

Weiteres Thema, das in der Debatte angesprochen wurde, war die zunehmende Antibiotikaresistenz, die, wie Michael Ehmann (S) bemerkte, eine Gefahr für Tier und Mensch darstelle und nur global bekämpft werden könne. Ulrike Weigerstorfer (T) und Dietmar Keck (S) sprachen den Tierschutz an, wobei Keck vor allem die Aktivitäten des Vereins "Tierschutz macht Schule" hervorhob. Wolfgang Knes (S) unterstrich die Bedeutung der betrieblichen Gesundheitsvorsorge, denn gesunde Menschen lebten länger und seien auch motivierter und leistungsfähiger.

Dorothea Schittenhelm (V) brachte das Gleichstellungsziel des Ressorts zur Sprache und betonte die Notwendigkeit, genderbedingte Vorurteile abzubauen und den geschlechtsspezifischen Gesundheitsrisiken mehr Beachtung zu schenken. Dazu brauche man aber Zahlenmaterial und eine stärkere Einbindung der HausärztInnen.

Das Gesundheitsbudget in Zahlen

Im Bereich Gesundheit (Untergliederung 24) kommt es zu einem Anstieg der Ausgaben (Auszahlungen) um 9 % im Jahr 2016, was im Wesentlichen auf folgende Entwicklungen zurückzuführen: der Kostenbeitrag des Bundes an den beim Hauptverband eingerichteten Zahngesundheitsfonds (+60,0 Mio. €), die neuerliche Dotierung des Kassenstrukturfonds (+10,0 Mio. €), E-Health Maßnahmen (+6,2 Mio. €), Zahlungen an die Krankenversicherung im Rahmen der Mindestsicherung (+4,5 Mio. €) sowie zusätzliche Mittel für das Kinderimpfkonzept (+4,0 Mio. €).

Insgesamt werden somit für die Gesundheit 1,043 Mrd. € veranschlagt. Der Großteil der Ausgaben ist für die Finanzierung der Krankenanstalten 645,6 Mio. € (2015: 648,4 Mio. €) reserviert. Weitere Schwerpunkte bilden die Beiträge für die Sozialversicherungen - 134,5 Mio. € (62,5 Mio. €), die Gesundheitsförderung - 45,7 Mio. € (46,1 Mio. €), die Förderung der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) und der Gesundheit Österreich GmbH. - 63,7 Mio. € (65,3 Mio. €), die Abgeltung des Mehraufwands durch FLAF-Zahlungen - 66,7 Mio. € (66,7 Mio. €) sowie Veterinär-, Lebensmittel- und Gentechnologieangelegenheiten - 6,6 Mio. € (5,6 Mio. €).

Um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen zu dämpfen, wurde mit der Gesundheitsreform 2013 ein neues Steuerungssystem für das österreichische Gesundheitswesen eingeführt. Die Eckpunkte wurden in der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG Zielsteuerung-Gesundheit zwischen dem Bund und den Ländern festgelegt. Der Anstieg der öffentlichen Gesundheitsausgaben soll in der ersten Periode der Zielsteuerung von 2012 bis 2016 stufenweise so gedämpft werden, dass der jährliche Ausgabenzuwachs im Jahr 2016 einen Wert von 3,6 % (entspricht der durchschnittlichen Entwicklung des nominellen BIP) nicht überschreitet. Insgesamt sollen dadurch rund 3,4 Mrd. € eingespart werden. (Fortsetzung Nationalrat) jan