Parlamentskorrespondenz Nr. 204 vom 03.03.2016

Diskussion um nicht amtsführende Wiener Stadträte geht weiter

Weitere Themen im Verfassungsausschuss: Rahmengesetz für Mindestsicherung, Begutachtungsverfahren, Verbandsklage für Volksgruppen

Wien (PK) – Sowohl die Grünen als auch die NEOS machen sich seit geraumer Zeit dafür stark, die nicht amtsführenden Stadträte in Wien abzuschaffen. Der in der Verfassung verankerte Zwang zum Proporz sei nicht mehr zeitgemäß, man müsse Wien, das als Gemeinde einen Sonderstatus hat, analog zu den anderen Bundesländern die Möglichkeit geben, einen klaren Trennstrich zwischen Regierung und Opposition zu ziehen, sind sich Abgeordnete Daniela Musiol (G) und Nikolaus Scherak (N) einig. Bislang waren diesbezügliche Anträge der beiden Fraktionen allerdings nicht von Erfolg gekrönt, da die Regierungsparteien die Meinung vertreten haben, dass die Initiative von Wien ausgehen sollte. Auch heute fiel im Verfassungsausschuss des Nationalrats keine Entscheidung darüber, obwohl der Wiener Landtag zwei Entschließungen dazu verabschiedet hat. SPÖ und ÖVP sehen noch einige offene Punkte und stimmten daher dem Vertagungsantrag von Wolfgang Gerstl (V) mehrheitlich zu.

Auch die beiden Anträge zur Frage der Begutachtung von Gesetzesvorhaben und zur Einführung einer Verbandsklage für Volksgruppen wurden vertagt. Nicht durchsetzen konnten sich die Grünen mit ihrem Vorstoß, ein Bundesrahmengesetz für die Mindestsicherung zu schaffen – er wurde abgelehnt.

Keine Einigung über Abschaffung der amtsführenden StadträtInnen in Wien

Basis für die Diskussion über die nicht amtsführenden StadträtInnen in Wien waren Gesetzesanträge der NEOS (840/A) bzw. der Grünen (869/A), die beide darauf hinauslaufen, dem Wiener Landtag durch eine Änderung der Bundesverfassung eine Adaptierung der Wiener Stadtverfassung zu ermöglichen. Das in Wien verankerte System der nicht amtsführenden StadträtInnen sei ein Unikum in Österreich und nicht nur teuer, es erfülle auch keinen erkennbaren demokratiepolitischen Zweck, heißt es etwa von Seiten der NEOS.

Nikolaus Scherak (N) und Daniela Musiol (G) sahen insofern die Zeit für eine Änderung gekommen, als der Wiener Landtag selbst in der Zwischenzeit zwei diesbezügliche Entschließungen – eine von SPÖ und Grünen, unterstützt von den NEOS, und eine von der ÖVP - verabschiedet hat. Damit falle das Argument weg, man solle die Meinung aus Wien abwarten und berücksichtigen, sagte Scherak. Nun ist ihm und Musiol zufolge der Verfassungsgesetzgeber gefragt. Selbstverständlich dürfe die Neuregelung zu keinen Kontrollverlusten für die Opposition führen, stellten Musiol und ihr Klubkollege Albert Steinhauser zudem klar. Die Anträge wurden auch von Christoph Hagen seitens des Team Stronach unterstützt.

Diese Eindeutigkeit sah Wolfgang Gerstl (V) nicht gegeben. Während der Antrag der Wiener SPÖ und Grünen auf Einsparungen abziele und sich auf die Zusammensetzung des Stadtsenats konzentriere, spreche der ÖVP-Antrag auch von der Landesregierung. Außerdem wolle die Wiener Koalition, dass es für Wien gegenüber anderen Gemeinden Sonderregelungen geben sollte. Es bleibe daher die Frage offen, ob man sich auf die Landesebene konzentrieren oder auch die Gemeindeebene miteinbeziehen solle, begründete er den Vertagungsantrag, der schließlich mit Mehrheit von SPÖ und ÖVP angenommen wurde. All dies müsse man noch mit Wien sowie mit dem Gemeinde- und Städtebund klären, sagte Gerstl. Daraufhin appellierte Albert Steinhauser (G), keine weiteren Ausreden und nicht "das Haar in der Suppe von Anträgen" zu suchen.

Völlig abgelehnt wurden die Initiativen der Grünen und der NEOS von den Freiheitlichen. Der Verfassungsgesetzgeber habe sich etwas dabei gedacht, als er die Regelung schuf, meinte Günther Kumpitsch. Die Schwierigkeiten wären leicht zu beheben, wenn man den Wiener  Vizebürgermeister mit einem Aufgabengebiet betraute, argumentierte er. Als zwingende Forderung sieht er lediglich, die Oppositionsrechte zu stärken.

NEOS urgieren klare Regelungen für Begutachtungsverfahren

Ein weiteres Anliegen ist den NEOS ein einheitliches Begutachtungsverfahren von Gesetzesvorhaben der Regierung. Abgeordneter Nikolaus Scherak will in einem eigenen Bundesgesetz (1252/A) festschreiben, dass Ministerialentwürfe für mindestens sechs Wochen einer öffentlichen Begutachtung unterzogen werden müssen und einlangende Stellungnahmen zu veröffentlichen sind. Es gebe zwar diverse Empfehlungen und Vereinbarungen, mangels Verbindlichkeit würden in der Praxis aber immer wieder sehr kurze Fristen gesetzt, moniert er. Eine ausreichende Begutachtungsfrist würde der Qualität der Gesetzgebung dienen, da die Stellen ausreichend Zeit hätten, sich mit den Materien zu befassen. Der Rechnungshof habe aufgezeigt, dass in vielen Fällen die Frist von sechs Wochen unterschritten wird. Die Initiative wurde auch von den Freiheitlichen (Harald Stefan), den Grünen (Daniela Musiol) und dem Team Stronach (Christoph Hagen) befürwortet.

Josef Cap (S) sah noch Diskussionsbedarf und erinnerte an die Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie, wo es auch zu diesem Punkt engagierte Debatten gegeben habe. In diesem Geist sollten die Ergebnisse in einer präzisen, umfassenden und glaubwürdigen Form umgesetzt werden, sagte er, worauf Daniela Musiol (G) kritisch einwarf, sie warte noch immer auf Gespräche, wie man die Ergebnisse der Enquete-Kommission in Gesetzesform fassen könnte. Der Antrag wurde schließlich mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP vertagt.

Mindestsicherung: Grüne fordern Bundesrahmengesetz

Vom Verfassungsausschuss abgelehnt wurde ein Antrag der Grünen zum Thema Mindestsicherung (1007/A). Abgeordnete Judith Schwentner und ihre FraktionskollegInnen wollten durch eine Adaptierung der Bundesverfassung klarstellen, dass die Grundsatzgesetzgebung für den Bereich der Mindestsicherung dem Bund obliegt. Der Versuch, einheitliche Leistungen für MindestsicherungsbezieherInnen über eine Bund-Länder-Vereinbarung (so genannte Artikel 15a-Vereinbarung) zu erreichen, ist ihrer Meinung nach gescheitert, daher bedürfe es eines Bundesrahmengesetzes. Nikolaus Scherak (N) nannte die gegenwärtige Regelung einen "Ausfluss des falsch verstandenen Föderalismus" und Christoph Hagen (T) wies darauf hin, dass sich etwa Flüchtlinge jene Bundesländer aussuchen, in denen die Mindestsicherung am höchsten ist.

Im Gegensatz dazu vertrat Michael Hammer (V) die Auffassung, das Instrumentarium der 15a-Verträge habe sich bewährt, es sei im Falle der Mindestsicherung gelungen, weitgehend eine Harmonisierung herbeizuführen. Die Mindestsicherung sollte nah beim Bürger bleiben, argumentierte er, eine Zentralisierung halte er nicht für sinnvoll.

Hammer wandte sich auch gegen den von Schwentner heftig kritisierten Begriff des "Armenwesens", den sie im Gesetz durch eine modernere Formulierung ersetzen will. Der Begriff sei ausjudiziert und eine Neuformulierung hätte weitreichende Änderungen zur Folge, so Hammer.

Für den Antrag stimmten nur Grüne, NEOS und Team Stronach, somit blieb er in der Minderheit.

Volksgruppen: Grüne fordern Recht auf Verbandsklage

Schließlich vertagten SPÖ und ÖVP mehrheitlich einen Entschließungsantrag der Grünen (235/A(E)), der darauf abzielt, den Volkgruppenverbänden und Volksgruppenorganisationen zur Durchsetzung von Minderheitenrechten das Recht auf Verbandsklagen einzuräumen. Ohne die Möglichkeit einer Verbandsklage sei es für die Volksgruppen schwierig, ihre garantierten Rechte durchzusetzen, argumentiert Abgeordneter Wolfgang Zinggl und erinnert in der Begründung des Antrags daran, dass es nur durch eine bewusste Geschwindigkeitsübertretung im Ortsgebiet möglich gewesen sei, das Thema zweisprachige Ortstafeln vor den Verfassungsgerichtshof zu bringen. Das geltende Volksgruppengesetz bringe den Betroffenen viele Rechte, es sei aber schwierig, diese durchzusetzen, wenn die Rechte eine Volksgruppe gesamt betreffen, betonte er. Hinter den Antrag stellte sich ausdrücklich auch NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak.

Seitens der Koalition sah man allerdings derzeit keine Notwendigkeit, eine Verbandsklage für Volksgruppen einzuführen. Die Volksgruppen seien auch diesbezüglich nicht an den Minister herangetreten, begründete Angela Lueger (S) ihren Vertagungsantrag. Auch Kanzleramtsminister Josef Ostermayer gab zu bedenken, dass es zwar Gespräche darüber gegeben habe, man aber zu keinem Ergebnis gekommen sei, was der Inhalt einer Verbandsklage sein könnte, zumal die Ortstafelfrage und die Amtssprache einer verfassungsrechtlichen Regelung zugeführt werden konnten. Ein neuerlicher Impuls müsste von den Volksgruppen selbst kommen, so Ostermayer.

Eine Verbandsklage hätte durchaus Charme, meinte dazu Nikolaus Berlakovich von der ÖVP. Viele Fragen seien aber offen, etwa wer klagsberechtigt ist oder ob es ein Bekenntnisprinzip geben soll. Man sollte sich jedenfalls mit dem Thema weiter befassen. (Schluss Verfassungsausschuss) jan/gs