Parlamentskorrespondenz Nr. 753 vom 28.06.2016

Sozialausschuss: Stöger legt erneut Bekenntnis zur Mindestsicherung ab

Studie soll Möglichkeiten der Effizienzsteigerung bei Sozialversicherungen prüfen

Wien (PK) – Der Sozialausschuss des Nationalrats befasste sich heute auch mit einer Reihe von Oppositionsanträgen. Unter anderem ging es um die Mindestsicherung, den Zugang nichtösterreichischer StaatsbürgerInnen zu Sozialleistungen, die nachträgliche Umqualifizierung von Selbständigen als unselbständig Beschäftigte und eine Steigerung der Effizienz der Sozialversicherungsträger. Außerdem standen die Forderung nach einem einfacheren Zugang zu Hilfsmitteln für behinderte Menschen und die Schaffung neuer Regeln für die Nutzung von Behindertenparkplätzen zur Diskussion. Sozialminister Alois Stöger brach neuerlich eine Lanze für eine existenzsichernde Mindestsicherung, weil dadurch die Menschen vom Rand der Gesellschaft in die Mitte gerückt würden. Er werde sich jedenfalls mit aller Kraft für eine Fortsetzung der 15a-Vereinbarung mit den Ländern einsetzen.

Opposition fordert offene Debatte über Mindestsicherung auf parlamentarischer Ebene

Konkret lag in Bezug auf die Mindestsicherung die alte Forderung der FPÖ am Tisch, die Leistungen nach den Lebenshaltungskosten im Herkunftsland der BezieherInnen zu staffeln (759/A(E)). Demnach sollen etwa Zuwanderinnen und Zuwanderer aus Bulgarien, Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern eine deutlich niedrigere Leistung erhalten als ÖsterreicherInnen. Zudem soll das Sozialministerium nach Meinung von FPÖ-Abgeordnetem Herbert Kickl prüfen, inwieweit ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Hartz IV den Weg für mögliche Leistungskürzungen auch in Österreich ebnet (1343/A(E)).

Scharfe Kritik an Leistungskürzungen bei der Mindestsicherung kommt hingegen von den Grünen. Abgeordnete Judith Schwentner hält entsprechende Pläne und bereits vorgenommene Beschlüsse nicht nur wegen einer drohenden Verfestigung von Armut und Ausgrenzung für kontraproduktiv, sie bezweifelt auch, dass Sonderbestimmungen für anerkannte und subsidiär schutzberechtigte Flüchtlinge europäischem bzw. internationalem Recht entsprechen (1637/A(E)). Unterschiedliche Leistungen in den Bundesländern würden ihr zufolge überdies dazu führen, dass Betroffene ihren Wohnort in Bundesländer verlegen, die eine höhere Mindestsicherung zahlen. Die Grünen plädieren in diesem Sinn auch für eine Anrufung des Verfassungsgerichtshofs, um eine lückenlose Einhaltung der aktuellen, bis Jahresende geltenden Bund-Länder-Vereinbarung sicherzustellen (1748/A(E)).

Um eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen der Sozialversicherung durch nichtösterreichische StaatsbürgerInnen sorgte sich das Team Stronach. Abgeordnete Waltraud Dietrich fordert daher eine rigorose Wohnsitz-Überprüfung, um beispielsweise unzulässige Mitversicherungen zu unterbinden (1239/A(E)). Auch der Rechnungshof habe darauf hingewiesen, dass es in Österreich sehr leicht sei, Zugang zum Sozialsystem zu bekommen. – All diese Anträge wurden mehrheitlich vertagt.

Ein weiteres Anliegen war dem Team Stronach die sukzessive Abschaffung der Ausgleichszulage im Bereich der Pensionsversicherung (1383/A(E)). Neuerlich zur Diskussion stand auch die Forderung des Team Stronach nach einer Erhöhung des nicht pfändbaren Existenzminimums von derzeit 857 € (488/A(E)). Beide Anträge fanden keine Mehrheit.

In der Debatte kritisierten die Grün-Abgeordneten Judith Schwentner und Karl Öllinger, dass alle Anträge zur Mindestsicherung wieder einmal vertagt werden und somit keine Diskussion im Nationalrat ermöglicht werde. NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker vertrat die Auffassung, "dass die Landesfürsten den Minister an der Nase herumführen". Man müsse jedenfalls eine Lösung finden, die gewährleistet, dass sich das Arbeiten auch auszahle.

Es widerspreche der sozialdemokratischen Position, dass MigrantInnen weniger Sozialleistungen bekommen sollen als ÖsterreicherInnen, erklärte SPÖ-Mandatar Erwin Spindelberger (S) in Richtung der Freiheitlichen. Auch Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig warnte vor einer Neiddebatte und einem Auseinanderdividieren der Gesellschaft.

Von ÖVP-Seite verwies August Wöginger auf die laufenden Verhandlungen über die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Seine Fraktion stehe dafür, dass es ein soziales Netz brauche, aber es müsse noch die Frage geklärt werden, in welcher Höhe die Unterstützung – vor allem bei größeren Familienverbänden - ausfallen soll. Den Vorschlag nach einer Deckelung halte er für sinnvoll, denn Integration müsse immer von der gesamten Bevölkerung mitgetragen werden.

Seine Fraktion weise deshalb seit Jahren auf negative Entwicklungen und Missstände im Sozialsystem hin, weil es um die nachhaltige Finanzierbarkeit und auch um Gerechtigkeit gehe, betonte FPÖ-Abgeordneter Peter Wurm. Niemand wolle Zustände wie in Griechenland, wo Arbeitslose nach einem Jahr nur mehr Essensgutscheine erhalten und von massiver Armut bedroht sind. Er verstehe daher den Sozialminister nicht, der oft recht lapidar die Situation in Österreich beschreibe. Die Tatsache, dass es mittlerweile bis zu 500.000 Arbeitslose gibt, über 300.000 Mindestsicherungs- und 170.000 NotstandshilfebezieherInnen sei aus seiner Sicht mehr als dramatisch. Abermals forderte Wurm den Ressortchef auf, bundesweite Daten darüber zu liefern, wie viele Menschen mittlerweile BMS beziehen.

Sozialminister Alois Stöger erinnerte an die Entstehung der Sozialhilfegesetze in den Ländern, die die Menschen davor bewahrt haben, auf Almosen angewiesen zu sein. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung sei das letzte soziale Netz, das aufrecht erhalten werden müsse und seiner Meinung nach auch dazu beitrage, dass keine verarmten Stadtteile wie in anderen großen europäischen Metropolen entstehen. Er könne die Länder natürlich zu nichts zwingen, aber er hoffe, dass es bald zu einer Einigung über die 15a-Vereinbarung kommen wird.

Studie zur Effizienzsteigerung bei den Sozialversicherungen

Erneut Debattengegenstand im Ausschuss war auch die Forderung der Opposition nach einer Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger. Dazu lagen dem Ausschuss Anträge der FPÖ (1176/A(E)) und der NEOS (709/A(E)) vor, wobei sich beide Fraktionen dafür aussprechen, in einem ersten Schritt zu erheben, inwieweit es Möglichkeiten der Effizienzsteigerung und Kostendämpfung durch eine engere Zusammenarbeit der Sozialversicherungen gibt. NEOS-Abgeordnetem Gerald Loacker ist es außerdem ein Anliegen, die Ansammlung von Finanzvermögen durch die Sozialversicherungsträger gesetzlich zu deckeln (1520/A(E)) und die Vorgaben für die Erfolgsrechnung zu präzisieren (1315/A(E)).

In der Debatte wies Michael Hammer (V) darauf hin, dass die vereinbarte Effizienzstudie vorangetrieben werde, die Berichtspflichten der Versicherungen und die Verwaltung ihres Vermögens klar geregelt sei und die Sozialversicherungen überdies selbstverwaltend seien. Gerald Loacker (N) problematisierte die Zwangsmitgliedschaft der Versicherten und unterstrich die besondere Sorgfaltspflicht der Sozialversicherungen beim Umgang mit ihren Geldern. Karl Öllinger (G) brach eine Lanze für den Ausbau der Selbstverwaltung und für die Weiterentwicklung der EU zu einer Sozialunion. Die zur Debatte stehende Studie werde rechtzeitig zur Verfügung gestellt, sagte Sozialminister Stöger, der auch darauf aufmerksam machte, dass die Rechnungslegung bei den Sozialversicherungen ebenso klar geregelt sei wie die Veranlagung von Vermögen. Die Vertagung der Anträge erfolgte auf Vorschlag Michael Hammers (V) mit SPÖ-ÖVP Mehrheit.

NEOS fordern mehr Rechtssicherheit für Selbständige

Ein besonderer Dorn im Auge ist es Loacker im Bereich der Sozialversicherung, dass selbständige AuftragnehmerInnen oft gegen deren Willen von den Gebietskrankenkassen als unselbständig Beschäftigte klassifiziert werden. Es werde immer schwerer, zwischen selbständiger und unselbständiger Arbeit zu unterscheiden, klagt er. Das führe insbesondere bei Einpersonenunternehmen (EPU) zu erheblicher Rechtsunsicherheit und habe außerdem zur Folge, dass oft bei mehreren Sozialversicherungsträgern gleichzeitig Beiträge zu entrichten seien. Um das Problem zu entschärfen, schlägt Loacker vor, eine Umqualifizierung von Selbständigen gegen deren Willen künftig nicht mehr zuzulassen, wenn diese ein jährliches Bruttoeinkommen von zumindest 24.000 € erwirtschaften (1733/A(E)). Durch diese Grenze wäre seiner Meinung nach auch sichergestellt, dass Scheinselbständigkeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen nicht Vorschub geleistet wird. Außerdem drängt er auf eine formelle Parteistellung für alle Betroffenen in Schlichtungsverfahren beim zuständigen Hauptverband der Sozialversicherungsträger (711/A(E)).

Die angesprochene Problematik wurde von zahlreichen RednerInnen anerkannt, die vorgeschlagene Lösung wurde jedoch von vielen als nicht nachvollziehbar bezeichnet. Österreich brauche ein einheitliches Sozialversicherungssystem für alle, meinte etwa Abgeordnete Judith Schwentner (G). Auch FPÖ-Mandatar gab zu bedenken, dass die unklaren Regelungen viele berufliche Existenzen gekostet hätten.

Sozialminister Alois Stöger wies auf die Schlichtungsstelle beim Hauptverband hin, bei der nur 32 Fälle in dieser Angelegenheit gelandet sind. – Der NEOS-Antrag betreffend Rechtssicherheit bei Selbständigkeit wurde abgelehnt, der Antrag betreffend Parteistellung vertagt.

Team Stronach: Einheitlicher Personalschlüssel für Pflegeheime und neue Parkausweise für behinderte Menschen

Ein ganz anderes Anliegen hat das Team Stronach aufgegriffen. In Anlehnung an eine Forderung der Volksanwaltschaft tritt Abgeordnete Dietrich für einen bundesweit einheitlichen Personalschlüssel für Pflegeheime ein, um eine qualitätsvolle Pflege in den Heimen sicherzustellen (1236/A(E)).

Angesichts der stetig steigenden Zahl von Parkausweisen für behinderte Menschen hält es das Team Stronach darüber hinaus für notwendig, die Bestimmungen für die Ausstellung solcher Ausweise zu adaptieren (1761/A(E)). Nicht allen Menschen, die im Besitz eines Behindertenpasses sind, sei es unzumutbar, einen normalen Parkplatz zu benutzen, macht sich Abgeordnete Dietrich für unterschiedliche Kategorien von Ausweisen stark. Je nach Farbcode einer am Parkausweis anzubringenden Vignette sollen AusweisinhaberInnen demnach berechtigt sein, auf einem Behindertenparklatz zu parken oder lediglich Parkerleichterungen auf normalen Parkplätzen zu nutzen. Dietrich will diese Vignetten – analog zur Autobahnvignette – außerdem mit einem fälschungssicheren Hologramm versehen und den Gültigkeitszeitraum auf jeweils ein Jahr begrenzen.

Die beiden Anträge wurden ebenso vertagt wie ein Entschließungsantrag der Grünen (1686/A(E)), mit dem Abgeordnete Helene Jarmer die Chance von behinderten Menschen auf ein selbstbestimmtes Leben verbessern will. Konkret geht es ihr darum, den Hilfsmittelkatalog der Sozialversicherungsträger auf den neuesten Stand der Technik zu bringen, einen bundeseinheitlichen Rechtsanspruch auf assistierende Technologien und kommunikative Hilfsmittel einzuräumen und eine zentrale Anlaufstelle für Menschen, die Hilfsmittel benötigen, einzurichten. Derzeit seien sehr viele unterschiedliche Kostenträger für die Finanzierung von Hilfsmitteln zuständig, kritisiert die Behindertensprecherin der Grünen.

In der Debatte berichteten Franz-Joseph Huainigg (V) und Ulrike Königsberger-Ludwig (S) über aktuelle Gespräche zur Lösung der von den AntragsstellerInnen vorgebrachten Anliegen und begründeten damit die Vertagung der Anträge mit den Stimmen der Koalitionsparteien. Bundesminister Alois Stöger informierte über Bemühungen, einen Markt für Hilfsmittel für behindere Menschen zu entwickeln und kündigte Entscheidungen darüber noch im Jahr 2016 an. Die Umsetzung des Aktionsplans Behinderungen ist Gegenstand einer Arbeitsgruppe, die sich insbesondere mit der Einstellung von behinderten Menschen beschäftigt, sowie von Verhandlungen mit den Ländern über einen neuen Finanzausgleich, die aus seiner Sicht gut laufen, berichtete der Sozialminister. (Fortsetzung Sozialausschuss) sue/fru