Parlamentskorrespondenz Nr. 1179 vom 09.11.2016

Die Zukunft der EU: Von der Renationalisierung bis zur Europäischen Republik

Aktuelle Europastunde der NEOS im Nationalrat zu den Lehren aus CETA

Wien (PK) – Das Ergebnis der Präsidentenwahl in den USA spielte heute auch in die Aktuelle Europastunde des Nationalrats hinein. Es waren sich alle einig, dass sich in der EU etwas ändern müsse. Europa-Abgeordneter Othmar Karas (V) erwartet, dass mit einem US-Präsidenten Donald Trump die USA protektionistischer und unberechenbarer werden; die USA werde kein verlässlicher Partner bei der Globalisierung mehr sein. Wie Josef Cap (S), Eva Glawischnig-Piesczek (G)und Claudia Gamon (N) plädierte er für ein selbstbewusstes und starkes Europa. Die RednerInnen der vier Fraktionen sprachen auch von einem "Weckruf für Europa" und dass es darum gehe, die europäischen Werte selbstbewusst zu vertreten. Man müsse sich überlegen, wie man die Handlungsfähigkeit, die Kompetenzverteilung und die Wirtschaftspolitik der EU in Zukunft neu gestaltet, so der Tenor. Auch FPÖ und Team Stronach traten für eine Neuorientierung ein, jedoch im Sinne einer Renationalisierung. So war etwa Waltraud Dietrich (T) für ein Europa der Vaterländer, worauf Werner Kogler (G) mit dem Hinweis reagierte, dass ein solches Europa der Vaterländer zu Millionengräbern geführt habe.

NEOS für eine Europäische Republik

Anlass für die Debatte war das Verlangen der NEOS, über die zukünftige Verfasstheit der EU nach dem schwierigen Entscheidungsprozess innerhalb der EU im Vorfeld der Unterzeichnung des Freihandelsvertrags zwischen der EU und Kanada (CETA) zu diskutieren. Sie stellten daher die Aktuelle Europastunde unter den Titel "Die Lehren aus CETA: Warum Europa eine Republik werden muss".

Die Leute hätten nicht das Gefühl, dass in Europa die Macht vom Volk ausgeht, sondern das Volk gegängelt wird, begründete NEOS-Klubobmann Matthias Strolz seine Forderung, eine europäische Regierung auf Zeit zu wählen. Man brauche keinen Europäischen Rat, sondern ein direkt gewähltes Europäisches Parlament und einen Senat, der die Regionen repräsentiert. Eine nationale Abschottung hält Strolz vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenherde und der Bevölkerungsentwicklung in Afrika, Indien und China für verantwortungslos. Europa brauche eine klare Vision dafür, welche Standards gelten sollen, und dafür müsse man Verbündete haben, sagte er.

Kern sieht derzeit keine Hoffnung für eine Europäische Republik

Der Appell von Strolz nach mehr Gemeinsamkeit wurde auch seitens der SPÖ, der ÖVP und der Grünen unterstrichen. Ebenso teilte Bundeskanzler Christian Kern die Analyse des NEOS-Mandatars, hält aber dessen Forderung nach einer Europäischen Republik für hoffnungslos. Kern sieht vor allem schwere Konstruktionsfehler im Zuge der Erweiterung, wo man es verabsäumt habe, den Entscheidungsprozess innerhalb der EU anzupassen und zu verbessern. Auch bei der Einführung des Euro habe man nicht den notwendigen zweiten Schritt zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Fiskalpolitik gesetzt. Kern meinte daher, dass es keinen Platz für derartige Diskussionen über die Struktur der EU gibt, solange die virulenten Probleme, etwa in der Flüchtlings- und Wirtschaftspolitik, nicht gelöst sind.

Europa muss selbstbewusster für seine Werte eintreten

Auch SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder hält die Entscheidungsstrukturen innerhalb der EU für nicht mehr praktikabel, wenn der Kontinent selbstbewusst im Globalisierungsprozess und bei den Handelsverträgen für sein Wirtschafts- und Sozialmodell eintreten soll. Damit werde man auch nicht zu einer so dringend notwendigen, einheitlichen außen- und sicherheitspolitischen Meinung gelangen, resümierte Schieder mit Sorge. Seiner Meinung nach muss sich die EU daher überlegen, wie sie den internen Interessenskonflikt auflöst. An einer klassisch parlamentarischen Demokratie führt seiner Auffassung nach jedoch kein Weg vorbei. Wir müssen in Europa die Werte hochhalten und dem entgegenhalten, was gerade in den USA passiert, unterstrich Josef Cap (S) die Aussagen seines Klubobmannes. Rassistische, sexistische Äußerungen seien keine europäischen Werte. Wenn man ein starkes selbstbewusstes Europa will, dann müsse man kritisch an der Erneuerung der EU mitwirken, Europa habe viel zu verlieren.

Europa benötige einen Aufbruchprozess, unterstrich auch Angelika Winzig (V) und plädierte für ein Neuordnung der Kompetenzen mit dem Ziel einer intelligenten neuen Zusammenarbeit unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips. Wie EU-Abgeordneter Othmar Karas (V) wandte sie sich strikt gegen eine Abschottungspolitik. Wer sich in Zeiten wie diesen abschottet, der verliert im globalen Zusammenspiel die Möglichkeit, die europäischen Werte zu verteidigen, warnte Karas. Der EU-Parlamentarier drängte einmal mehr auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik und auf eine gemeinsame Linie in der Entwicklungszusammenarbeit.

Auch die Grünen halten es für höchst an der Zeit, dass sich die EU zu mehr Gemeinsamkeit durchringt. In diesem Sinne teilte die Grüne Klubobfrau Eva Glawischnig-Piesczek die Bedenken von Matthias Strolz. So hätte sie sich beispielsweise eine wesentlich schärfere Reaktion der EU auf die Türkei gewünscht. Auch im Hinblick auf Freihandelsverträge hält sie eine Nachdenkphase und eine Neuausrichtung für notwendig und warnte einmal mehr vor TISA und TTIP. Man müsse die Stopptaste drücken können, wenn die Entwicklungen innerhalb der Verhandlungen nicht mehr tragbar seien, meinte sie.

Über Kompetenzen und Aufgaben reden

Bei CETA sei es in keiner Weise gegen den Handel gegangen, erläuterte Werner Kogler die Haltung der Grünen, sondern darum, wer der Souverän ist und auf welcher Ebene entschieden wird. Es stelle sich nämlich die Frage, welche Entscheidungen man im globalen Kontext auf EU-Ebene fällt, und welche in den Mitgliedstaaten. So sei etwas das Vorgehen gegen Steuervermeidung und Steuerbetrug eine Sache der EU, wenn es aber etwa um Dienstleistungen und um Beschaffung gehe, dann müssten die Mitgliedsstaaten mit ihren Parlamenten die entsprechenden Kompetenzen haben. In diesen Fragen könne man nicht global agieren, sagte Kogler, der Sympathien für eine europäische Republik durchblicken ließ, die solche Regeln festlegt. In gleicher Weise konstatierte Michel Reimon, Europaabgeordneter der Grünen (G), dass man über zwei Dinge reden müsse: über den Entscheidungsmechanismus selbst und worüber entschieden werden muss.

Die EU hat Kompetenzen, die sie nicht braucht, und hat dort keine Kompetenzen, wo sie sie nicht braucht, fasste Rainer Hable (N) die Problematik der EU aus seiner Sicht zusammen und warnte, dass die EU zerbrechen wird, wenn man so weitermacht wie bisher. Einer Renationalisierung erteilte er als einen Weg der Angst eine klare Absage, er plädierte für mehr Mut und eine republikanische Verfassung. Eine solche biete die einzigartige Chance, die Zügel in die Hand zu nehmen, zeigte sich auch seine Klubkollegin Claudia Gamon überzeugt. Gemeinsam mit Europaabgeordneter Angelika Mlinar (N) appellierte sie an das Verantwortungsbewusstsein der PolitikerInnen, nicht immer vor dem Boulevard in die Knie zu gehen.

FPÖ und Team Stronach für Renationalisierung

Die Sympathie mit der Vision einer Europäische Republik konnten weder Freiheitliche, noch Team Stronach teilen. Mit so einem Modell ginge das Recht keineswegs vom Volk aus, konterte Johannes Hübner (F) dem Klubobmann der NEOS, vielmehr käme eine europäische Zentralregierung einer Entrechtung der Völker gleich. Die EU sei keine Erfolgsgeschichte, die Probleme hätten vor allem damals begonnen, als Europa zur Union wurde und man die Eurozone geschaffen habe. Den Vertrauensverlust in die EU ortete Axel Kassegger (F) bei intransparenten Vorgängen und dem Auseinanderklaffen von Worten und Taten. Vor allem beim Euro, bei der Europäischen Zentralbank und beim Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM fehle es an Kontrolle, die Akteure seien von jeglicher Verantwortung befreit, kritisierte Kassegger. Wie Hübner forderte er eine Renationalisierung der Kompetenzen.

Ins gleiche Horn stieß Waltraud Dietrich vom Team Stronach, die forderte, Europa neu zu verhandeln, vor allem was die Aufgaben und die Finanzierung betrifft. Sie sprach sich für starke Vaterländer und eine Einbindung der BürgerInnen aus. Eine europäische Republik hält sie für den falschen Weg. Dietrich drängte darauf, auf die BürgerInnen zu hören, die sich gegen das bestehende System wenden, wie der Brexit und die Wahlen in den USA zeigten.

Negativ zu den Vorschlägen der NEOS äußerten sich auch die fraktionslosen Abgeordneten Gerhard Schmid, Markus Franz und Susanne Winter. Ein europäischer Bundesstaat könne aufgrund der Unterschiedlichkeit der Mitgliedstaaten nicht funktionieren, meinte etwa Schmid. Man brauche ein Europa der Nationen und keine Republik, sagte Franz, denn nur starke Länder könnten starke Partner sein. Die Leute wollten Grenzen und weder einen Einheitsstaat noch einen Einheitsmenschen. Franz plädierte daher dafür, zurück zur EWG zu gehen. Susanne Winter sah in dem Vorschlag der NEOS eine Abschaffung der Nationalstaaten und damit eine Abschaffung Österreichs, seiner Grenzen und seiner Neutralität.

Kern: Freihandelsabkommen dürfen parlamentarische Kompetenzen nicht unterlaufen

Die Abgeordneten nützten die Debatte auch dazu, nochmals über CETA selbst zu diskutieren. Bundeskanzler Kern unterstrich, dass Österreich bisher vom freien Handel profitiert habe. CETA stelle aber einen neuen Typus dar, der über ein reines Handelsabkommen und einen Zollabbau hinausgehe. Der Vertrag sehe auch Regulierungen etwa in der Daseinsvorsorge vor, wobei die Parlamente umgangen werden könnten. Zur Diskussion stehe auch das Vorsorgeprinzip. Für Kern muss sich Europa in Zukunft die grundsätzlich Frage stellen, welche Art von Handelspolitik man gehen möchte und welche Prioritäten man setzen will. Er habe, nachdem die EU auf die Bedenken Österreichs eingegangen ist, die Gesamtinteressen vertreten, auch im Hinblick auf die für Österreich so wichtige Frage der Stahlimporte aus China.

In dieser Hinsicht wurde der Bundeskanzler vollinhaltlich von Josef Cap (S) und Europa-Abgeordneter Karoline Graswander-Hainz (S) unterstützt. Graswander-Hainz äußerte sich kritisch zum Investorenschutz und forderte mehr Mitspracherecht bereits bei der Erteilung eines Verhandlungsmandats sowie mehr Transparenz. Auch das reine Zustimmungsverfahren hält sie für falsch. Für Michel Reimon (G) bereitet vor allem der umfassende Wirtschaftsteil von CETA ein großes Problem, da damit über die Demokratie darübergefahren wird, wie er betonte. In den Augen von Leopold Steinbichler (T) liegt der zentrale Punkt vor allem im Konsumentenschutz. Seine Klubkollegin Waltraud Dietrich forderte allgemein, die Globalisierung neu zu überdenken.

Positiv zu CETA meldeten sich nur die Abgeordneten von ÖVP und NEOS zu Wort. So warf Angelika Winzig (V) den Gegnern vor, Ängste zu schüren und Unwahrheiten zu verbreiten. Auch für Hermann Schultes (V) ist das Ergebnis in Ordnung, die Standards seien gesichert. Othmar Karas (V) bezeichnete CETA als einen Stabilitätsanker in den transatlantischen Beziehungen und sieht darin einen Teil der Gestaltung der Globalisierung. Schultes kritisierte vor allem jene PolitikerInnen, die zuerst das Mandat erteilen und dann nicht zu ihren Entscheidungen stehen. Ebenso beklagte Angelika Mlinar von den NEOS mangelnde politische Führungskraft, was CETA gezeigt habe. Wenn man ein Mandat unterschreibt, müsse man sich auch der Konsequenzen bewusst sein, war sie einer Meinung mit Schultes. Freihandelsabkommen machen ihrer Meinung nach Sinn, aber auch in dieser Kernkompetenz sei die EU gescheiterte, stellte sie mit Bedauern fest. (Fortsetzung Nationalrat) jan