Parlamentskorrespondenz Nr. 1235 vom 16.11.2016

Hassreden sind kein Bagatelldelikt

Enquete des Bundesrats behandelt Opferschutz und rechtliches Vorgehen gegen online-Hetze

Wien (PK) - Wie Opfer von online-Hetze zu ihrem Recht kommen, das diskutierte heute eine Expertenrunde bei der Bundesratsenquete "Digitale Courage" in einem eigenen Themenblock. Ans Rednerpult traten Peter Gridling vom Bundesamt für Verfassungsschutz, Kinder- und Jugendanwältin Denise Schiffrer-Barac, Barbara Unterlerchner von der Opferhilfeorganisation Weißer Ring, Strafrechtsprofessorin Karin Bruckmüller und Maria Windhager, Rechtsanwältin für Medien- und Persönlichkeitsschutzrecht. Einig waren sie alle, das Verbreiten von Hassreden richte in der Gesellschaft erheblichen Schaden an und könne nicht mit Meinungsfreiheit legitimiert werden. Leichte Meinungsunterschiede gab es nur beim strafrechtlichen Reformbedarf.

Diskussionsgrundlage der Enquete bildet neben der Expertise der ReferentInnen das Grünbuch zu "Digitale Courage" mit Ideen für Vorkehrungen gegen Hate Speech und zur Förderung digitaler Zivilcourage.

Gridling: Hasspostings gefährden sozialen Frieden

"Angst und Hass sind Treiber für Kriminalität und Gewalt", unterstrich Verfassungsschützer Gridling, Hasspostings seien oft die Vorstufe dazu. Evoziert würden solche Entwicklungen nicht zuletzt durch die erhöhte Frequenz von Problemstellungen, der die nationale Politik nicht immer Herr werde, Stichwort Flüchtlingsbewegungen. Die zunehmende Diversität der Gesellschaft fördere zudem Konflikte zwischen Gruppen, was eine große Herausforderung für den sozialen Frieden sei. Das Internet identifizierte der Direktor des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismus als neuen allgemein nutzbaren und meist unmoderierten Interaktionsraum für Hassrede. Die Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden seien wie das Strafrecht hier eingeschränkt, dennoch würden online-Hasspostings konsequent auf Strafrechtsrelevanz überprüft, speziell in Formaten wie Facebook oder Twitter. "Der Tatort Internet gewinnt immer mehr Bedeutung", auch bei der Bevölkerung, das zeige die vermehrte Kontaktaufnahme mit der Meldestelle für Rechtsextremismus. "Wir als Sicherheitsbehörden können diesen Kampf nicht alleine gewinnen", appellierte Gridling an die Zivilgesellschaft, weiterhin ihren Beitrag zu leisten. Wichtig sei auch die Bewusstseinsbildung, dass Hasspostings strafbar sein können und jedenfalls nicht geteilt werden sollten.

Schiffrer-Barac: Aufklärungsarbeit muss bei Kindern ansetzen

"Kinderrechte sind Menschenrechte", betonte Kinder- und Jugendanwältin Schiffrer-Barac, aber "Rechte zu haben, heißt nicht immer, Recht zu haben". Viele Minderjährige wüssten nicht, dass ihr Recht auf freie Meinungsäußerung durch menschenrechtliche Normen eingeschränkt ist - das zeige sich häufig bei ihrer Nutzung Sozialer Medien. Aufklärungsarbeit an Schulen und in anderen Einrichtungen hält Schiffrer-Barac daher für essentiell, um das Unrechtsbewusstsein zu fördern, gerade auch in Altersgruppen, die noch kein eigenes Handy besitzen. Fortbildung sei aber auch bei der Elterngeneration angesagt, um in der Erziehung zu vermitteln, dass Regelübertritte in der digitalen Welt sehr wohl Konsequenzen haben und um dem eigenen Nachwuchs echte Vorbilder sein zu können. Den Gesetzgeber schließlich sieht sie am Zug, gewaltverherrlichende Postings und Videos auf sozialen Medien zu unterbinden bzw. ihre Löschung anordnen zu können.

Unterlerchner: Opfer brauchen umfassende Unterstützung

"Opfer von Hasspostings und Cybergewalt haben dieselben Bedürfnisse, wie Opfer von sonstigen Straftaten und psychischer Gewalt", hielt Unterlerchner, Juristin beim Weißen Ring, fest. Konkret seien dies Anerkennung für das erlittene Unrecht und Respekt, Wiedergutmachung, Schutz vor weiteren Übergriffen, Sicherheit im Umgang mit dem Netz und eine schonende Behandlung durch Strafverfolgungsbehörden und ihres sozialen Umfeldes. Vor allem bräuchten sie Information darüber, welche rechtlichen und praktischen Möglichkeiten ihnen nach der Tat zustehen. Unbefriedigend sei dabei, so Unterlerchner, dass der Großteil der Ansprüche, Betreuungsangebote und Opferrechte an die strafrechtliche Verfolgung der Täter und Täterinnen anknüpft, Hasspostings sich aber oft am Rande oder unterhalb strafrechtlicher Grenzen bewegen. Sie fordert daher einen Ausbau des Unterstützungsangebots durch erfahrene Opferhilfeeinrichtungen inklusive juristischer Betreuung abseits eines Strafverfahrens. Ebenso sind ihr mehr präventive Trainings zur Förderung couragierten Handelns im Netz ein Anliegen, und zwar "für Jugendliche und für Multiplikatoren und Multiplikatorinnen aus den Bereichen Polizei, Justiz, Bildung und Soziales".

Windhager: Aktuelle Rechtslage bietet nicht genug Rechtsschutz

Großen Handlungsbedarf für eine Strafrechtsreform gegen Hate Speech im Internet ortet Rechtsanwältin Windhager. Beispielsweise brauche es einen wirksamen Rechtsschutz im Zusammenhang mit Cybermobbing – gerade wenn internationale Unternehmen wie Facebook als Plattform die nationale Rechtslage negieren und problematische Inhalte nur sperren, nicht aber löschen wolle. "Hier darf die Politik nicht zusehen". Hinsichtlich Rechtsschutz führte sie Elemente des Persönlichkeitsschutzrechts als weitere Hürde ins Treffen. So könne die Staatsanwaltschaft persönlichkeitsrechtliche Tatbestände wie üble Nachrede und Beschimpfung nicht verfolgen, wodurch Betroffene ihr Recht auf eigenes Kostenrisiko durchsetzen müssten. "Bei Privatanklagedelikten gibt es ein Rechtsschutzdefizit", folgerte Windhager und schlug vor, hier mit Ermächtigungsdelikten Abhilfe zu schaffen. Ohne die Meinungsäußerungsfreiheit vulgo sachliche Kritik in Frage zu stellen, unterstrich Windhager, Hasspostings fielen nicht darunter. "Es geht nicht darum, substanzlos Personen herabzuwürdigen und ihnen Gewalt anzutun". Angesichts der Anonymität im World Wide Web müsse die Justiz in die Lage versetzt werden, Userdaten auszuforschen, um Rechtsansprüche durchsetzen zu können.

Bruckmüller: Bestehendes Strafrecht effektiver umsetzen

Das Internet sei kein strafrechtsfreier Raum, betonte Strafrechtsexpertin Bruckmüller. Sie sieht demnach derzeit keinen Bedarf an einem weiteren strafrechtlichen Tatbestand im Zusammenhang mit Hasspostings. "Nur weil ein Verhalten unter Strafe gestellt wird, führt dies nicht automatisch zu einem Rückgang derartiger Verhaltensweisen". Nötig sei jedoch, die bestehende Rechtslage effektiver umzusetzen und die Aufklärungsrate zu steigern, wobei das Strafrecht hier an seine Grenzen stoße. Eine Möglichkeit sei die Schaffung eines "besonderen Erschwerungsgrunds" bei der Strafzumessung für die Tatbegehung im Internet aufgrund der Anonymität und Dauerhaftigkeit der Einträge sowie deren weltweiter Verfügbarkeit. Grundsätzlich bilden aber in ihren Augen präventiv bewusstseinsbildende Maßnahmen gegenüber potentiellen TäterInnen und den plattformbetreibenden IT-Firmen, die NutzerInnen auf strafrechtliche Konsequenzen von Postings hinweisen sollten, eine besseres Mittel für den Opferschutz. (Fortsetzung Enquete) rei

HINWEIS: Fotos von dieser parlamentarischen Enquete finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos.


Format