Parlamentskorrespondenz Nr. 491 vom 28.04.2017

Budgetausschuss: Grundsätzliches Ja der ExpertInnen zu Schwerpunktsetzung in Richtung Beschäftigung und Forschung

Hearing über das aktuelle Stabilitätsprogramm der Bundesregierung

Wien (PK) – Mit der bereits für 2017 angepeilten Rückkehr zum strukturellen Nulldefizit sowie der Ankündigung, die Staatsschuldenquote von derzeit 80,8% bis 2028 auf 60% des BIP zu reduzieren, gibt das aktuelle Stabilitätsprogramm den Kurs der österreichischen Budgetpolitik für die nächsten Jahre an. Das von Finanzminister Hans Jörg Schelling vorgelegte Papier wurde heute in einem Expertenhearing des Budgetausschusses einer ersten kritischen Analyse unterzogen. Das Wort hatten dabei Stefan Ederer (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung), Barbara Kolm (Friedrich Hayek Institut), Markus Marterbauer (Arbeiterkammer Wien) und Reinhard Neck (Alpen-Adria-Universität Klagenfurt).

Aktueller Finanzrahmen wird erst im Herbst beraten

Gegenstand der Diskussion im Ausschuss war vor allem auch die Leistbarkeit des aktuellen Regierungsprogramms. Der eigentlich zeitgleich fällige Finanzrahmen 2018 bis 2021 wurde in den Herbst verschoben und wird erst gemeinsam mit dem Budget verhandelt. Dieser wäre deutlich umfangreicher und müsste die Finanzierung der politischen Ziele festlegen. Das Stabilitätsprogramm (III-385 d.B.) behandelt diese nur in groben Zügen. Das im Jänner beschlossene Reformprogramm für die nächsten 18 Monate wird demnach das Budget mit 4 Mrd. € belasten und soll über den Finanzrahmen gegenfinanziert werden. Geplant sind Einsparungen, Minderausgaben und Umschichtungen von 2,8 Mrd. € sowie Einnahmen aus Konjunktur- und Beschäftigungseffekten von 1,2 Mrd. €.

Ederer: Budgetpolitik könnte noch expansiver ausfallen

Stefan Ederer ortete eine Umkehr der Budgetpolitik weg von einer restriktiven und hin zu einer expansiven Ausrichtung. Möglich sei dies vor allem durch den Schub des privaten Konsums als Folge der Steuerreform sowie der zusätzlichen Ausgaben für Flüchtlinge. Insgesamt erfüllt der Kurs der Bundesregierung nach den Worten Ederers die Mindestanforderungen, wenngleich die Budgetpolitik insgesamt in den nächsten Jahren ein wenig expansiver ausfallen könnte. Der Aufschwung sollte jedenfalls nicht durch restriktive Maßnahmen wieder abgewürgt werden, warnte er.

Ederer plädierte mit Nachdruck für eine Steigerung der öffentlichen Investitionen, wobei er hier insbesondere die Bereiche Arbeitsmarkt, Klimawandel und Sozialinfrastruktur im Fokus hat. Ausdrücklich begrüßte er die von der Bundesregierung angekündigte Beschäftigungsaktion 20.000, während er dem Investitionsbonus und der Erhöhung der Forschungsprämie unter Hinweis auf damit verbundene hohe Mitnahmeeffekte eher skeptisch gegenübersteht. Einen Mindestlohn hält Ederer aus verteilungspolitischer Sicht für sinnvoll, zumal vor allem mit einer Einkommenssteigerung im unteren Segment zu rechnen sei. Die Beschäftigungseffekte dieser Maßnahmen sollten nach Einschätzung Ederers aber nicht überbewertet werden.

Kolm: Reformen werden immer weiter hinausgeschoben

Barbara Kolm bezeichnete das Programm der Regierung als ersten Schritt, bemängelte jedoch, dass die Finanzierung überwiegend durch hohe Steuereinahmen erfolge. Positiv beurteilte sie den Ansatz zur Reduktion der Lohnnebenkosten sowie die leichte Entschleunigung der Schuldendynamik. Für eine echte Trendumkehr bei den Staatsschulden müssten ihrer Meinung nach aber noch weitere Anstrengungen unternommen werden. Als große Herausforderungen für die Budgetpolitik sieht Kolm die Problembereiche Pensionen, Bildung, Förderungen, den Bankensektor, die Beschäftigung und die Integration der Flüchtlinge.

Reformen würden ständig weiter hinausgeschoben,  während man Einmaleffekte immer wieder berücksichtigt, obwohl diese jährlich eintreten, lautet der kritische Befund Kolms, die sich überdies skeptisch über die Aussichten auf das Erreichen der vom Stabilitätsprogramm angegebenen Wachstums-, Defizit- und Schuldenziele äußerte. Einsparungsmöglichkeiten bieten sich nach Meinung Kolms vor allem durch Effizienzsteigerungen in der Verwaltung und bei den Pensionen. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes zu verbessern, empfiehlt Kolm überdies Steuersenkungen.

Marterbauer: Weichenstellungen in Richtung Beschäftigung und Forschung sind richtig

Von einer Richtungsänderung in der Budgetpolitik sprach auch Markus Marterbauer. Der restriktive Kurs weiche nun einer Unterstützung von Nachfrage und Beschäftigung. Dies sei den wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen angemessen und habe bereits zu einem relativ breitem Konjunkturaufschwung beigetragen. Marterbauer zeigte sich optimistisch, dass Österreichs Wirtschaft und Beschäftigung stärker als derzeit prognostiziert wachsen werden, und sah aufgrund der starken wirtschaftlichen Basis auch keinerlei Anlass für ein Krankjammern des Wirtschaftsstandortes. Eine Arbeitszeitverkürzung finde in verschiedenen Bereichen bereits statt. Sie habe vielleicht nur wenig Auswirkungen in Form neuer Arbeitsplätze, sinnvoll eingesetzt trage sie aber zur Steigerung der Lebensqualität bei.

Die Weichenstellungen in der Beschäftigungspolitik und in der Forschungspolitik gehen in die richtige Richtung, entscheidend sei es aber nun, die Arbeitslosen tatsächlich in Jobs zu bringen. Marterbauer, der die Beschäftigungsaktion 20.000 ebenfalls begrüßte, trat in diesem Zusammenhang mit Nachdruck für eine stärkere Konzentration auf Qualifikation und Vermittlung ein. Zusätzliche Anstrengungen sind seiner Meinung nach noch bei der Erhöhung der Frauenbeschäftigungsquote und zur Senkung der Arbeitslosigkeit sowie im Bildungsbereich, bei der Energieeffizienz und im Zusammenhang mit der Armutsbekämpfung notwendig. Gut beraten wäre die Regierung auch, den weiteren Ausbau der Fachhochschulen zu intensivieren. Skeptisch beurteilte Marterbauer hingegen zusätzliche Zugangsbeschränkungen zu den Universitäten. Was die Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung betrifft, warnte er vor allem vor dem Aufkeimen des Protektionismus und vor negativen Entwicklungen auf dem Bankensektor. Was die ausgabenseitige Gegenfinanzierung der geplanten Regierungsmaßnahmen betreffe, so sagte Marterbauer, die gewünschten Effekte seien nicht durch kurzfristig wirkende Kürzungen von Ausgaben zu erreichen, sondern dadurch, dass staatliche Mittel effizienter eingesetzt werden und so längerfristig die Volkswirtschaft stärken. Dafür brauche man eine Spending Review. Einsparungspotenziale gebe es zweifellos im Bereich von föderalen Doppelgleisigkeiten.

Neck skeptisch zu Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung

Das Programm gehe in die richtige Richtung, aber zu wenig weit, befand Reinhard Neck, der vor allem die Schwerpunktsetzungen in Richtung Bildung und Forschung, die Senkung der Lohnnebenkosten sowie den Bürokratieabbau und die Verwaltungsreform begrüßte. Zu langsam geht seiner Meinung nach hingegen die Anpassung des Budgetdefizits und des Schuldenstands. Wünschenswert wäre es, schon 2018 zumindest ein ausgeglichenes Budget zu erzielen. Außer Zweifel steht für Neck, dass die demografische Entwicklung und die Migration enorme Probleme mit sich bringen werden. Eine qualitativ sinnvolle Einwanderungspolitik sollte deshalb den Fokus auf MigrantInnen legen, die der Arbeitsmarkt auch tatsächlich aufnehmen kann. Die den Berechnungen des Finanzministeriums zugrundeliegenden Wirtschaftsdaten hielt Neck für realistisch. Die österreichische Konjunktur sei aber zu hundert Prozent von der internationalen Konjunkturentwicklung abhängig, die naturgemäß auch mit Risiken behaftet sei. Um längerfristig auf Wachstumspfad zu bleiben, müsse man in Bildung und Forschung investieren.

Klar ist sich Neck über die Dringlichkeit, insgesamt die Qualifikation anzuheben. Um aber auch schlechter Qualifizierte in Beschäftigung zu bringen, wäre es seiner Meinung nach notwendig, das Niedriglohnsegment zu subventionieren. Hier sei ein Kombilohnmodell besser als der Mindestlohn. Mit Nachdruck warnte Neck überdies davor, für Minderqualifizierte und Schwervermittelbare einen zweiten Arbeitsmarkt zu schaffen. Wenig hält er auch von einer Arbeitszeitverkürzung, wobei er auf negative Erfahrungen aus Frankreich verwies. Beim Pensionssystem sei mittelfristig eine zweite Säule neben der staatlichen Pension erforderlich. Einen Teil der Verantwortung für die Alterssicherung werde man jedenfalls dem Individuum zurechnen müssen. Darüber hinaus glaubt Neck, dass an einer Erhöhung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters kein Weg vorbeiführen werde.

Beim Finanzausgleich wiederum brauche es weitere Schritte. Neck plädierte für eine Abgabenautonomie, bei der jede Gebietskörperschaft für ihre eigene Einnahmenpolitik zuständig sein sollte. Eine derartige dezentrale Steuerstruktur hätte schuldendämpfende Wirkung, meinte Neck und sprach in diesem Zusammenhang von einer "Produktivitätspeitsche" für den öffentlichen Sektor.

Schelling: Herausrechnen der Flüchtlingskosten auch 2018 möglich

Finanzminister Hans Jörg Schelling geht davon aus, dass es auch 2018 möglich sein werde, die Flüchtlingskosten aus dem Maastricht-Budget herauszurechnen. Bei der Bekämpfung der kalten Progression wiederum verwies er auf die laufenden Verhandlungen zwischen den Koalitionsparteien und berichtete, es spieße sich vor allem in der Frage, wie weit der Automatismus der Verteilung gehen solle. Seiner Ansicht nach solle ein möglichst großer Teil der Automatik unterliegen.

Was den Finanzausgleich betrifft, gilt es nach Meinung des Ressortchefs, ein Benchmark-System der Länder zu entwickeln, das die Vergleichbarkeit der Daten ermöglicht. Zur Abgabenautonomie bemerkte Schelling, die Bereitschaft der Länder, eine Autonomie einzuführen, sei nicht sehr groß. Das Stabilitätsprogramm berücksichtige insgesamt nur bisher schon beschlossene Maßnahmen. Da die Regierung bis Sommer noch einige Maßnahmen beschließen wolle, halte er es für sinnvoll, den Finanzrahmen erst im Herbst vorzulegen. In dessen Planung werde man die Auswirkungen aller beschlossenen Maßnahmen laufend einbeziehen. Was die Einsparungspotenziale der Verwaltung betreffe, so führe er mit allen Ressorts Gespräche, sagte Schelling, betonte dabei aber auch, dass Einsparungen aus diesem Bereich erst längerfristig wirksam werden können. Zur ausgabenseitigen Finanzierung rechnet Schelling auch mit sinkenden Zinszahlungen bei sinkender Schuldenquote.

Was die Auswirkungen der Zuwanderung – sowohl von Flüchtlingen wie auch der Arbeitsmigration – auf den Arbeitsmarkt betrifft, so habe der Fiskalrat eine optimistischere Einschätzung als zuletzt das AMS gebracht habe. Generell bestehe die Herausforderung aber darin, qualifizierte Zuwanderung zu fördern, und in der Qualifizierung der MigrantInnen für den Arbeitsmarkt. Die derzeitigen im Rahmen des AMS angebotenen Maßnahmen der Qualifizierung von Flüchtlingen, die teilweise eine sehr schwierige Ausgangslage haben, seien jedenfalls noch nicht ausreichend, um diese entsprechend auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Dazu brauche man einen Mix an weiteren Maßnahmen. Generell geht Schelling davon aus, dass die Kosten der Zuwanderung sich von der Flüchtlingsbetreuung in den Bereich Integrationsmaßnahmen verschieben werden, wobei er erwartet, dass sich die Gesamtkosten wieder dem Niveau vor 2015 annähern. Schelling betonte, er sei nicht der Auffassung, dass der technische Fortschritt die Zahl der Arbeitsplätze wesentlich senken wird. Beschäftigungsformen werden sich aber zweifellos ändern, weshalb sich die Qualifikationsfrage ganz grundsätzlich stelle, sagte er. Das bedeute auch, dass neue Formen der Erwachsenenqualifikation zu entwickeln seien.

Budgetdienst: beschränkte Aussagekraft des Stabilitätsprogramms zu künftiger Budgetentwicklung

Helmut Berger wies seitens des Budgetdienstes des Parlaments darauf hin, dass das Stabilitätsprogramm nur wenige Daten liefert, um im Nationalrat eine vertiefte Strategiedebatte über die Schwerpunktsetzungen des Budgets zu führen. Der Bericht zum Stabilitätsprogramm liefere Daten nur auf einer sehr hohen Aggregatsebene und beziehe sich auf die Einhaltung der gesamteuropäischen Regeln. Wenn man an der bisherigen Vorgangsweise festhalten und die Strategiedebatte im Frühling durchführen wolle, wäre auch künftig eine parallele Vorlage des Finanzrahmens mit einer Darstellung der geplanten Budgetmaßnahmen notwendig. Diese Einschätzung teilte auch Markus Marterbauer. (Schluss Budgetausschuss) hof/sox

HINWEIS: Der Budgetdienst des Parlaments bietet ökonomische Analysen zur Budgetpolitik und zu Vorlagen des Bundesministeriums für Finanzen auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/fachinfos/budgetdienst. Alle aktuellen Daten zum Budgetvollzug (Monatsberichte) finden Sie auf der Website des Finanzministeriums www.bmf.gv.at.