Parlamentskorrespondenz Nr. 1391 vom 10.12.2020

Nationalrat beschließt umfangreiches Gesetzespaket gegen "Hass im Netz"

Neue Auflagen für Kommunikationsplattformen, Opferschutz wird deutlich verbessert

Wien (PK) – Der Nationalrat hat zum Auftakt der letzten Plenarwoche vor Jahresende ein umfassendes Gesetzespaket gegen "Hass im Netz" beschlossen. Mit verschiedenen Maßnahmen wollen Regierung und Abgeordnete unter anderem wüsten Beschimpfungen, Verleumdungen, Hetze, Drohungen und anderen rechtswidrigen Inhalten auf großen Kommunikationsplattformen wie Facebook Einhalt gebieten. Dazu gehören unter anderem ein wirksames Beschwerdeverfahren für betroffene NutzerInnen, die Pflicht von Plattformbetreibern zur umgehenden Löschung rechtswidriger Inhalte, die Beschleunigung einschlägiger Unterlassungsklagen und Maßnahmen zur Erleichterung der Ausforschung von HassposterInnen. Begleitend dazu wird der Straftatbestand der Verhetzung verschärft und ein neuer Straftatbestand "Upskirting", also ein Verbot des unbefugten Fotografierens des Intimbereichs, eingeführt. Darüber hinaus kommt es auch im Bereich der klassischen Medien zu einer Stärkung des Persönlichkeitsschutzes. Nicht alle neuen Maßnahmen stoßen allerdings bei der Opposition auf Zustimmung, sie befürchtet "Overblocking" und sorgt sich zum Teil um die Meinungsfreiheit.

Angenommen wurden sowohl das Kommunikationsplattformen-Gesetz als auch das Hass-im Netz-Bekämpfungs-Gesetz unter Berücksichtigung geringfügiger Abänderungen. Sie betreffen etwa den Ersatz von Verteidigungskosten des Angeklagten im Falle des Scheiterns einer Privatklage. Zudem ist die KommAustria angehalten, im Zuge der Erstellung des Kommunikationsberichts für das Jahr 2022 die Wirksamkeit der neuen Auflagen für Facebook & Co zu evaluieren.

Kritik an Auflagen für Plattformen, Lob für Justizteil des Pakets

Gerade diese neuen Auflagen für große Kommunikationsplattformen stoßen auf breite Skepsis bei den Oppositionsparteien. Künftig würden Konzerne bestimmen, was gelöscht wird und was nicht, kritisierte etwa SPÖ-Abgeordnete Katharina Kucharowits und sprach in diesem Zusammenhang von einer "Privatisierung des Rechts". Das sieht auch Nikolaus Scherak (NEOS) kritisch.

Scheraks Fraktionskollege Douglas Hoyos-Trauttmansdorff hegt außerdem die Befürchtung, dass die gesetzlich verankerten Strafdrohungen bis zu einer Höhe von 10 Mio. € vor allem aufstrebenden und innovativen europäischen Plattformen schaden werden und weniger den Internet-Giganten. Das Gesetz sei innovationshemmend und nicht zielgerichtet, zumal das Löschen gemäß aktueller Studien ohnehin gut funktioniere, so Hoyos-Trauttmansdorff. Sinnvoll wäre es nach Meinung der NEOS außerdem, eine europaweite Lösung abzuwarten.

Besonders massive Kritik am Gesetzespaket kam von der FPÖ, die nicht nur die Auflagen für große Plattformbetreiber als weit über das Ziel hinausschießend bewertete, sondern als einzige Partei auch den justiziellen Teil des Paket in Dritter Lesung ablehnte. Es sei der FPÖ ein großes Anliegen, Menschen vor Beleidigungen und Bedrohungen im Netz zu schützen, sagte Harald Stefan, man dürfe die Meinungsfreiheit aber nicht aushöhlen. Hass und Desinformation seien völlig unbestimmte Begriffe, die "im Strafrecht nichts zu suchen haben", sind er und Susanne Fürst sich einig. Auch regierungskritische Informationen würden oft als "Fake News" bezeichnet, machte Fürst geltend. Zudem könnte auch Satire den neuen Bestimmungen zum Opfer fallen oder diese herangezogen werden, um jegliche Kritik am Islam zu unterbinden. Mit orchestrierten Beschwerden über eine Person werde man künftig überdies gezielt Menschen, etwa Tierschützer, aus dem Internet vertreiben können, warnte Stefan und sprach in diesem Zusammenhang von einem Auslagern von "Zensur" an Private.

Positiv bewertete Stefan das künftige Verbot unbefugter Bildaufnahmen des Intimbereichs, die Ausweitung des Straftatbestands Cyber-Mobbing, die Gebührenbefreiung bei Privatanklagen und die Prozessbegleitung für Opfer.

SPÖ urgiert höheren Strafrahmen für unbefugtes Aufnehmen intimer Fotos

Breites Lob für den justiziellen Teil des Gesetzespakets äußerten SPÖ-Abgeordnete Selma Yildirim und ihre Fraktionskollegin Kucharowits, wobei sie insbesondere die Bedeutung des Opferschutzes hervorhoben. Bisher seien Betroffene Hasspostings und der Verbreitung von Unwahrheiten im Netz relativ machtlos gegenübergestanden, das werde sich nun ändern, sagte Yildirim.

Ein Wermutstropfen ist für Yildirim allerdings, dass die Strafdrohung für unbefugte Foto- und Video-Aufnahmen des Intimbereichs im Zuge des Begutachtungsverfahrens von einem Jahr auf sechs Monate gesenkt wurde. Heimlich intime Fotos von Frauen und Mädchen zu machen und sie dann womöglich noch im Netz zu veröffentlichen, sei eine schwere Straftat und kein Kavaliersdelikt, meinte sie. Ein von der SPÖ dazu eingebrachter Abänderungsantrag fand bei der Abstimmung allerdings ebenso wenig eine Mehrheit im Plenum wie ein Entschließungsantrag zum besonderen Schutz von Kindern und Minderjährigen vor Hass im Netz. Um die Wirksamkeit des Gesetzespakets zu erhöhen, hatte Yildirim in diesem Zusammenhang unter anderem dafür plädiert, Kindern und Jugendlichen durch besondere Gebührenbefreiungen, eine verpflichtende Prozessbegleitung für Minderjährige, niederschwellige Informationen und kindgerecht gestaltete Beschwerdeverfahren den Zugang zum Recht zu erleichtern.

Auch die NEOS begrüßten den justiziellen Teil des Pakets weitgehend, zumal zahlreiche Anregungen aus dem Begutachtungsverfahren aufgenommen worden seien, wie Johannes Margreiter anmerkte. Nach Meinung von Margreiter ist es aber notwendig, genau zu beobachten, wie die neuen Bestimmungen in der Praxis funktionieren werden. Für überschießend hält Nikolaus Scherak die Verschärfung des Straftatbestandes der Verhetzung. Man solle Menschen aufgrund von beleidigenden Äußerungen nicht "für zwei Jahre einsperren", mahnte er.

Opfer von Hasspostings sollen rascher zu ihrem Recht kommen

Seitens der Regierungsparteien äußerten sich unter anderem Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer und ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker über das vorliegende Paket erfreut. Derzeit hätten die meisten Betroffenen aufgrund verschiedener Hürden kaum Möglichkeiten, sich gegen Hass im Netz zu wehren, betonte Maurer. Klagen seien nur mit sehr langer Prozessdauer und erheblichem Kostenrisiko möglich. Das werde mit dem vorliegenden Paket geändert. So sei durch das vorgesehene gerichtliche Eilverfahren sichergestellt, dass Betroffene innerhalb weniger Tage einen Unterlassungsbescheid in Händen halten, wobei die Gerichtsgebühr von 108 € der Hassposter bezahlen müsse, wenn der Eingabe stattgegeben werde. Damit könne man ohne großes Kostenrisiko Privatklage führen, sagte Steinacker. Opfern würde schnell und unbürokratisch geholfen. Maurer wertete es zudem als positiv, dass sich große Kommunikationsplattformen in Hinkunft nicht mehr ihrer Verantwortung entziehen könnten.

Für Agnes Sirkka Prammer (Grüne) ist es darüber hinaus ein wichtiger Aspekt, dass man sich künftig "nicht mehr durch alle Instanzen zu klagen braucht", bevor ein Posting gelöscht wird. Vielmehr müssten diese gleich zu Beginn des Verfahrens "verschwinden". Sie glaubt zudem, dass die neuen Bestimmungen abschreckend auf potenzielle Täter wirken werden. Zu den neuen Auflagen für Kommunikationsplattformen erklärte Peter Weidinger (ÖVP), es sei wichtig, dass der Staat die Spielregeln vorgibt und nicht die großen Konzerne. Ein Overblocking befürchtet er nicht.

Edtstadler: Österreich ist "Tempomacher" in der EU

Justizministerin Alma Zadić wies darauf hin, dass die Zahl der Meldungen bei der Antirassismus-Beratungsstelle ZARA zuletzt deutlich gestiegen sei. Derzeit sei der Weg zum Gericht aber ein langer und teurer, gab sie zu bedenken. Durch das vorliegende Paket werde man sich nun r asch, kostengünstig und wirksam zu Wehr setzen können. Zudem hob sie hervor, dass die Prozessbegleitung für Opfer ausgeweitet wird und künftig auch bei "typischen Hass-im-Netz-Delikten" möglich ist.

Als Meilenstein sieht Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler das Kommunikationsplattformen-Gesetz. Österreich sei hier "Tempomacher" in der EU und habe außerdem von Erfahrungen in Deutschland und in Frankreich gelernt. Eine europäische Lösung sei notwendig, räumte sie ein, es werde aber noch eine Weile dauern, bis eine solche vorliegen werde.

Den "Zensurvorwurf" der FPÖ wertete die Ministerin als irritierend. Schließlich gehe es darum, strafrechtswidrige Inhalte zu löschen, wobei die Straftatbestände, die eine Löschpflicht auslösen, im Gesetz dezidiert aufgelistet seien. In Richtung SPÖ merkte Edtstadler an, Plattformen hätten schon jetzt die Hoheit darüber, was sie löschen und was nicht, künftig seien sie aber an bestimmte gesetzliche Vorgaben gebunden. Zudem sei es derzeit oft schwierig, einen Ansprechpartner für Beschwerden zu finden.

In Kraft treten soll der Großteil des Gesetzespakets mit 1. Jänner 2021, wobei betroffene Kommunikationsplattformen bis Ende März – also drei Monate – Zeit haben werden, die neuen Verpflichtungen umzusetzen. Die Verschärfungen im Bereich des Strafrechts sind nur auf Inhalte anzuwenden, die nach der Veröffentlichung des Gesetzes verbreitet werden. (Fortsetzung Nationalrat) gs