Parlamentskorrespondenz Nr. 810 vom 29.06.2021

Hauptausschuss diskutiert Schlussbericht der Schiedsinstanz für Naturalrestitution

Insgesamt wurden seit 2001 48 Mio. € zur Naturalrestitution empfohlen

Wien (PK) – Der Hauptausschuss des Nationalrats hat heute den Schlussbericht der Schiedsinstanz für Naturalrestitution (83/HA) einstimmig zur Kenntnis genommen. 2001 schlossen die österreichische Bundesregierung und die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika das Washingtoner Abkommen zur Regelung von Fragen der Entschädigung und Restitution für Opfer des Nationalsozialismus ab. Dieses hatte unter anderem zum Ziel, "gaps and deficiencies" früherer Rückstellungs- und Entschädigungsgesetzgebung zu beseitigen.

Die Etablierung der Schiedsinstanz als zwischenstaatliches Entscheidungsgremium war eine aus diesem Abkommen hervorgehende Verpflichtung der Republik Österreich. Aufgabe dieses Gremiums war es, Anträge auf Naturalrestitution öffentlichen Vermögens an Opfer von NS-Vermögensentziehungen zu prüfen und dem Kuratorium des Allgemeinen Entschädigungsfonds darüber zu berichten. Mit der Kenntnisnahme des Schlussberichts durch den Hauptausschuss gilt die Schiedsinstanz wie im Entschädigungsfondsgesetz vorgesehen als aufgelöst.

Insgesamt mündete die Tätigkeit in 1.582 Entscheidungen über 2.307 Anträge, im Rahmen derer Vermögen im Wert von rund 48 Mio. € zur Naturalrestitution empfohlen wurde, wie der Vorsitzende der Schiedsinstanz Josef Aicher im Hauptausschuss ausführte. Eine Besonderheit stellte laut Aicher folgende im Washingtoner Abkommen vorgesehene Ausnahmeregelung dar: Forderungen konnten auch dann geprüft werden, wenn diese in der Vergangenheit bereits entschieden oder einvernehmlich geregelt worden waren, und zwar, wenn eine sogenannte extreme Ungerechtigkeit vorlag – ein Rechtsbegriff, der in den entsprechenden Normen nicht definiert sei und dessen Auslegung daher gewisse Herausforderungen mit sich gebracht habe. Aicher schätzte, dass bei etwa 80% der Entscheidungen dieser Umstand eine Rolle gespielt hat.

Die Schiedsinstanz sah ihre Aufgabe laut dem Schlussbericht nicht nur darin, eine Annahme oder Ablehnung der Anträge zu empfehlen, vielmehr versuchten die mit der Recherche befassten HistorikerInnen und JuristInnen, für die AntragstellerInnen ein Bild der Lebenssituation ihrer Vorfahren nachzuzeichnen, die von den Nazis entrechtet, ermordet und ihres Vermögens beraubt wurden. Es sei des Weiteren in der Praxis die im Entschädigungsfondsgesetz festgelegte Beweislastverteilung zugunsten der AntragstellerInnen abgemildert worden, da sonst kaum positive Empfehlungen zustande gekommen wären, wie der Bericht darüber hinaus informiert. Aicher bedankte sich unter anderem bei den Gebietskörperschaften, die bei der Rückgabe von Liegenschaften jeder Empfehlung der Schiedsinstanz "bedingungslos" entsprochen habe. Die Basis dafür hätten die HistorikerInnen und JuristInnen mit ihrer "unermüdlichen und monatelangen Recherchearbeit" geleistet.

Die Abgeordneten aller Fraktionen hoben die Wichtigkeit der Schiedsinstanz hervor und sprachen ihre Wertschätzung für die geleistete Arbeit aus. Die "Shoah" sei das größte Verbrechen und der größte Raub in der Geschichte, unterstrich Martin Engelberg (ÖVP). Der Umgang mit der Restitution in Österreich sei bis in das Jahr 2000 auf "vollkommenes Unverständnis" im Ausland gestoßen. Es sei der "historische Verdienst" vom damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gewesen, dies "spät aber doch" zu ändern. Auch Harald Troch (SPÖ) betonte die Wichtigkeit des Washingtoner Abkommens, das die Basis für einen fairen und zeitgemäßen Umgang mit den Opfern des Nationalsozialismus gebildet habe. Der SPÖ-Abgeordnete erinnerte daran, dass Hass, Rassismus und Entmenschlichung die Basis für die Verbrechen des Nationalsozialismus gebildet hätten. "Niemals Vergessen" müsse deshalb immer ein Teil der Identität Österreichs sein.

Die Arbeit der Schiedsinstanz sei vorbildlich abgelaufen, wobei nicht politische oder moralische Wertungen, sondern "das Recht" im Vordergrund gestanden sei, so Harald Stefan (FPÖ). Auch Stefan erinnerte daran, dass die Schiedsinstanz unter der schwarz-blauen Regierung im Jahr 2001 eingesetzt wurde. Für Eva Blimlinger (Grüne) ist die Kenntnisnahme des Schlussberichts ein besonderer Anlass, da sie von Anfang an die Arbeit der Schiedsinstanz mitverfolgt habe. In Österreich habe die wichtige Debatte rund um die Restitution mit der Beschlagnahme von Schiele-Werken in den USA in den 1990er-Jahren begonnen. Durch die Arbeit der Schiedsinstanz hätten viele ÖsterreicherInnen die Möglichkeit gehabt, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, betonte Helmut Brandstätter (NEOS). Es handle sich jedoch um keine Wiedergutmachung, sondern es sei lediglich ein Teil des Schadens ersetzt worden. Es gelte weiterhin, gegen Unrecht und Hass aufzutreten, so Brandstätter. (Schluss) med