Parlamentskorrespondenz Nr. 1215 vom 02.11.2022

Nationalrat: Fristsetzung für FPÖ-Neuwahlantrag abgelehnt

Opposition sieht Regierung "moralisch gescheitert"

Wien (PK) – Nach der Diskussion eines Dringlichen Antrags der SPÖ zum Thema Korruptionsbekämpfung, hielt der Nationalrat in seiner heutigen Sondersitzung eine Kurzdebatte auf Verlangen der FPÖ ab. Gegenstand war eine Fristsetzung der Freiheitlichen für die Behandlung eines von ihnen gestellten Neuwahlantrages im Verfassungsausschuss. Dieser erhielt keine Mehrheit im Plenum.

Zudem brachte die SPÖ mehrere Fristsetzungsanträge für die Behandlung von Anti-Korruptionsmaßnahmen im Verfassungsausschuss beziehungsweise im Justizausschuss ein, die ebenso in der Minderheit blieben. Die Forderungen der Sozialdemokrat:innen, die der Verfassungsausschuss aus ihrer Sicht bis 12. Dezember beraten hätte sollen, umfassen etwa ein Gesetz zur Verpflichtung der Bundesregierung zu Transparenz, eine Forderung zur Einschaltung des Verfassungsgerichtshofs bei unzureichenden parlamentarischen Anfragebeantwortungen, den wiederholten Vorstoß für ein Informationsfreiheitsgesetz, die Forderung zur Archivierung digitaler Kommunikation von Staatsorganen im Staatsarchiv, Liveübertragungen aus Untersuchungsausschüssenund Transparenz bei Postenbesetzungen im öffentlichen Bereich. Ein Fristsetzungsantrag der NEOS zielte auf die Behandlung ihres Antrages auf ein Informationsfreiheitsgesetzes im Verfassungsausschuss ab und wurde ebenfalls abgelehnt.

Die SPÖ-Fristsetzungsanträge für den Justizausschuss bezogen sich auf die Einführung eines unabhängigen Bundesstaatsanwaltes und auf eine Stärkung der Korruptionsbekämpfung durch eine personelle Aufstockung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Jene der NEOS behandelten die Schließung einer "Gesetzeslücke" in den Korruptionstatbeständen des Strafgesetzbuches sowie die Einrichtung einer weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft. Diese erhielten keine Mehrheit im Plenum, ebenso wie ein weiterer Fristsetzungsantrag der FPÖ, der sich auf die Forderung nach einem Straferschwerungsgrund für kriminelle Migrant:innen bezieht.

Freiheitliche: ÖVP ist sachpolitisch und moralisch gescheitert

Nicht nur sachpolitisch sei die Bundesregierung gescheitert, wie Michael Schnedlitz (FPÖ) im Plenum ausführte und auf die aus seiner Sicht unzureichenden Maßnahmen gegen die multiplen Krisenerscheinungen verwies. Sondern auch moralisch habe die türkis-grüne Koalition jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Vom Status der ÖVP als staatstragende Regierungspartei sei nur mehr der "Beschuldigtenstatus" übrig geblieben. Dies spiegle sich auch in der nun halbierten Wählergunst wider, wie sich Schnedlitz und Hannes Amesbauer (FPÖ) einig zeigten. Insofern äußerten beide Verständnis für die Ablehnung von Neuwahlen durch die ÖVP. Schnedlitz missbilligte jedoch, dass die Volkspartei seiner Meinung nach Parteiinteresse über jene der Republik stellte. Es würde nicht ausreichen, "wie ein Hütchenspieler wieder nur Köpfe auszutauschen". Nur Neuwahlen böten einen "echten Neustart".

Auch die Ergebnisse der letzten Nationalratswahlen, aus denen die ÖVP nun ihre demokratische Legitimation ziehe, seien mit unlauteren Mitteln zustande gekommen, erklärte Amesbauer in Hinblick auf aus seiner Sicht manipulierte Umfragen. Zudem vergesse Bundeskanzler Karl Nehammer, dass er zu dieser Zeit als Generalsekretär der ÖVP fungiert habe und sich selbst nie einer Wahl gestellt habe. Die Menschen hätten gerade in schwierigen Zeiten ein Recht auf "saubere Politik" und dieser könne nur mittels Neuwahlen zum Durchbruch verholfen werden, so Amesbauer.

Koalition will an "Generalsanierung des Vertrauens" arbeiten

Die Volkspartei sei nicht "durch einen Putsch" in die Regierung gekommen, sondern habe sich das Vertrauen der Wähler:innen für fünf Jahre verdient, erwiderte ÖVP-Mandatar Reinhold Lopatka. Die FPÖ liefere nicht ein einziges belastbares Argument, das für Neuwahlen in der jetzigen Situation spreche. Österreichs Regierung gehöre zu den stabilsten Europas und die Bevölkerung würde sich auch von der Opposition erwarten, die Regierung arbeiten zu lassen. Stattdessen würde sie entgegen rechtsstaatlicher Prinzipien Anklage und Urteil zugleich führen. FPÖ-Chef Herbert Kickl gerierte sich laut Lopatka als "Großinquisitor", während er mit Querelen in der eigenen Partei, insbesondere in Graz, zu kämpfen habe. Die SPÖ wiederum sei "auf einem Auge blind" bei allen Vorgängen, die die Stadt Wien betreffen würden. Gleichwohl gelte es, bestehende Gesetzeslücken bezüglich der Korruptionsbekämpfung zu schließen.

166 bisher beschlossene Gesetze seien ein eindeutiger Ausweis für die "Produktivität und Lösungsfähigkeit" der Koalition, erklärte Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer, gestand jedoch zu, dass das Bild der vergangenen Wochen ein "schauderliches" sei. Die Grünen stünden für Aufklärung und Justizministerin Alma Zadić bürge für unabhängige Ermittlungen. Ganz im Sinne der Worte von Bundespräsident Alexander Van der Bellen arbeite man auch mittels Hilfsmaßnahmen für die Bevölkerung an der "Generalsanierung des Vertrauens" in die Politik, so Maurer.

SPÖ und NEOS sehen ÖVP "moralisch am Boden"

Dass jede Stimme gleich viel zähle, sollte laut SPÖ-Mandatarin Julia Elisabeth Herr in einer Demokratie eine Selbstverständlichkeit darstellen. Die ÖVP habe dieses Prinzip jedoch untergraben, wie nun immer deutlicher, etwa durch die im Raum stehenden Interventionen in der Verwaltung, zum Vorschein komme. Während jede Sozialleistung "beinhart erkämpft" werden müsse, gestatte die ÖVP ihren wohlhabenden Unterstützer:innen "Sonderbehandlungen" und mache ihnen Steuergeschenke in Millionenhöhe. Herr führte aus, was aus ihrer Perspektive mit den kolportierten Summen hätte sozialpolitisch geleistet werden können. Die ÖVP stehe damit nicht nur für eine "korrupte" Politik, sondern auch für eine "sozial verwerfliche". Beides gehe Hand in Hand und verlange nach Neuwahlen.

Gerald Loacker (NEOS) entgegnete Sigrid Maurer, dass die Anzahl der erlassenen Gesetze keine Messgröße für die Qualität der Regierungsarbeit sei. Er verstehe jedoch die Ablehnung von Neuwahlen auch durch die Grünen, da die ÖVP "moralisch am Boden liegend" einen bequemen Koalitionspartner darstelle. Insofern ist gemäß Loacker noch mit einer längeren Regierungszeit der Koalition zu rechnen. Die zahlreichen Umstrukturierungen der letzten Jahre in der Minster:innenriege würden jedoch das Gegenteil einer stabilen Regierung demonstrieren. Die Entschuldigung von Bundeskanzler Nehammer am Beginn der Sondersitzung sei eine "schwache Distanzierung" von der Ära Kurz, mit deren Protagonist:innen er weiterhin "eng verbrüdert sei". (Schluss Nationalrat) wit/mbu

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.