Parlamentskorrespondenz Nr. 1493 vom 21.12.2022

Reform des Maßnahmenvollzugs passiert Bundesrat mit Mehrheit

Weitere Beschlüsse: Dienstrechtsnovelle, Verlängerung von COVID-19-Regelungen, Erklärung über Zusammenarbeit mit Bolivien und Jamaika

Wien (PK) – Mit Änderungen im Strafgesetzbuch (StGB), der Strafprozessordnung (StPO) und im Jugendgerichtsgesetz (JGG) soll eine Modernisierung des Maßnahmenvollzugs unter menschenrechtlichen Aspekten erreicht werden, die gleichzeitig "ressourcenbewusst" ist. Der Bundesrat bestätigte in seiner heutigen Sitzung die Reform, die unter dem Titel "Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022" läuft, mit den Stimmen von ÖVP und Grünen.

Drei Gesetzesbeschlüsse, die den Bundesrat heute ebenfalls mit Mehrheit passierten, betrafen COVID-19-Regelungen im Justizbereich, im Fremdenrecht und im Verwaltungs- und Vergaberecht. Auch eine Erklärung Österreichs zum Abschluss eines Abkommens zur Zusammenarbeit mit Bolivien und Jamaika in Fällen internationaler Kindesentführungen sowie die 2. Dienstrechtsnovelle 2022 wurden von der Länderkammer gebilligt.

Auf Basis eines All-Parteien-Entschließungsantrags verurteilten die Bundesrät:innen die jüngsten Todesurteile im Iran. Die Bundesregierung wird einhellig ersucht, gegenüber dem Iran weiterhin für einen gewaltfreien Umgang mit den Demonstrantinnen und Demonstranten einzutreten, sowie sich dafür einzusetzen, dass Hinrichtungen im Zusammenhang mit den Protesten gestoppt und bestehende Todesurteile für nichtig erklärt werden. Zudem soll sich Außenminister Alexander Schallenberg weiterhin für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe stark machen.

Keine Mehrheit fanden hingegen zwei Entschließungsanträge der FPÖ: Sie hatten zum einen eine Nulllohnrunde für Spitzenpolitiker:innen, höchstrangige Beamt:innen sowie Manager:innen in staatsnahen Betrieben zum Ziel. Zum anderen drängte der niederösterreichische FPÖ-Bundesrat Andreas Arthur Spanring darauf, jungen Exekutivbeamt:innen, die infolge eines Dienstunfalls gesundheitliche Beeinträchtigungen davongetragen haben, nicht von einer Pragmatisierung auszuschließen.

Reform des Maßnahmenvollzugs auch im Bundesrat umstritten

Nach einer lebhaften Debatte im Nationalrat debattierte heute auch der Bundesrat kontrovers über das " Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 ". Um das System der Strafjustiz zu entlasten, können künftig psychisch kranke Rechtsbrecher:innen, sofern sie als weniger gefährlich bewertet werden, in Psychiatrien untergebracht werden. Außerdem wurden die gesetzlichen Begriffe modernisiert und neutraler, indem etwa von einer "schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung" anstatt von "geistiger oder seelischer Abartigkeit von höherem Grad" die Rede ist. Eine Einweisung in den Maßnahmenvollzug erfolgt künftig erst bei Taten mit einer Strafdrohung von drei Jahren und nicht wie bislang von einem Jahr, sofern es sich dabei nicht um eine schwere Körperverletzung oder um ein Sexualdelikt handelt. Jugendliche sollen erst nach einem Kapitalverbrechen, also ab zehn Jahren Strafdrohung, in den Maßnahmenvollzug kommen, wobei der Gesetzesvorschlag auf die Beiziehung von jugendpsychiatrischen Sachverständigen bei der Diagnostik abstellt. Überprüft werden die Maßnahmen künftig jährlich. Für verurteilte Terrorist:innen sind Neuerungen vorgesehen, die an die Bestimmungen für gefährliche Rückfallstäter:innen angelehnt sind.

Die steirische SPÖ-Bundesrätin Elisabeth Grossmann sagte, sie teile die Ansicht vieler Expert:innen, dass die Reform keinen Sicherheitsgewinn bringe. Das Gesetz trage nichts zur Terrorismusprävention bei und stelle ein "Placebo" dar, das die tatsächlichen Probleme mit gefährlichen Straftäter:innen nicht anspreche. Die Ressourcenfrage werde nicht gelöst, sondern aufgrund der Regelungen sei eine noch stärkere Belastung des Gesundheitssystems zu befürchten. Die Bundesregierung habe nach eigenen Aussagen bisher nur einen Teil der Reform vorgelegt. Einem noch "unausgegorenen" Gesetz könne ihre Fraktion aber nicht zustimmen.

Der steirische FPÖ-Bundesrat Markus Leinfellner kritisierte, nur Begrifflichkeiten zu modernisieren führe zu keiner Verbesserung. Tatsächlich vermeide man nur, aus ideologischen Gründen die Dinge beim Namen zu nennen, etwa, wenn man nicht mehr von "geistig abnormen Rechtsbrechern" sprechen dürfe. Diese "sprachliche Verhunzung" nutze aber niemandem, meinte Leinfellner. Sie behebe weder das Problem fehlender Kapazitäten der Justizanstalten, noch ihren Personalmangel. Leinfellner warf der Bundesregierung vor, mit diesem Gesetz tendenziell "die Täter stärker zu schützen als die Opfer". 

Der Wiener Bundesrat der NEOS Arthur Arlamovsky sah weiterhin Probleme in der Frage der Entscheidung über die Unterbringung im Maßnahmenvollzug. Statt sich andere Länder zum Vorbild zu nehmen, reduziere Österreich nur die Anforderungen an die Gutachter:innen, die letztlich über eine Einweisung entscheiden. Unzufrieden zeigte der Bundesrat sich auch mit den Bestimmungen, die gefährliche Rückfallstäter:innen betreffen. Hier handle es sich im Grunde um Anlassgesetzgebung aufgrund des Attentats in Wien im Jahr 2021, kritisierte Arlamovsky. Das Problem sei nicht in der damaligen Gesetzeslage zu suchen, sondern es liege ein reines Behördenversagen vor. Hier hätten auch die neuen Bestimmungen keine Handhabe gegen den Täter geboten, meinte der Bundesrat der NEOS.

Elisabeth Kittl (Grüne/W) betonte hingegen die Modernisierung des Maßnahmenvollzugs, der erreiche, dass nur tatsächlich gefährliche Täter:innen in den Maßnahmenvollzug eingewiesen werden und dass sie dort eine angemessene therapeutische Betreuung erhalten. Die Bezeichnung "forensisch-therapeutische Zentren" bringe bereits zum Ausdruck, dass eine zeitgemäße Herangehensweise an das Problem erfolge. Jugendliche würden künftig als solche behandelt und nicht mit Erwachsenen gleichgestellt. Diese Reformschritte seien wichtig und überfällig, betonte Kittl.

Auch die ÖVP-Mandatarin Klara Neurauter aus Tirol betonte, dass mit der Reform "das Strafrecht ins 21. Jahrhundert gebracht" und der Maßnahmenvollzug auf eine gänzlich neue Basis gestellt werde. Die Reform enthalte zwei Elemente. Zum einen Stelle man sicher, dass niemand in den Maßnahmenvollzug komme, der dort nicht eingewiesen werden solle. Weiter werde nun regelmäßig überprüft, ob eine Person noch darin verbleiben müsse. Das sei ein richtiger Ansatz, der insbesondere Jugendliche davor bewahre, aufgrund eigentlich geringfügiger Delikte für Jahre im Maßnahmenvollzug zu landen.

Justizministerin Zadić: Maßnahmenvollzug wird gerechter und treffsicherer

Justizministerin Alma Zadić sprach von einem "mutigen Schritt der Bundesregierung", der den Maßnahmenvollzug endlich ins 21. Jahrhundert hole und einen jahrzehntelangen Stillstand überwinde. Aufgrund des Umfangs der Reform erfolge die Umsetzung in zwei Schritten. Der erste Teil der Reform betreffe die Einweisungsvoraussetzungen, die nun ganz klar menschenrechtskonform geregelt seien. Im zweiten Teil, der derzeit in Ausarbeitung sei, werde festgelegt, wie der Maßnahmenvollzug ablaufen soll und was an Therapien angeboten werden müsse.

Die neue Regelung sei gerechter und treffsicherer, da sie verhindere, dass Personen, für die eine Unterbringung in therapeutischen Einrichtungen angemessen sei, für viele Jahre hinter Gittern landen. Zadić betonte auch die notwendige Differenzierung im Umgang mit Personen, die eine terroristische Straftat begangen haben. Bei dem, was hier vorgesehen sei, handle es sich nicht um eine präventive Sicherungshaft, wie es teilweise dargestellt worden sei.

Umfangreiche Dienstrechts-Novelle passiert Bundesrat

Die Beamt:innen und Vertragsbediensteten des Bundes werden im kommenden Jahr eine Gehaltserhöhung zwischen 7,15 % und 9,41 % erhalten. Im Schnitt wird das Plus 7,32 % betragen. Der Beschluss des Nationalrats, dem zwischen Regierung und Gewerkschaft vereinbarten Gehaltsabschluss die Zustimmung zu geben, wurde vom Bundesrat mit breiter Mehrheit bestätigt. Auch zahlreiche weitere Neuerungen für den öffentlichen Dienst werden mit der 2. Dienstrechts-Novelle 2022 umgesetzt. Das betrifft etwa einen neuen Bestellmodus für die OGH-Spitze und höhere Einstiegsgehälter. (Fortsetzung Bundesrat) sox/gs

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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