Parlamentskorrespondenz Nr. 415 vom 17.04.2023

Verteidigungsausschuss: Überarbeitung der Sicherheitsstrategie und Aufwertung von Auslandseinsätzen

Austausch über Landesverteidigungs-Finanzierungsgesetz und EU-Jahresvorschau 2023 mit Verteidigungsministerin Tanner

Wien (PK) – Der Landesverteidigungsausschuss nahm heute einen wiederaufgenommenen Antrag der FPÖ einstimmig an; es geht dabei um die Überarbeitung der Österreichischen Sicherheitsstrategie unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrags von ÖVP, SPÖ und Grünen. Ebenso Einstimmigkeit gab es bei einer auf Basis einer NEOS-Initiative gestellten Forderung aller Fraktionen nach der finanziellen Aufwertung von Auslandseinsätzen. Mit Stimmenmehrheit von ÖVP und Grünen vertagt wurde eine Forderung der SPÖ nach verpflichtenden jährlichen Berichten über österreichische Waffenexporte.

Ebenfalls auf der Tagesordnung stand eine Aussprache mit Verteidigungsministerin Klaudia Tanner über das Landesverteidigungs-Finanzierungsgesetz (LV-FinG) sowie die EU-Jahresvorschau 2023 des Ressorts, die mehrheitlich, ohne die Stimmen der FPÖ, zur Kenntnis genommen wurden.

Einhellige Zustimmung für Überarbeitung der Österreichischen Sicherheitsstrategie

Der veränderten Einschätzung der militärischen Gefahrenlage in Europa Rechnung tragen soll die Überarbeitung der Österreichischen Sicherheitsstrategie unter Einbeziehung aller im Hauptausschuss des Nationalrats vertretenen Parteien (2414/A(E)). Diese ist laut einem vom Ausschuss heute wieder aufgenommenen FPÖ-Antrag mehr als zehn Jahre alt und enthält keine aktuellen Bedrohungsszenarien wie etwa jene durch den Krieg in der Ukraine oder die Gefahr eines Blackouts.

Ausschussobmann Volker Reifenberger (FPÖ) zeigte sich zufrieden darüber, dass das Anliegen der FPÖ nun auch von der Bundesregierung ernst genommen werde. Diese habe bereits eine Überarbeitung der Sicherheitsstrategie angekündigt. Aus Sicht seiner Fraktion müsse auch die überarbeitete Strategie auf eine umfassende Landesverteidigung abzielen. Friedrich Ofenauer (ÖVP) bezeichnete es als erfreulich, dass die Diskussion über eine neue Sicherheitsstrategie Österreichs bereits begonnen habe. Aus seiner Sicht werde diese unter dem Ziel der Stärkung der Resilienz auch dem Aspekt der umfassenden Landesverteidigung Rechnung tragen. Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) betonte, dass seine Fraktion sich einen offenen Prozess erwarte. Darin müssten neben den betroffenen Ressorts Expert:innen und das Parlament einbezogen werden, und es dürfe auch keine "Denkverbote" geben. Aus Sicht von David Stögmüller muss die zu erarbeitende Strategie auf "mehr Europa und mehr Zusammenarbeit" abzielen. Auch seien Aspekte wie Energieautarkie, Migration und Auswirkungen auf verschieden soziale Gruppen zu berücksichtigen. SPÖ-Abgeordneter Robert Laimer unterstrich, dass ein offener und ehrlicher Diskurs die Voraussetzung sei, um einen "rot-weiß-roten Konsens" in dieser wichtigen Frage zu erzielen.

Verteidigungsministerin Tanner meinte ebenfalls, es müsse "ein breiter Konsens im Parlament und darüber hinaus" angestrebt werden, um die militärische Neutralität Österreichs, die grundsätzlich außer Frage stehe, weiterhin sinnvoll gestalten zu können. Das Bundeskanzleramt werde die federführende Rolle in der Erarbeitung der neuen Strategie spielen.

Der Antrag wurde unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrags von Abgeordneten der ÖVP, der SPÖ und der Grünen einstimmig angenommen. Mit der neuen Formulierung wird die Bundesregierung aufgefordert, schnellstmöglich die Sicherheitsstrategie 2013 unter Einbeziehung aller im Hauptausschuss des Nationalrats vertretenen Fraktionen und unter Berücksichtigung der Leitlinien des "strategischen Kompass" der EU zu überarbeiten.

Aufwertung von Auslandsmissionen erzielt Einstimmigkeit

Anfang 2023 seien weniger als 800 österreichische Soldat:innen im Auslandseinsatz gewesen, obwohl der Sollzustand 1.100 betrage, bemängelt NEOS-Abgeordneter Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (3132/A(E)). Grund sei unter anderem die unvorteilhafte Besoldung. Die NEOS fordern daher eine Novelle des Auslandszulagen- und hilfeleistungsgesetzes (AZHG). Diese soll sicherstellen, dass zu Übungs– und Ausbildungszwecken in Krisenregionen entsandte Bedienstete des Verteidigungsministeriums Zulagen gewährt werden, die jenen bei Auslandseinsätzen entsprechen. Außerdem soll gewährleistet werden, dass Bedienstete im Auslandseinsatz oder bei Entsendungen ins Ausland nicht dadurch schlechter gestellt werden, dass in Inlandseinsätzen anfallende Zulagen anlässlich einer Entsendung gestrichen werden, so die NEOS.

Manfred Hofinger (ÖVP) meinte, der Antrag der NEOS sei zu eng gefasst, weshalb die Fraktionen sich auf einen gemeinsamen Antrag geeinigt hätten, der an diese anknüpfe und sich für eine Novellierung des Auslandszulagen- und –hilfeleistungsgesetzes (AZHG) ausspreche. Österreich müsse auch in Zukunft die personelle Befüllung in Auslandeinsätzen sicherstellen könnte, unterstrich auch David Stögmüller (Grüne). Während der NEOS-Antrag in der Minderheit blieb und abgelehnt wurde, erhielt der im Ausschuss von allen Fraktionen eingebrachte Antrag die Zustimmung aller Fraktionen.

EU-Jahresvorschau 2023 des Verteidigungsministeriums: Neutralität als Kernfrage

"Die grausame Realität des Krieges führt der EU vor Augen, dass sie ihr Anstrengungen im Bereich Sicherheit und Verteidigung intensivieren muss", heißt es im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2023. Auf dessen Grundlage und auf Basis des Achtzehnmonatsprogramms des Europäischen Rates geht das Verteidigungsministerium (BMLV) in seiner Jahresvorschau für 2023 (III-858 d.B.) auf die für Österreich relevanten Aspekte der europäischen Verteidigungspolitik ein. Besonders fokussiert es dabei auf die Strategien für die Weltraumsicherheit, auf Instrumente zur Stärkung der Rüstungsindustrie, internationale Zusammenarbeit und die Bekämpfung hybrider Bedrohungen im europäischen Verbund.

Im Ausschuss betonte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, dass Werte wie Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeiten darstellten. Diese würden insbesondere vom Bundesheer verteidigt und gemeinsam mit allen Parlamentsparteien, seien "enorme Fortschritte" bei dessen Weiterentwicklung gelungen, wie sie auf die Erhöhung der Besoldung von Grundwehrdienern und die "enormen Budgeterhöhungen" im Rahmen des LV-FinG verwies.

Für die Abgeordneten stand der Aspekt der österreichischen Neutralität insbesondere hinsichtlich gemeinsamer europäischer Verteidigungsmaßnahmen im Zentrum. So fragten etwa Robert Laimer, Rudolf Silvan (beide SPÖ), Gerhard Kaniak (FPÖ) und Süleyman Zorba (Grüne) nach der Verwendung der Mittel aus der von Österreich mitfinanzierten Europäischen Friedensfazilität. Würden diese auch für Waffen eingesetzt werden, stellte dies einen Bruch der Neutralität dar, zeigten sie sich einig. An der militärischen Neutralität Österreichs – die nicht mit Gleichgültigkeit zu verwechseln sei – werde nicht gerüttelt, antwortete Verteidigungsministerin Tanner. Aus den von Österreich geleisteten Beiträgen seien etwa 900.000 € für Unterstützungsmaßnahmen in der Ukraine vorgesehen, jedoch nicht für militärische Missionen. "Ohne Zweifel" müsse hier transparent vorgegangen werden, unterstrich Tanner und verwies auf den humanitären Charakter der durch die Friedensfazilität finanzierten Projekte, nicht nur in der Ukraine.

Es sei nicht zu leugnen, dass ein Großteil der EU-Mitgliedsstaaten ebenfalls Mitglieder der NATO seien, deren "militärisches Rückgrat" die USA darstelle, erklärte Tanner. Umso wichtiger sei es, die Autonomie der EU in der Entscheidungsfindung zu stärken, etwa durch die Aufstockung der Verteidigungsbudgets oder die Förderung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wesentlich dafür sei auch die Zusammenarbeit in der Rüstung und Beschaffung militärischer Geräte, wie Tanner auf eine dahingehende Frage Friedrich Ofenauers (ÖVP) ausführte. So sei der Europäische Verteidigungsfonds (EDF) auch als Industrieförderprogramm zu verstehen, bei dem sich Unternehmen, Universitäten und andere Einrichtungen an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen können, was auch einen wirtschaftlichen Nutzen berge.

Von Martin Litschauer (Grüne) und Douglas Hoyos-Trauttmansdorff auf die Thematik der Weltraumsicherheit angesprochen, verwies Tanner auf das Galileo-Satellitennavigationssystem mit 28 Satelliten im Orbit. Sie unterstrich dessen großes verteidigungspolitisches Potenzial, da es eine hohe Resistenz gegen Störungen aufweise. 

Aussprache über Landesverteidigungs-Finanzierungsgesetz

Die Fragen der Abgeordneten an Verteidigungsministerin Tanner waren zudem auf die Themen Verteidigungsfähigkeit, Personal und Beschaffungen fokussiert. Das LV-FinG sei ein wesentlicher Faktor, um die Versäumnisse der Vergangenheit zu beheben und die Wehrfähigkeit Österreichs wiederherzustellen, wie Tanner auf demensprechende Fragen von Johann Höfinger (ÖVP) und Gerhard Kaniak (FPÖ) antwortete. Denn vor nicht allzu langer Zeit sei sogar die Abschaffung des Bundesheeres im Gespräch gewesen. Daher gehe es laut Tanner vor allem auch um die geistige Landesverteidigung als "gesamtgesellschaftliche Aufgabe". Sie zeigte sich erfreut, dass diese nun in den Lehrplänen verankert werde. Generell habe sich das Streitkräfteprofil des Bundesheeres in den letzten Jahren stark verändert, wie Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) erfragte. Sei vor einigen Jahren der Fokus des Heeres noch im Ausland gelegen, habe sich dieser nun eher auf das Inland gerichtet. Es gehe nun darum, sowohl konventionellen Gegnern als auch Angriffen am Cyber- und Informationsfeld entgegentreten zu können.

Zahlreiche Abgeordnete interessierten sich für die Personalsituation des Bundesheeres, so unter anderem Romana Deckenbacher (ÖVP), Volker Reifenberger (FPÖ) und Georg Bürstmayr (Grüne). Gut ausgebildetes und motiviertes Personal sei der zentrale Erfolgsfaktor in der Verteidigungspolitik und ebenso eine große Herausforderung, erklärte Tanner. Es sei nicht einfach, finanziell mit dem privaten Sektor mitzuhalten und als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Sowohl zur Gewinnung neuen Personals als auch zu deren Bindung habe man die langfristig angesetzte Personaloffensive "Mission Vorwärts" gestartet, die auf alle Personengruppen abziele. Die Erhöhung der Besoldung von Grundwehrdienern nach über zehn Jahren sei ebenfalls ein wichtiger Schritt gewesen. Doch besonders beim Fachpersonal – etwa in den Werkstätten oder in der IKT – gebe es weiteren Handlungsbedarf. Auch für den niederschwelligen Einstieg von Frauen würden zahlreiche Maßnahmen gesetzt, so Tanner. Generell müsse das Ressort bei Personalfragen "immer am Ball bleiben".

Weiters interessierten sich zahlreiche Abgeordnete für Beschaffungen, wie etwa Georg Bürstmayr (Grüne) und Reinhold Einwallner (SPÖ) für jene der Transportflugzeuge, Mario Lindner (SPÖ) für die der Hubschrauber und Volker Reifenberger (FPÖ) für jene der Munition. Reifenberger fragte auch nach der Weiterentwicklung des Milizsystems, worauf Tanner auf die neu gegründeten, schnell mobilisierbaren "Reaktionsmilizen" verwies. Die Verträge für die Beschaffung von Drohnen sollen Ende dieses Jahres unterzeichnet werden, wie Douglas Hoyos-Trauttmansdorff erfragte.

SPÖ-Forderung auf verpflichtende Berichte über österreichische Waffenexporte vertagt

Zwischen 2011 und 2021 habe Österreich schweres Kriegsgerät in über 30 Staaten exportiert, wie Julia Herr (SPÖ) in einem Entschließungsantrag festhält. Berichten von NGOs sei zu entnehmen, dass Waffen auch an autoritäre Regime gegangen seien sowie an Staaten, die in bewaffnete Konflikte involviert waren. Ohne offizielle Berichte der für die Exportgenehmigungen zuständigen Ressorts sei die politische Verantwortung nicht immer einfach festzustellen. Herr fordert daher eine gesetzliche Regelung, wonach das Bundesministerien für Inneres, das Bundesministerium für internationale Angelegenheiten und das Bundesministerium für Landesverteidigung jährliche Berichte über die Waffenexporte Österreichs zu legen hätten (3163/A(E)).

Aus Sicht von FPÖ-Abgeordnetem Gerhard Kaniak herrscht in Bereichen, die Österreichs Neutralität berühren, zu wenig Transparenz. So müssten auch zu Transporten von Militärmaterial durch Österreich und zu Überflügen zumindest nachträglich Bericht erstattet werden. NEOS-Verteidigungssprecher Douglas Hoyos-Trauttmansdorff forderte mehr Transparenz in Fragen des Exports von Dual-Use-Material. ÖVP-Abgeordneter Andreas Minnich betonte, dass Österreich sehr transparent sei, was den Waffenexport betreffe, und in diesem Sinne regelmäßig Berichte an internationale Organisationen liefere. Er sprach sich daher für eine Vertagung des Antrags aus.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner unterstrich ebenfalls, dass Österreich die Transparenz von Waffenexporten sehr hoch einschätze und auch internationale Bemühungen in diesem Bereich immer unterstütze. Entscheidungen über Waffenexporte treffe auch nicht ihr Ressort, das nur ein Anhörungsrecht habe. Das Innenministerium lege dem Nationalen Sicherheitsrat einen Bericht nach dem Kriegsmaterialgesetz über genehmigte Ausfuhren vor. (Schluss Landesverteidigungsausschuss) sox/wit