Parlamentskorrespondenz Nr. 421 vom 18.04.2023

Politik am Ring: Lehrkraft - Traumjob oder Albtraum?

Parlamentsfraktionen diskutierten Strategien zur Beseitigung des Lehrkräftemangels

Wien (PK) – Seit Jahren kämpft Österreich gegen einen Mangel an Lehrkräften. Die anstehende große Pensionierungswelle  wird die Lage in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Der Grund für den fehlenden Nachwuchs ist jedoch weniger das schlechte Image, das dem Beruf zugeschrieben wird. Die schwierigen Rahmenbedingungen wie fehlendes Personal zur Unterstützung gerade zu Beginn der Lehrtätigkeit machen den Job wenig attraktiv. Laut einer Studie sind Anfänger:innen oft überfordert und brechen deswegen ab.

Unterrichtsminister Martin Polaschek will mit einer Lehrkraftoffensive diesen Entwicklungen entgegensteuern. Die Schule soll ein neues Image erhalten, neue Zielgruppen sollen angeworben sowie die Ausbildung von Pädagog:innen soll weiterentwickelt werden. Den Oppositionsparteien, vielen Gewerkschaften und Expert:innen ist das jedoch zu wenig. Sie fordern tiefgreifende Reformen. Die Rahmenbedingungen an den Schulen müssten dringend verbessert werden, um so auch den Lehrberuf wieder attraktiver zu machen.

Über die Ursachen des Lehrkräftemangels, notwendige Verbesserungen im Schulsystem, den Quereinstieg und das Berufsbild Lehrkraft, diskutierten gestern in Politik am Ring, der von Gerald Groß moderierten Internet-TV-Sendung des Parlaments, Vertreter:innen der fünf Parlamentsfraktionen mit Andreas Schnider vom Qualitätssicherungsrat für Pädagoginnen- und Pädagogenbildung (QSR) sowie Heidi Schrodt von der Initiative Bildung Grenzenlos.

Ursachen für den Lehrkräftemangel abseits der Demografie

Dass der Mangel an Lehrkräften aufgrund der demografischen Entwicklung absehbar war, bestätigte Abgeordneter Rudolf Taschner, der ÖVP-Bildungssprecher. Es würden derzeit – spät, aber doch – die Weichen gestellt. FPÖ-Unterrichtssprecher Hermann Brückl kritisierte, Bundesminister Polaschek wäre noch im Vorjahr untätig gewesen, obwohl das Problem schon seit zehn Jahren erkennbar gewesen sei. Der Mangel an Lehrkräften wäre ein Ergebnis der vielen ungelösten oder auch falsch gelösten Probleme der Vergangenheit sowie nicht berücksichtigter Veränderungen wie der Digitalisierung oder der Zuwanderung.

Auch Abgeordnete Sibylle Hamann, Bildungssprecherin der Grünen, erwähnte die gesellschaftlichen Transformationen, die gerade die Schule zum Ort der Aushandlung dieser neuen Konfliktfelder machen würde. Die Lehrkräfte wären dafür nicht ausgebildet und würden mit ihren Sorgen und Ängsten oft nicht ernst genommen . Sie fühlten sich zunehmend überfordert. Daneben fehlt es, so Hamann, an ausreichend Perspektiven im Beruf, im Vergleich zu anderen gäbe es kaum Aufstiegschancen. SPÖ-Abgeordnete Elisabeth Feichtinger gab zu bedenken, man habe viele, die die Ausbildung gemacht haben, verloren, weil sie zu ihrer Zeit keine Stelle fanden und daher in andere Berufe wechselten. Andreas Schnider vom Qualitätssicherungsrat für Pädagoginnen- und Pädagogenbildung merkte an, er sehe im öffentlichen Dienst bezüglich Personalanwerbung generell ein Problem. Man wäre auch nicht für den veränderten Arbeitsmarkt gerüstet, wie dem Bedürfnis nach flexiblen Arbeitszeiten, Teilzeittätigkeit und Ähnliches.

Gerade die vielen Teilzeitverträge seien ein weiterer Grund für den Lehrer:innenmangel. Würden alle Lehrer:innen in Wien Vollzeit arbeiten, gäbe es dort keinen Mangel, warf Moderator Gerald Groß in die Diskussion ein. Der Trend zur Teilzeitarbeit fände sich generell in der Gesellschaft, so Abgeordneter Taschner, und hätte auch etwas mit der Struktur Schule zu tun. Heidi Schrodt von der Initiative Bildung Grenzenlos sowie NEOS-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre entgegneten, man müsse dringend systematisch untersuchen, warum zunehmend Teilzeit gearbeitet werde. Schrodt vermutete als eine Ursache die vielen Herausforderungen und fehlenden Ressourcen. Gerade im städtischen Raum wären "viele am Ende".

Als ein weiteres Problem wurde von den Diskussionsteilnehmer:innen die verlängerte Ausbildung diskutiert. Brückl kritisierte die lange Ausbildungsdauer, die ein Jahr mehr als ein "normales" Universitätsstudium betrage. Schnider schloss sich dieser Kritik an. Man habe die Ausbildung internationalen Standards entsprechend auf acht bis zehn Semester erhöhen wollen, die Universitäten hätten dann jedoch von sich aus auf zwölf Semester erhöht. Die Universitäten hätten auch zu viel an sich gezogen, sie fokussierten das Fachliche und vernachlässigten das Praktische, warf Taschner ein. Alle drei Säulen, das Pädagogische, das Fachliche und das Praktische, gehörten im Lehramtsstudium gleichermaßen beachtet.

Das dreijährige Bachelorstudium und das berufsbegleitende Masterstudium hätten die Ausbildung attraktiviert, meinte Taschner. Die Abgeordneten Hamann und Künsberg Sarre betonten jedoch, viele wären durch den berufsbegleitenden Master überfordert, mit diesem Ausbildungssystem verliere man nur die guten Leute. Auch Feichtinger sieht diese Überforderung. Als Junglehrer:in sei man zu viel auf sich allein gestellt, es fehlten gerade in der Praxis Begleitmaßnahmen. Man müsse die Neueinsteiger:innen wie in Finnland in den ersten Jahren "in Watte packen und sagen, wir begleiten dich, du bist nicht allein", forderte Künsberg Sarre.

Notwendige Verbesserungen des Schulsystems

Klar trat in der Diskussion zutage, dass weniger das schlechte Image von Lehrer:innen, sondern die Rahmenbedingungen an den Schulen zu diesem Mangel geführt haben. Ein Hauptproblem, darüber herrschte Einigkeit, wäre die überbordende Bürokratie, die es so in anderen Ländern gar nicht gäbe; auch den Zentralismus müsse man hinterfragen.

Anstatt Geld in Werbung für die Imagekorrektur zu stecken, sollte man, so SPÖ-Abgeordnete Feichtinger, dieses für die Verbesserung der Rahmenbedingungen verwenden. Es brauche auch mehr Autonomie an den Schulen, die zwar vielfach schon gesetzlich möglich wäre, aber wegen fehlender Unterstützung nicht umgesetzt  würde, kritisierte NEOS-Abgeordnete Künsberg Sarre. Man sollte sich an anderen Ländern wie Finnland und Estland orientieren, in deren Schulsystemen drei Punkte zentral wären: "Autonomie statt Bürokratie, Wissenschaft statt Ideologie und Vertrauen statt Kontrolle".

Einen weiteren Konsens in der Diskussion gab es betreffend der Notwendigkeit von mehr Unterstützungspersonal an den Schulen. Man müsse die Schule wie in anderen Ländern für andere Professionen öffnen, hielt Experte Schnider fest. Es könne nicht sein, dass im Dienstrecht nach wie vor alle Personen neben den Lehrer:innen als "schulfremde Personen" bezeichnet würden. Grünen-Bildungssprecherin Hamann erläuterte, man hätte derzeit in der Regierung vieles in der Arbeit und es wäre auch schon Etliches - zum Beispiel mittels Bund-Länder-Vereinbarungen - auf den Weg gebracht worden. Es bräuchte mehr Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen oder Sekretariate, um die Lehrkräfte zu entlasten und zu unterstützen. Expertin Schrodt führte auch die Wichtigkeit von Teamarbeit an: Lehrer:innen sollten ein Team haben, in dem sie entsprechende Unterstützung fänden, und das bereits im Bereich der Elementarpädagogik.

Vom Nutzen der Quereinsteiger:innen

Zur Lehrkräfteoffensive von Bildungsminister Polaschek gehört auch die Förderung des Quereinstiegs. Schnider berichtete aus der Praxis, es gäbe 1.850 Bewerber:innen, von denen 80 Prozent zertifiziert würden. Die Auslese wäre demnach doppelt so hoch als bei der Lehrer:innenausbildung. Es ließen sich drei Gruppen jener, die quereinsteigen, feststellen, und zwar jene, die vor 25 Jahren von der Politik aus dem Beruf vertrieben worden wären, als es hieß, man brauche keine Lehrer:innen und die nun zurückkehren, dann jene aus dem universitären Mittelbau, insbesondere aus den Mint-Fächern, und diejenigen, die nach vielen Jahren im Berufsleben der Gesellschaft etwas zurückgeben wollten.

Dass die Quereinsteiger:innen den Mangel an Lehrkräften nicht beseitigen können, ergebe sich schon aus den Zahlen, äußerte Grünen-Abgeordnete Hamann. Man würde den Bundesminister bei diesem Projekt unterstützen, so FPÖ-Unterrichtssprecher Brückl, da man den Quereinstieg schon seit vielen Jahren forderte. Kritik kam von NEOS-Bildungssprecherin Künsberg Sarre, weil die Oppositionsparteien weder ausreichend Information bekämen noch einbezogen würden, obwohl doch alle dasselbe Ziel hätten, nämlich den Lehrkräftemangel zu beseitigen. Die Abgeordneten Taschner und Feichtinger gaben zu bedenken, dass ein Quereinstieg nicht in allen Schulstufen möglich wäre, gerade in der Volksschule wäre er eigentlich nicht vorstellbar.

Übereinstimmend wurde argumentiert, dass Quereinsteiger:innen neue Impulse brächten, sie seien als Bereicherung und die Initiative als Öffnung zu sehen. Erfahrung aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft gelange mit ihnen in die Schule, hielt Hamann fest, was auch zu einer Dynamisierung führe. Man hätte dies schon viel früher nutzen können. Ein ernsthaftes Problem sei, so Künsberg Sarre, dass man den Quereinsteiger:innen zu viele Steine in den Weg legte. Wolle man gute Leute, müsse man sich geschickter anstellen. SPÖ-Abgeordnete Feichtinger brachte ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass gerade auch jene, die wegen fehlender Arbeitsplätze den Beruf gewechselt haben, nun wieder zurückkehren würden. Die Expert:innen Schrodt und Schnider diskutierten die Wichtigkeit einer engen Begleitung und Unterstützung der Quereinsteigenden. Schnider erläuterte, man habe vieles von Teach for Austria, aber auch von Unternehmen übernommen und ein neues Modell entwickelt.

Lehren als sinnstiftender und gesellschaftlich wertvoller Beruf

Das angeblich schlechte Image von Lehrer:innen wurde von den Diskutant:innen infrage gestellt. Schrodt wie auch Abgeordnete Hamann äußerten, dass es in den Medien  oft  zu Unrecht ein Lehrer:innenbashing gäbe, es werde nicht vorteilhaft über Lehrer:innen berichtet. Jedoch habe, so Hamann die "dramatische Erfahrung des Distancelearnings" während der Covid-19-Pandemie das Bild wesentlich verbessert, weil es die Vielfalt der Tätigkeit und die Verantwortung deutlich gemacht habe. Bevor man eine Imagekampagne startet, warf Schrodt ein, sollte man untersuchen, was es denn mit diesem schlechten Image tatsächlich auf sich habe.

Wenn man Lehrer:in sein wolle, müsse man Kinder mögen und das Fach lieben, führte sie weiter aus, wichtig wären aber auch die Rahmenbedingungen, zu denen eine gute Führungskraft gehören würde. Das Motto jeder Pädagogin und jedes Pädagogen sollte sein: " Keines meiner Kinder darf verloren gehen". SPÖ-Abgeordnete Feichtinger hält das Lehren für einen "unglaublich sinnstiftenden Beruf", in dem man – wie in der Politik – etwas bewegen könne. Man habe das Privileg einer jungen Kundschaft und könne an der gesellschaftlichen Entwicklung mitwirken, betonte Schnider. ÖVP-Abgeordneter Taschner hob hervor, man arbeite für die Zukunft, indem man die jungen Menschen mittels Aufklärung "zu mündigen und freien Menschen" mache. Es gäbe kaum einen sinnhafteren Beruf.

Die nächste Sendung von Politik am Ring findet am Montag, dem 15. Mai 2023, statt. Sie wird wieder live ab 21 Uhr in der Mediathek des Parlaments übertragen. Alle Folgen von Politik am Ring sind dort dauerhaft abrufbar. (Schluss) gst


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