Parlamentskorrespondenz Nr. 760 vom 28.06.2023

Zadić: Fast 5.000 Beschwerden zur Versendung von Schreiben zur COVID-19-Impfung bei Datenschutzbehörde eingelangt

Justizausschuss hält Aussprache mit Justizministerin Alma Zadić

Wien (PK) – Der Justizausschuss des Nationalrats hielt heute eine Aussprache über aktuelle Fragen mit Justizministerin Alma Zadić. Der Fokus lag dabei auf dem Maßnahmenvollzug, der Reform des Familienrechts und Gewaltambulanzen. Außerdem diskutierten die Abgeordneten den Datenschutzbericht 2022 mit der Leiterin der Datenschutzbehörde Andrea Jelinek. Der Bericht wurde einstimmig zur Kenntnis genommen und wird auf Initiative der SPÖ im Zuge der kommenden Plenarberatungen behandelt.

Hervorgehoben wird im Bericht unter anderem das gemeinsam mit der Universität Wien durchgeführte und von der Europäischen Kommission geförderte Projekt "privacy4kids", dessen Ziel es ist, Kindern und Jugendlichen das Thema Datenschutz näherzubringen und ihnen zu erklären, welche Gefahren für ihre Privatsphäre im Internet bestehen beziehungsweise wie sie sich vor Betrug im Netz und Manipulation in sozialen Medien schützen können. Zum Thema Privatsphäre und Datenschutz seien im Zuge dessen altersspezifische Lehrvideos erstellt worden, berichtete Zadić. Darüber hinaus sei ein Leitfaden für Lehrer:innen entwickelt worden. Ulrike Fischer (Grüne) und Karl Schmidhofer (ÖVP) interessierten sich für Folgeprojekte, die laut Jelinek nicht geplant sind. Es habe sich um ein EU-Projekt gehandelt, das abgeschlossen und abgerechnet sei, informierte sie. ÖVP und SPÖ sprachen sich für die Weiterführung der Ergebnisse des Projekts aus. Christian Drobits (SPÖ) bezog sich dabei auf einen Entschließungsantrag seiner Fraktion (3412/A(E)), der im Unterrichtsausschuss beschlossen wurde, und sprach sich für die Implementierung des Projektes in den Schulunterricht aus (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 725/2023). Gertraud Salzmann (ÖVP) verwies zudem auf das Fach Digitale Grundbildung. Auch Zadić sah es in Zeiten von ChatGPT als sehr wichtig an, Kinder in dem Bereich auszubilden. Sie werde sich mit dem Unterrichtsministerium zusammensetzen, sagte sie.

Datenschutzbehörde wickelte fast 5.000 Beschwerden zur Versendung von Schreiben zur Impfung gegen COVID-19 ab

Fast 5.000 Beschwerden im Kontext mit der Versendung von Schreiben zur Impfung gegen COVID-19 wurden insgesamt bis Ende 2022 bei der Datenschutzbehörde (DSB) eingereicht, berichtete Justizministerin Alma Zadić über die Datenschutzbehörde. Erledigt worden sei daher ein Vielfaches an Individualbeschwerden der vergangenen Jahren, so der Datenschutzbericht 2022 (III-922 d.B.). Eine derart große Anzahl an Beschwerden habe es zuvor noch nicht gegeben, erfuhr Nikolaus Scherak (NEOS). Ressourcenausstattung und Funktionsfähigkeit seien Zadić daher ein wichtiges Anliegen. Es gebe bisher keine Zusammenführung von Verfahren, erfuhr Scherak. Aufgrund des hohen Volumens wurde dem Bericht zufolge in der Datenschutzbehörde eine eigene Task-Force, bestehend aus zehn Bediensteten, eingerichtet. Die Task-Force sei bereits aufgelöst, erklärte Jelinek gegenüber Corinna Scharzenberger (ÖVP).

Im Hinblick auf die Datenschutzbeschwerden zu den Impfzusendungen gelangte die Datenschutzbehörde in ihren Verfahren gegen den Dachverband der Sozialversicherungsträger zur Ansicht, dass sich dieser auf eine Bestimmung des ASVG stützen konnte und wies die Beschwerden entsprechend ab. In den Verfahren gegen den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, das Amt der Vorarlberger Landesregierung und das Amt der Tiroler Landesregierung sei die Datenschutzbehörde hingegen zum Ergebnis gekommen, dass sich die Verantwortlichen auf keine entsprechende gesetzliche Grundlage stützen konnten und habe den Beschwerden daher stattgegeben. Harald Stefan (FPÖ) unterstrich, die FPÖ habe im Vorhinein darauf hingewiesen. Es wurde nicht allen Beschwerdeführer:innen rechtgegeben, hielt Jelinek entgegen.

Die Leiterin der Datenschutzbehörde bestätigte im Ausschuss, dass amtswegige Prüfverfahren zurückgegangen seien. Ab diesem Jahr werde – nach coronabedingter Pause - wieder ein amtswegiges Schwerpunktprüfverfahren durchgeführt.

Aktuelle Aussprache mit Fokus auf Maßnahmenvollzug

Gudrun Kugler (ÖVP) brachte den Bericht des Anti-Folter-Komitees (CPT) des Europarates zur Sprache, das auch österreichische Haftanstalten untersucht hat. Darin würden "marode Zustände" im Maßnahmenvollzug kritisiert. Obwohl Justizministerin Alma Zadić angekündigt habe, den Maßnahmenvollzug ins 21. Jahrhundert zu bringen, liege nun ein solcher Bericht vor, kritisierte sie. "Kein schöner Bericht", stimmte auch Zadić zu und versicherte Kugler, die im Bericht angesprochenen Kritikpunkte bestmöglich auszuräumen, insbesondere die hohen Einschlusszeiten. Problematisch sah sie den bestehenden Personalmangel. Es werde alles daran gesetzt, offene Stellen nachzubesetzen, sagte sie. Zudem sei ein elektronisches Beschwerdemanagement geschaffen worden, in dem alle Beschwerden gesammelt werden, informierte die Ministerin.

Das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 (1789 d.B.), das eine menschenrechtskonforme und zugleich ressourcenbewusste Modernisierung des Maßnahmenrechts zum Ziel hat, habe Unruhe hervorgerufen, betonte Christian Lausch (FPÖ). Um das System der Strafjustiz zu entlasten, können künftig psychisch kranke Rechtsbrecher:innen, sofern sie als weniger gefährlich bewertet werden, in Psychiatrien untergebracht werden. Außerdem wurden die gesetzlichen Begriffe modernisiert und neutraler, indem etwa von einer "schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung" anstatt von "geistiger oder seelischer Abartigkeit von höherem Grad" die Rede ist. Eine Einweisung in den Maßnahmenvollzug erfolgt künftig erst bei Taten mit einer Strafdrohung von drei Jahren und nicht wie bislang von einem Jahr, sofern es sich dabei nicht um eine schwere Körperverletzung oder um ein Sexualdelikt handelt. Wichtig war Zadić, zwischen Jugendlichen und Erwachsenen zu differenzieren. Jugendliche sollen erst nach einem Kapitalverbrechen, also ab zehn Jahren Strafdrohung, in den Maßnahmenvollzug kommen, wobei das Gesetz auf die Beiziehung von jugendpsychiatrischen Sachverständigen bei der Diagnostik abstellt (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1471/2022).

Lausch befürchtete mögliche Freilassungen auf Basis der Gesetzesreform. Er erinnerte an Karl Otto Haas, einen wegen Mordes verurteilter Strafgefangenen, der während eines Freiganges erneut tötete und schließlich auf der Flucht erschossen wurde. Lausch pochte auf ein Umdenken, um Gefahren abzuwenden. Zadić informierte, dass es vorerst keine unbedingten Entlassungen geben soll. Stattdessen werde es Fallkonferenzen geben, wo alle Kriterien gesammelt betrachtet werden. Ein Gericht könne über die von der Person ausgehende Gefahr entscheiden, versuchte sie Lausch Bedenken zu nehmen.

Reform des Familienrechts und Gewaltambulanzen

Eine Reform des Familienrechts sei für 2023 geplant gewesen, stieß Becher Ruth (SPÖ) in eine andere Kerbe und forderte Ergebnisse. Dabei handelt es sich laut Zadić um einen "groß angelegten partizipativen Prozess unter Einbeziehung aller Stakeholder". Das Kindeswohl stehe im Mittelpunkt der Reformen, Gewaltschutz soll stärker berücksichtigt werden. Zudem sprach sich Zadić für eine Beschleunigung der Unterhaltverfahren aus. Die politische Koordinierung sei im Gange, erfuhr Becher.

Gertraud Salzmann (ÖVP) trat dafür ein, das Ehealter ohne Ausnahmeregelung auf 18 Jahre anzuheben, um Zwangsheirat zu vermeiden. Zwangsheirat sei in Österreich bereits jetzt strafbar, stellte die Justizministerin klar, niemand könne zu Heirat gezwungen werden. Eine Reform in Bezug auf die Ausnahmeregelung, wonach mit richterlicher Zustimmung ab 16 Jahren geheiratet werden kann, soll ihm Rahmen der Kindschaftsrechtsreform erfolgen, so Zadić.

Probleme bei der Beweissicherung im Fall von Gewalt im häuslichen Bereich ortete Agnes Sirkka Prammer (Grüne). Eine Maßnahme, die kommen soll, sind laut Justizministerin Zadić Gewaltambulanzen. Dort sollen Verletzungen nach Gewalt dokumentiert und Spuren gesichert werden, sodass sie in Gerichtsverfahren als Beweise verwendet werden können. Eine diesbezügliche Einigung bestehe, nun gehe es an die Umsetzung, so Zadić.

Die neue psychosoziale Prozessbegleitung für von Hass im Netz Betroffene wurden nur von 25 Personen genutzt, sagte Zadić gegenüber Christian Drobits (SPÖ). Mit einer Informationskampagne möchte Zadić das Bewusstsein für die neuen Angebote stärken.

Abgeordnete kritisieren Fehler der Staatsanwaltschaft

Klaus Fürlinger (ÖVP) sprach sich für den Schutz des Redaktionsgeheimnisses aus. Grund für seine Wortmeldung war der Fall Miklautz, in dem die Klagenfurter Staatsanwaltschaft gegen den Journalisten Miklautz wegen "Beitrags zu Verletzung des Amtsgeheimnisses und Verletzung des Datenschutzgesetzes" ermittelte. Dabei wurden auch dessen Computer und Handy sichergestellt. Harte Kritik an Verfehlungen der Staatsanwaltschaft übte die FPÖ. Christian Ragger (FPÖ) unterstrich, die Staatsanwaltschaft habe das Mediengeheimnis nicht beachtet. Die bloße Veröffentlichung eines von Dritten geoffenbarten Amtsgeheimnisses unterliege nicht dem Strafgesetz, war für Zadić eindeutig klar. Pressefreiheit sei ein Grundprinzip der demokratischen Ordnung. Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt musste auf Entscheidung der Oberstaatsanwaltschaft das beschlagnahmte Handy und den Computer umgehend zurückgeben.

Fehler räumte Zadić auch beim Verfahren gegen den Waffenlieferant im Zusammenhang mit dem Terror-Anschlag von Wien vom 2. November 2020 ein. Man sei an die Verfahrenseinstellung "rechtlich gebunden". Dienstrechtliche Prüfungen seien angeordnet worden. In Zukunft gelte es, solche Fehler zu vermeiden. Daher gebe es auch Schritte zur Stärkung der internen Fachaufsicht sowie strukturelle Änderungen in der betroffenen Behörde.

Stärkung der Beschuldigtenrechte

Die Ministerin informierte außerdem, dass ÖVP und Grüne derzeit über die Voraussetzungen für die Sicherstellung von Smartphones verhandeln. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) habe sich mit den Regelungen in der Strafprozessordnung (StPO) zur Sicherstellung von Mobiltelefonen beschäftigt. Dabei sollte auf das VfGH-Urteil in dieser Causa gewartet werden, betonte Zadić. Corinna Scharzenberger (ÖVP) machte sich für Beschuldigtenrechte stark. Zudem kritisierte sie Leaks aus Ermittlungsverfahren. Es müsse zwischen Nachrichtenüberwachung und der Sicherstellung von Datenträgern unterschieden werden, sagte die Justizministerin. Denn es mache einen Unterschied, ob der bzw. die Betroffene von der Überwachung wisse oder nicht. Zadić sprach sich klar gegen ein Zitierverbot für Medien aus Verfahrensakten nach deutschem Vorbild aus. Gegenüber Johannes Margreiter (NEOS) wertete sie dies als Einschränkung der Medienfreiheit. Auch Akteneinsicht will Zadić nicht einschränken. Über Verfahrenstrennungen werde mit der Rechtsanwaltskammer diskutiert, so die Ministerin, da diese nicht zur Verzögerung der Verfahren führen dürfen.

Harald Stefan setzte sich für einen höheren Kostenersatz bei Freisprüchen ein. Obwohl Einigkeit bestehe, werde dies immer wieder verschoben, kritisierte er. Der Kostenersatz sei "unbestritten zu gering", teilte Zadić die Einschätzung. Derzeit betragen die Kosten des Bundes für Verteidigerkosten 2,2 Mio. € jährlich. Werde nun über eine Verfünffachung oder Verzehnfachung gesprochen, seien damit hohe Kosten verbunden. Grundsätzlich seien aber die Menschen dafür zu vergüten, was sie zur Verteidigung gegen den Staat ausgegeben haben.

In Bezug auf die im Rahmen der Reform des Verbotsgesetzes eingeführte vermehrte Möglichkeit der Diversion für erwachsene Straftäter:innen hielt Zadić gegenüber Birgit Schatz (SPÖ) fest, dass damit das Bewusstsein und die Sensibilität für das Thema geschärft werden sollen. Zadić hielt dies für wirkungsvolle Maßnahmen. Diversion dürfe nur dort angewendet werden darf, wo eine geringe Straftat vorliege, betonte sie.

Richtlinie zur Offenlegung von Ertragssteuerinformationen für multinationale Konzerne

Die österreichische Regierung habe die Frist für die Umsetzung einer für die Bekämpfung von Gewinnverschiebung wesentlichen EU-Richtlinie versäumt, kritisierte Selma Yildirim für die SPÖ. Die Richtlinie zur Offenlegung von Ertragssteuerinformationen für multinationale Konzerne (Public Country-by-Country Reporting) hätte bis spätestens 22. Juni im österreichischen Recht umgesetzt werden müssen. Große multinationale Unternehmen müssen in Zukunft offenlegen, wo sie wie viel Gewinn machen und wo sie wie viel Steuern bezahlen. Laut Justizministerin liegt bereits ein Gesetzesentwurf vor. Dieser werde auf Ebene der Ministerien verhandelt und soll so bald wie möglich umgesetzt werden.

Nikolaus Scherak (NEOS) machte Bundestrojaner, also eine gesetzliche Grundlage für staatliche Überwachungssoftware zum Thema. Derzeit sei es nicht möglich, eine verfassungskonforme Lösung zu finden, so Zadić. Georg Bürstmayr (Grüne) machte sich dafür stark, Richter:innen und Staatsanwält:innen für das Thema Rechtsextremismus zu sensibilisieren. Zadić verwies auf Weiterbildungsangebote, die laut Ministerin gut angenommen werden. (Fortsetzung Justizausschuss) gla