Parlamentskorrespondenz Nr. 1398 vom 13.12.2023

Nationalrat beschließt Maßnahmenpaket zur Vermeidung von Engpässen in der Medikamentenversorgung

Abgeordnete debattieren Schritte gegen Ärzt:innenmangel

Wien (PK) – Um Medikamentenengpässe künftig zu vermeiden, sprach sich der Nationalrat heute mehrheitlich für ein Maßnahmenpaket aus, durch das Pharmafirmen und Arzneimittelhändler die Bevorratungskosten ersetzt bekommen sollen, wenn sie vom Gesundheitsministerium per Verordnung zur Lagerung bestimmter Medikamente verpflichtet wurden.

Bei zu lagernden Wirkstoffen ist eine Kostenabgeltung für verfallene Produkte vorgesehen und Arzneimittel-Großhändler sollen vorübergehend einen "Infrastruktursicherungsbeitrag" in der Höhe von 0,28 € für niedrigpreisige Medikamente erhalten, damit diese nicht aus Rentabilitätsgründen vom Markt genommen werden. Die Abverkaufsfristen für Hersteller und Großhändler sollen an jene von Apotheken angepasst werden, damit auch sie Medikamente bis zum Verfallsdatum in Verkehr bringen dürfen, sofern dies mit der Arzneimittelsicherheit vereinbar ist.Im Falle von Lieferengpässen soll es darüber hinaus erlaubt werden, auch größere Mengen von in Österreich (noch) nicht zugelassenen Medikamenten zu importieren, wenn diese in einem anderen EWR-Staat auf dem Markt sind oder hergestellt wurden. 

In der Minderheit blieb ein von der FPÖ beantragtes Maßnahmenpaket gegen Engpässe in der Medikamentenversorgung, das unter anderem bei den Arzneimittelpreisen und –spannen ansetzt. So soll etwa der Höchstpreis eines Medikaments bei versorgungsrelevanten Lieferengpässen automatisch aufgehoben werden.

Die mehrheitliche Zustimmung der Abgeordneten erhielt eine von der Koalition vorgeschlagene Novelle des Ärztegesetzes, mit der infolge eines VfGH-Urteils die Bestellung der Disziplinarkommission neu geregelt werden soll. Mit einem dazu im Plenum eingebrachten Abänderungsantrag wollen ÖVP und Grüne zudem dem Ärzt:innenmangel entgegenwirken. So soll "hochqualifiziertem und –motiviertem" medizinischen Fachpersonal die ärztliche Tätigkeit in Österreich erleichtert werden, indem künftig eine neu einzurichtende Kommission zu beurteilen habe, ob die tatsächlich erforderlichen Fachsprachkenntnisse ausreichend vorhanden sind.

Keine Mehrheit fanden zwei Anträge, in denen einerseits die SPÖ und anderseits die FPÖ eigene Maßnahmen gegen den Personalmangel im Gesundheitssektor fordern.

Arzneimittelmangel: Plenum weitgehend einig über Notwendigkeit einer europäischen Lösung

Die Bundesregierung habe mit ihrem fehlenden Handeln angesichts eines "absehbaren" Arzneimittelenpasses die Gesundheit der Menschen in Österreich riskiert, attestierte FPÖ-Mandatar Gerhard Kaniak im Plenum. Aktuell seien zwischen 800 und 1.000 Arzneispezialitäten nicht verfügbar und die Versorgungskette sei bereits unmittelbar "vor dem Kollaps" gestanden. Die Bundesregierung unternehme jedoch nichts und auch das vorgeschlagene Maßnahmenpaket werde laut Kaniak keine Abhilfe schaffen. Die Problematik müsse "an der Wurzel gepackt" werden, verwies er auf das von ihm vorgeschlagene Maßnahmenpaket. Mit diesem soll unter anderem bei den Arzneimittelpreisen und -spannen angesetzt und der bestehende Notfallparagraph erweitert werden. So sieht es etwa die automatische Aufhebung des Höchstpreises eines Medikaments bei versorgungsrelevanten Lieferengpässen vor. Kaniaks Fraktionskollege Gerald Hauser bemängelte fehlende Transparenz bei der Arzneimittelbeschaffung und bezeichnete ÖVP und Grüne als "Vertreter:innen der Pharma-Lobby"

Für die Verfügbarkeit von Arzneimitteln sei auch die Attraktivität des jeweiligen Marktes eines Landes entscheidend, konstatierte NEOS-Mandatar Gerald Loacker. Dabei spielten etwa die Bürokratie beim Zulassungsverfahren für ein Medikament eine Rolle oder auch, ob Preisabschläge für Innovationen verrechnet würden. Österreich stelle sich in beiden Bereichen nicht vorteilhaft dar, so Loacker. Er wandte sich gegen das Maßnahmenpaket und erinnerte an die Impfstoffbeschaffung im Rahmen der COVID-19-Pandemie, die bereits "in die Hose gegangen" sei. Der Staat sei nicht in der Lage, sinnvoll zu bestimmen, wieviel von welchem Produkt bevorratet werden soll, erklärte Loacker und verwies auf die untergegangenen kommunistischen Staaten DDR und ČSSR.

Als "überzeugter Vertreter der ökosozialen Marktwirtschaft" sah Josef Smolle (ÖVP) den Markt als meist gut funktionierende Lösung in Versorgungsfragen. Wenn es jedoch zu Lieferengpässen und damit zu einem Marktversagen komme, müsse die öffentliche Hand steuernd eingreifen. Eine langfristige Versorgung werde am besten durch eine Mehrzahl an Anbietern sichergestellt, wie Smolle ausführte. Doch diese sei mit der "Deindustrialisierung" Europas und der damit einhergehenden Verlagerung der Produktionsstätten nach Asien nicht mehr vorhanden.

Es brauche nun eine gesamteuropäische Lösung und Strategie, um diese Produktionsstätten wieder nach Europa zu holen, wie Smolle sich mit Werner Saxinger (ÖVP), Verena Nussbaum (SPÖ) und Ralph Schallmeiner (Grüne) einig zeigte. Das vorliegende Maßnahmenpaket könne nur eine Übergangslösung darstellen, wie Nussbaum und Schallmeiner betonten.

Diese Einschätzung teilte auch Gesundheitsminister Johannes Rauch, sowie sämtliche Gesundheitsminister:innen der EU-Staaten, wie Rauch berichtete. Entweder bringe man ein europäisches System der Arzneimittelversorgung zustande, oder die Nationalstaaten würden alle einzeln für sich scheitern. Insbesondere bei den niedrigpreisigen Medikamenten müsse die Abhängigkeit von Asien "in den Griff bekommen" werden, sagte Rauch. Hinsichtlich des COVID-Medikaments Paxlovid sprach er von einer "erklecklichen Lücke" zwischen der beschafften und der von den Apotheken abgegebenen Menge, die die Apothekerkammer bis heute nicht habe erklären können. Dieser Frage müsse nachgegangen und in Zukunft auf "lückenlose Transparenz" gesetzt werden, so Rauch.

Maßnahmenpaket zur Vermeidung von Medikamentenengpässen

Das von ÖVP und Grünen vorgeschlagene Maßnahmenpaket basiert auf mehreren Säulen. So sieht eine Novelle zum Arzneimittelgesetz vor, Pharmafirmen und Arzneimittelhändler zu entschädigen, wenn ihnen aufgrund von behördlichen Bevorratungs-Anordnungen Zusatzkosten entstehen. Dabei geht es einerseits um die Abgeltung von Lagerkosten für betroffene Medikamente und andererseits um Entschädigungen für verfallene Wirkstoffe, sollten diese doch nicht benötigt werden. Die Regelung ist vorerst bis Ende 2027 befristet und soll bis dahin evaluiert werden. Ergänzend dazu sollen die für Pharmafirmen und Großhändler geltenden Abverkaufsfristen an jene für Apotheken angeglichen werden, um wirksame und sichere Produkte länger am Markt zu halten.

In diesem Zusammenhang brachte die Koalition im vorangegangenen Gesundheitsausschuss einen Antrag auf Änderung des Arzneiwareneinfuhrgesetzes, des Rezeptpflichtgesetzes und des Tierarzneimittelgesetzes ein, der ebenfalls mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und Grünen den Gesundheitsausschuss passierte. Durch die Novelle wird ein Import von in Österreich nicht zugelassenen Arzneimitteln auch im größeren Stil ermöglicht, wenn der Bedarf kurzfristig nicht anderweitig gedeckt werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass das Medikament eine Zulassung in einem anderen EWR-Staat hat bzw. dort hergestellt wurde. Im Sinne der Patientensicherheit ist bei der Abgabe eine deutsche Übersetzung der Kennzeichnung und der Gebrauchsinformation beizufügen.

Schließlich werden Arzneimittel-Großhändler vorübergehend einen Infrastruktursicherungsbeitrag von 0,28 € für jene Medikamente erhalten, die an eine im Inland ansässige öffentliche Apotheke oder Anstaltsapotheke abgegeben wurden und deren Kosten unter der Rezeptgebühr liegen. Damit wollen ÖVP und Grüne sicherstellen, dass auch billige Medikamente im Warensortiment verbleiben. Die Kosten für den Infrastruktursicherungsbeitrag übernehmen laut Koalitionsantrag der Bund und die Krankenversicherungen, wobei letztere für den Beitrag für jene Medikamente aufkommen müssen, die an von der Rezeptgebühr befreite Personen abgegeben werden. Die Regelung soll rückwirkend mit 1. September 2023 in Kraft treten und zunächst nur ein Jahr – bis 31. August 2024 – gelten. Das Maßnahmenpaket erhielt unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrages zur Bereinigung eines redaktionellen Versehens eine Mehrheit im Plenum.

Verfassungskonforme Neuregelung des Ärztegesetzes und Oppositionsanträge gegen den Personalmangel im Gesundheitsbereich

Mit einer Novelle des Ärztegesetzes soll einer Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs Rechnung getragen werden, in der das Mitwirkungsrecht des Gesundheitsministers bzw. der Gesundheitsministerin bei der Bestellung der Spitze der Disziplinarkommission der Ärztekammer beanstandet wird. Die Bestellung des bzw. der Vorsitzenden der Disziplinarkommission sowie der Stellvertreter:innen soll nun dem Vorstand der Ärztekammer übertragen werden. Dem Gesundheitsministerium komme nur mehr eine Prüfkompetenz zu. Ähnliche Regelungen sollen auch im Zahnärztekammergesetz und im Tierärztekammergesetz getroffen werden. Außerdem sieht die Novelle die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Übermittlung von Akten der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaften und der Gerichte an die Ärztekammer vor, die für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit von Ärzt:innen notwendig sind.

Mit einem dazu im Plenum eingebrachten Abänderungsantrag zielen ÖVP und Grüne auf die Bekämpfung des Ärzt:innenmangels ab. Da hochqualifiziertem medizinischen Fachpersonal aufgrund fehlender Deutschkenntnisse oftmals die ärztliche Tätigkeit in Österreich verwehrt bleibe, wie es im Antrag heißt, soll künftig eine Kommission feststellen, ob die tatsächlich erforderlichen Fachsprachkenntnisse in ausreichendem Maße vorhanden sind. Neben einem/einer Vertreter:in der Ärztekammer soll dieser Kommission auch eine Person aus dem gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege sowie eine Person mit einer Fachausbildung "Deutsch als Fremdsprache" angehören, die keinem Gesundheitsberuf angehört. Damit soll die "typische Trias der Kommunikationsumgebung von Ärzt:innen" in der Prüfungskommission abgebildet werden.

Zudem schlugen SPÖ und FPÖ jeweils eigene Maßnahmenpakete vor, die dem Personalmangel im Gesundheitssektor entgegenwirken sollen. So fordern die Sozialdemokrat:innen in ihrem Antrag etwa die Verdoppelung der Anzahl an Medizinstudienplätzen bei gleichzeitiger Bevorzugung jener Bewerber:innen, die sich nach der Ausbildung verpflichten, einige Jahre im öffentlichen Gesundheitswesen tätig zu sein. Die Freiheitlichen schlagen einen Sechs-Punkte-Plan vor, der unter anderem eine Verbesserung des Gehaltsschemas für Spitalsärzt:innen und anderes Gesundheitspersonal, eine Überarbeitung der Berufsfelder, die Aufhebung der 70-Jahre-Grenze für Kassenärzt:innen, die Einführung eines bundesweit einheitlichen Stipendiensystems bei der beruflichen Ausbildung sowie die Einbindung der Wahlärzt:innen ins Kassensystem beinhaltet.

Plenardebatte um Maßnahmen gegen den Ärzt:innenmangel

Man könne Gesundheitsminister Rauch und den Grünen das Bemühen um Lösungen für den Mangel an medizinischem Fachpersonal nicht absprechen, doch die ÖVP blockiere jeden Schritt in Richtung eines "zukunftsfitten Gesundheitssystems für alle", erklärte Mario Lindner (SPÖ). Er verwies auf die weiterhin hohe Zahl an unbesetzten Kassenstellen, hohe Zahlen an Rückerstattungen für teure Facharzttermine sowie überfüllte Wartezimmer und plädierte abermals auf eine Verdoppelung der Medizinstudienplätze.

Die Anzahl an Studienplätzen sei "nicht direkt proportional" zur Anzahl an Kassenärzt:innen, warf Ralph Schallmeiner von den Grünen ein. Die Absolvent:innen bräuchten auch dementsprechende Ausbildungsplätze in den Spitälern, die in Österreich äußerst unattraktiv ausgestaltet seien. Schallmeiner sah hier die Spitalserhalter – die Bundesländer – in der Pflicht, das Problem zu lösen. Die von ÖVP und Grünen beantragten Erleichterungen für ausländische Ärzt:innen betrachtete er als notwendig, um den Standort Österreich im internationalen Wettbewerb um medizinische Fachkräfte zu stärken.

Die Bundesregierung wolle damit wohl bereits der Problematik vorbeugen, keine österreichischen Ärzt:innen für die vorgesehenen Kassenambulatorien zu finden, vermutete Gerhard Kaniak (FPÖ). Aus seiner Erfahrung könne er jedoch berichten, dass Ärzt:innen mit mangelnden Deutschkenntnissen "nicht verwendbar" seien, da sie weder mit den Pfleger:innen noch den Patient:innen kommunizieren könnten, was eine "Katastrophe" für die Spitäler darstelle. Kaniak sah einige Punkte des von seiner Fraktion vorgeschlagenen Sechs-Punkte-Plans bereits umgesetzt, pochte jedoch auf die aus seiner Sicht verabsäumten Maßnahmen. So würde die Bundesregierung etwa Fachärzt:innen "schikanieren", anstatt sie ins öffentliche Gesundheitssystem einzubinden.

ÖVP-Abgeordneter Werner Saxinger plädierte dafür, die medizinische Versorgung als überparteiliches Thema zu behandeln und von "parteipolitischem Kalkül" abzusehen. Insbesondere Kritisierte er Teile der FPÖ, die an keinem konstruktiven Diskurs teilnähmen und somit Verantwortung verweigerten. Laut Saxinger werde die Einbindung der Wahlärzt:innen ins Kassensystem schon betrieben und auch die Weiterbeschäftigung von Kassenärzt:innen ab dem 70. Lebensjahr sei bereits möglich. Bezüglich des SPÖ-Antrags sah er das Hauptproblem - ebenso wie Grünen-Mandatar Schallmeiner - nicht in einer zu geringen Anzahl an Medizin-Absolvent:innen, sondern in der Attraktivität des Ausbildungssystems in Österreich. "Attraktivierung, Modernisierung und Innovation" würden für eine Verbesserung der Situation sorgen, so Saxinger, und nicht der von der SPÖ geforderte "Zwang", sich nach dem Studium im Kassensystem zu verpflichten. (Fortsetzung Nationalrat) wit

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