Parlamentskorrespondenz Nr. 223 vom 06.03.2024

Verfassungsausschuss befasst sich mit aktuellen EU-Vorhaben und Volksbegehren "Nehammer muss weg"

Edtstadler zeigt sich besorgt über Anstieg von Antisemitismus und Desinformationskampagnen

Wien (PK) – Bundesministerin Karoline Edtstadler hat heute bei einer Diskussion über die aktuelle EU-Vorschau im Verfassungsausschuss des Nationalrats über zentrale Vorhaben auf Unionsebene informiert und auf Fortschritte in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, EU-Erweiterung und Cybersicherheit hingewiesen.

Davor hatte sich der Verfassungsausschuss noch einmal mit dem Volksbegehren "Nehammer muss weg" beschäftigt. Initiator Robert Marschall wiederholte seine Standpunkte und speziell die Kritik an Nehammer, der mit seinem Agieren zu einer "tiefen Spaltung der Gesellschaft" beigetragen habe. Im Besonderen warf er ihm die Unterstützung für die Einführung der COVID-19-Impfpflicht, seine Aussagen zur Neutralität, die Russland-Politik sowie die Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze durch die ÖVP vor. An den Beratungen nahmen neben dem Bevollmächtigten auch seine Stellvertreter:innen Gerlinde Wolz und Michael Fichtenbauer teil.

Ambitioniertes letztes Arbeitsprogramm der aktuellen Kommission

Basis für die Diskussion über laufende und geplante EU-Vorhaben bildete ein gemeinsamer Bericht von Bundeskanzler Karl Nehammer und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (III-1112 d.B.), in dem die beiden Regierungsmitglieder unter anderem darüber informieren, welche zentralen Initiativen die Europäische Kommission noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 unter Dach und Fach bringen möchte. Es sei dies das letzte Arbeitsprogramm der aktuellen Kommission, das vor dem Hintergrund von zahlreichen globalen und nationalen Krisen betrachtet werden müsse, erklärte Edtstadler. Diese reichten vom Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, dem Nahost-Konflikt, der illegalen Migration, der Wirtschaftskrise, dem Klimawandel bis hin zu den Auswirkungen der digitalen Revolution. Dabei müsse die Union den Menschen vermitteln, dass sie fähig sei, Lösungen für die drängendsten Fragen der Gegenwart und der Zukunft zu finden, war die Ministerin überzeugt.

Was das konkrete Programm der Kommission betrifft, so umfasse dies unter anderem die Finalisierung des europäischen Grünen Deals, das Vorantreiben der digitalen Agenda, Maßnahmen zur Vertiefung des Binnenmarkts, der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit sowie den Migrations- und Asylpaket. Außerdem werden im Bericht die Erweiterung der Union sowie die Themen Rechtsstaatlichkeit, Krisenvorsorge, Cybersicherheit, und Antisemitismus angesprochen.

Bedauerlicherweise spitze sich derzeit die Lage im Nahen Osten zu, konstatierte Edtstadler. Nachdem die Terrororganisation Hamas  israelische Bürger:innen "abgeschlachtet" habe, habe das Land jedes Recht auf Selbstverteidigung. Gleichzeitig brauche es aber auch humanitäre Hilfe für die notleidenden Menschen in Gaza. Ihrer Ansicht müsse vor allem die Zwei-Staaten-Lösung vorangetrieben werden.

In der Frage der EU-Erweiterung sei sehr vieles weiter gegangen, urteilte Edtstadler, die vor allem auf die Beschlüsse bezüglich Republik Moldau, Georgien und Ukraine verwies. Zudem war es wichtig, dass Bosnien-Herzegowina eine klare EU-Perspektive erhalten habe, stellte sie gegenüber Nikolaus Scherak (NEOS) fest. Es sei mittlerweile unumstritten, dass eine Erweiterung stattfinden müsse, die Frage sei nur wann. Sie müsse jedoch auch offen sagen, dass es im Fall der Ukraine keinen "fast track"-Beitrittsprozess geben könne. Generell stehe Österreichs Solidarität gegenüber der Ukraine außer Frage, betonte die Ministerin, wobei die Unterstützung auf politischer, humanitärer und finanzieller Ebene erfolge. Wichtig war der Beschluss zur Ukraine-Fazilität, durch die 50 Mrd. € (17 Mrd. € in Form von Zuschüssen, 33 Mrd. € für Darlehen) zur Verfügung gestellt werden.

Parallel zu den Erweiterungsplänen müssen aber auch interne Reformen in der EU angegangen und die notwendigen Hausaufgaben erledigt werden. Im Hinblick auf die kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament ist es laut Edtstadler essentiell, die jungen Menschen, die viele Vorteile der Union bereits für selbstverständlich halten, für den europäischen Gedanken zu interessieren und sie besser zu informieren. Aus diesem Grund werde sie unter Einbindung der sogenannten Europa-Gemeinderät:innen eine Tour durch Österreich unternehmen.

Fragen zur Bekämpfung von Antisemitismus und Desinformationskampagnen

Ein ganz wichtiges Anliegen war der Ministerin die Bekämpfung von Antisemitismus, da seit dem 7. Oktober 2023 ein Anstieg um bis zu 400 % zu verzeichnen gewesen sei. Diese Entwicklung bereite ihr  große Sorgen. Eine nationale Strategie gegen jede Form von Antisemitismus wurde bereits 2021 vorgelegt, informierte sie FPÖ-Mandatar Harald Stefan.

Zu den Fragen von Christian Drobits (SP), Martin Engelberg (ÖVP) und Michel Reimon (Grüne) zu Desinformationskampagnen und Cybersicherheit führte Edtstadler aus, dass Österreich sowohl die Sensibilisierungsmaßnahmen als auch die technischen Weiterentwicklungen (hybride Toolbox) sowie den Erfahrungsaustausch unterstütze. Neben der Errichtung einer Sicherheitsakademie müssten auch genügend Fachkräfte ausgebildet und für den öffentlichen Sektor gewonnen werden. Auf rechtlicher Ebene hob sie insbesondere das Kommunikationsplattformengesetz, den Digital Services Act und den Digital Markets Act hervor.

Bezüglich der beiden laufenden Verfahren nach Art. 7 EUV führte die Ressortchefin aus, dass Polen in Vorlage getreten sei und einen Aktionsplan präsentiert habe. Der SPÖ-Abgeordneten Muna Duzdar teilte Edtstadler mit, dass das derzeit in Verhandlung befindliche Lieferkettengesetz gute Ansätze enthalte, aber die falschen Mittel vorsehe. Nicht nur Minister Kocher habe sich daher bei der Abstimmung enthalten, sondern insgesamt Vertreter:innen von 13 Ländern. Die Verbesserung der globalen Rechte von Arbeitnehmer:innen sei wichtig, unterstrich die Ministerin, gleichzeitig müsse aber Überregulierung verhindert werden. Der Verordnung zur Anti-Zwangsarbeit, die heute auf der Agenda stehe, werde Österreich zustimmen.

Der Bericht wurde von allen Fraktionen außer der FPÖ zur Kenntnis genommen und ist somit enderledigt.

Ausschussdebatte über das Volksbegehren "Nehammer muss weg"

Die Beratungen über das von 106.440 Österreicher:innen unterstützte Volksbegehren "Nehammer muss weg" (2079 d.B.) hätten eigentlich schon im Februar abgeschlossen werden sollen. Da die Initiator:innen rund um Robert Marschall aufgrund einer Kommunikationspanne jedoch nicht an den Ausschussverhandlungen im Jänner teilnehmen konnten, wurde die Initiative vom Plenum nochmals in den Verfassungsausschuss zurückverwiesen. Konkret gefordert wird, Artikel 41 der Bundesverfassung dahingehend zu ändern, dass alle Beschlüsse des Nationalrats und damit auch Misstrauensbeschlüsse gegen Bundeskanzler Karl Nehammer per Volksbegehren begehrt werden können.

Die Initiator:innen begründen ihre Forderung damit, dass Nehammer das Vertrauen der Wähler:innen und das Vertrauen in die Demokratie "grob missbraucht" habe, wobei sie ihm unter anderem die Unterstützung der Einführung der COVID-19-Impfpflicht, das Vorgehen der Polizei "gegen das friedliche Volk" bei Kundgebungen während der Corona-Pandemie, die Russland-Politik der Regierung und die Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze durch die ÖVP im Wahlkampf zur Nationalratswahl 2019 ankreiden. Zudem sei Nehammer nie vom Volk zum Bundeskanzler gewählt worden und habe mit seinem Wechsel vom Nationalrat in die Regierung einen "Bruch der Gewaltentrennung" begangen.

Er sei froh darüber, dass das Volksbegehren heute nun endlich im Ausschuss behandelt werde, erklärte Robert Marschall. Beim letzten Termin mussten er und seine Stellvertreter:innen zwei Stunden am Gang warten bzw. sogar am Boden sitzen, da ihnen kein Sessel angeboten wurde. Was den konkreten Inhalt betrifft, so wiederholte Marschall seine Standpunkte und speziell die Kritik an Nehammer, der mit seinem Agieren zu einer "tiefen Spaltung der Gesellschaft" beigetragen habe. Obwohl er nur 366 Vorzugsstimmen erhalten haben und eigentlich für den Nationalrat kandidiert habe, sei er Bundeskanzler geworden. Seine Aussagen bezüglich der Neutralität hätten zudem dazu beigetragen, dass Österreich von Russland auf die Liste der "unfreundlichen Staaten" gesetzt wurde.

Die SPÖ begrüße es, wenn Menschen die Instrumente der direkten Demokratie nutzen, stellte Muna Duzdar (SPÖ) fest. Diese dürften aber nicht dazu verwendet werden, um das demokratische System auszuhebeln. Harald Stefan (FPÖ) hielt es für wichtig, sich mit allen Anliegen der Bürger:innen zu befassen. Er schloss sich dem Kritikpunkt im Volksbegehren an, wonach die Einführung der Impfpflicht eine "Sackgasse" gewesen sei. Wenn man die direkte Demokratie wirklich stärken wolle, dann müssten auch Gesetzesinitiativen ermöglicht werden, schlug er vor.

Auch seine Fraktion stehe für einen Ausbau der direkten Demokratie, konstatierte Nikolaus Scherak von den NEOS, allerdings werde der Bundeskanzler in Österreich nicht gewählt, sondern vom Bundespräsidenten ernannt. Ähnlich argumentierte ÖVP-Abgeordneter Nikolaus Berlakovich, dem der Titel des Volksbegehrens nicht gefiel, da er sich gegen eine Person richte. "Klartext reden" wollte Michel Reimon, der den Initiator des Volksbegehrens direkt fragte, wer hinter ihm stehe bzw. welche Interessen er vertrete. Es gebe Gerüchte, dass es Einflüsse von Russland oder Ungarn gebe. Auch das nächste von Marschall eingeleitete Volksbegehren zeige deutlich, dass es ihm vielmehr um die Bekämpfung des demokratischen Parteiensystems gehe.

Die drei Initiator:innen des Volksbegehrens seien heute anwesend, unterstrich Marschall, es stehe niemand anderer dahinter. Seiner Einschätzung nach habe nur die FPÖ verstanden, wie Demokratie funktioniere.

Die Beratungen über das Volksbegehren sind somit abgeschlossen; der Bericht darüber wird dem Plenum zugeleitet. (Schluss Verfassungsausschuss) sue/gs