Bundesrat Stenographisches Protokoll 628. Sitzung / Seite 64

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Wir haben – es gibt sie – Chancen zu schöpferischer Neugestaltung. Zusammen mit den neuen innenpolitischen Herausforderungen wie die Sorge um die ökonomischen Auswirkungen der Öffnungen Osteuropas und um die Bewältigung der strukturellen Wirtschaftsprobleme, der Angst vor der um sich greifenden Kriminalität sowie den längerfristigen Herausforderungen im Bereich der Sozialversicherung hat dieser Umbruch in Europa bei vielen Menschen ein Gefühl der Unsicherheit und einen Hang zum Zukunftspessimismus ausgelöst. Das Bedürfnis nach Orientierung, nach Stabilität und Sicherheit in einer Welt des Wandels und der Unsicherheit ist groß. Die Frage nach dauerhaften und bewährten Grundsätzen, an denen man sich orientiert und auf die man bauen kann, wird immer häufiger und auch immer heftiger gestellt.

Bis zum Revolutionsjahr 1989/90 endete das politische Europa beim Eisernen Vorhang. Viele Westeuropäer haben immer noch Schwierigkeiten, sich darauf einzustellen, daß sich Europa nach Osten öffnet. Erst allmählich begreifen wir Westeuropäer, daß der Stand der Westintegration nicht ausschließlich das Produkt freier Selbsterkenntnis ist.

Im Ergebnis der westeuropäischen Integration spiegelt sich natürlich auch die jahrzehntelange Bedrohung eines expansiven Kommunismus in Osteuropa wider und damit die teilungsbedingte Machtbalance Westeuropas – und damit einerseits die Asylfrage bei uns und andererseits die Fremdenfrage für Europäer unter sich.

Die sicherheitspolitische Bedrohung in erster Linie ist einmal weggefallen, aber Europa braucht eine Architektur, die allen Völkern und Menschen Schutz und Lebensraum bietet. Der Umbau Europas ist die größte Chance für eine Friedensordnung, die dieser Kontinent je hatte. Die Gemeinschaft freier Völker darf kein Volk willkürlich ausgrenzen. Jetzt sind neue Völker hereingekommen, die sich zu demokratischen Werten bekennen. Deswegen dürfen wir diese Völker auch nicht ausgrenzen, sonst würden wir nicht glaubwürdig sein gegenüber dem, was wir jahrzehntelang vertreten haben.

Die befreiten Länder Osteuropas stehen vor einer schwierigen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Aufgabe. Seit der Eiserne Vorhang gefallen ist, liegt das Wohlstands- und Wohlfahrtsgefälle offen. Das kann zu neuen nationalen und sozialen Spannungen führen. Es wird uns nicht unberührt lassen, und es kann uns deshalb auch nicht gleichgültig sein, ob sich an unseren östlichen Grenzen soziale und politische Spannungen aufbauen, die nicht nur uns, sondern ganz Europa in Mitleidenschaft ziehen können.

Der wirtschaftliche und soziale Ausgleich zwischen West- und Osteuropa ist nicht nur ein Gebot der Solidarität, sondern auch die wichtigste Investition in den Frieden. Die europäischen Nationen müssen auf Souveränität verzichten, denn nur wenn Europa als Kontinent in der Außen- und Sicherheitspolitik handlungsfähiger wird, werden wir unsere Rechte und Interessen in der Welt angemessen wahren können. Der Binnenmarkt ohne Grenzen kann nur mit einem gemeinsamen sozial- und umweltpolitischen Mindeststandard funktionieren. Hinzukommen muß eine europäische Kriminalitätsbekämpfung, eine europäische Asyl- und Einwanderungspolitik, damit wir den Wohlstandsgewinn nicht mit einem Sicherheitsverlust bezahlen müssen.

Meine Partei wird diesen Gesetzen die Zustimmung geben. – Ich danke. (Beifall bei der ÖVP.)

13.23

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert Platzer. Ich erteile es ihm.

13.23

Bundesrat Herbert Platzer (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Bundesräte! Es ist heute bereits vieles gesagt worden, sodaß ich einiges von dem, was ich mir zu sagen vorgenommen habe, streichen kann. Ich möchte auch gleich vorausschicken, daß meine Fraktion all diesen Beschlüssen zustimmen wird.

Das Thema "Fremde und Asyl" ist ein Thema, das wie kaum ein anderes in der Öffentlichkeit Emotionen auslöst und offensichtlich auch hier im Bundesrat. Herr Dr. Tremmel – ich glaube, er ist gerade hinausgegangen – wird es mir verzeihen, wenn ich einen Dichter zitiere, den ich sehr


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite